Es sei die unumstößliche Absicht seiner Regierung, kein Wahlversprechen zu brechen, so Alexis Tsipras in seiner Regierungserklärung am Wochenende. Der neue Premier lässt keinen Zweifel, den Sparkurs beenden und die meisten Reformen zurückdrehen zu wollen. Er hält eine emotional aufgeladene Rede, die stellenweise einer Kampfansage gleicht. „Wir sind das Instrument des Volkswillens. Wir sind Fleisch und Blut des Volkes“, ruft er den Abgeordneten zu. Selten hat diese Kammer eine derart messianische Botschaft gehört, die Tsipras selbst stellenweise Tränen in die Augen treibt. Es wirkt fast so, als ob der Wahlkampf in diesem Plenum noch einmal aufflammt, mit aller Wut und aller Wucht, die nun produktiv sein soll.
Keine Frage, soziale Wunden heilen zu wollen, ist richtig, doch um die überbordenden Probleme des Landes zu lösen, reicht das nicht. Regieren hat nichts mit Oppositionsarbeit zu tun, gemessen an der Tragweite der Entscheidungen, die eine Regierung trifft, und der Verantwortung, die sie trägt. Dies gilt besonders gegenüber der eigenen Bevölkerung, die das selbstbewusste Auftreten wie auch die Verhandlungshärte der jetzigen Regierung mit Zustimmung honoriert. Die Griechen sind stolz auf Tsipras und seine Minister. Endlich wird gegenüber der Europäischen Union und Deutschland nach einem Verhältnis auf Augenhöhe gesucht und eine Politik abgewehrt, die bisher als Diktat empfunden wurde.
Doch damit riskiert Tsipras den Bruch mit der EU und Griechenlands Geldgebern. Abgesehen von der Kommunistischen Partei und dem starken linksradikalen Flügel bei Syriza, will niemand einen irreparablen Zusammenstoß mit den Brüsseler Autoritäten und schon gar keinen Ausstieg aus der Eurozone riskieren. Nach ideologischen Wortgefechten und übertriebenem Revolutionseifer steht einer Mehrheit der Bürger nicht der Sinn.
Was ihnen vorschwebt, das ist ein funktionierender Staat mit effizienter Verwaltung. Allein das wäre schon eine Revolution. Bis heute muss man für die einfachsten Anträge bei zig Ämtern zig Unteranträge stellen und dabei stets persönlich vorsprechen. Ebenso revolutionär wären eine gerechte Steuerpolitik wie der viel versprochene und viel beschworene „gnadenlose Krieg“ gegen Korruption und Steuerhinterziehung.
Ein Krieg, der sich nicht nur gegen Oligarchen richtet, sondern genauso gegen Freiberufler, Ärzte, Rechtsanwälte, Bauingenieure oder Notare – eben jene Berufsstände, denen die meisten Parlamentarier angehören. Sie zählen zu den notorischen Steuerbetrügern und sind für mehr als 60 Prozent der am Fiskus vorbei geschleusten Abgaben verantwortlich.
Außer eingefleischten Anhängern Syrizas erwartet niemand die vollständige Umsetzung des Wahlprogramms. Würde nur ein Drittel der darin gegebenen Versprechungen gehalten – die meisten Bürger wären schon zufrieden. Was Tsipras „heilige, unverhandelbare Werte“ nennt – nämlich Stolz, Würde und Respekt –, ist den meisten, in deren Namen er spricht, zu hoch gegriffen. Was alle wollen, ist einfach zu benennen und wichtiger als jeder Schuldenschnitt: Weniger Steuern, mehr Arbeit, soziale Hilfe, eine florierende Wirtschaft, damit es endlich wieder aufwärts geht.
Syriza sorgt zwar für eine neue Hoffnung, ob dies aber zugleich einen politischen Neubeginn verheißt, bleibt abzuwarten. Zu lange und zu oft schon beließen es griechische Politiker und ihre Klientel bei schönen Worten.
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