Robokraft – nein danke!

Hilfstechnologie Denkt man an Roboter, fällt einem zuerst Japan ein. Das Land gilt als führend auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. Aber wo ist die jetzt, in Fukushima?

Die Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi gibt auch drei Wochen nach ihrem Beginn jede Menge Rätsel auf. Da ist die Frage, was eigentlich physikalisch und chemisch in den Reaktoren, Abklingbecken, dem verseuchten Drumherum passiert. Da ist die Frage, warum ein paar dutzend Männer täglich bereit sind – oder wie sie womöglich dazu gezwungen werden –, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Da ist aber auch die Frage, warum in einem derart hochtechnisierten Land überhaupt Menschen diese Arbeit machen müssen.

Nicht fit für den Real-Einsatz

Tatsächlich auffällig an den Bildern aus Fukushima ist die am Anfang totale und auch jetzt noch weitgehende Abwesenheit ferngesteuerter oder autonomer Robotersysteme. Selbst Tage nach Beginn der Katastrophe sagte der Sprecher der Betreibergesellschaft Tepco, er wisse „von keinen solchen Instrumenten“, die seiner Firma zur Verfügung stünden. Inzwischen sollen ein paar kleine Strahlungsmessroboter, die auch mit Kameras ausgestattet sind, sich im Einsatz befinden, und einige der Löschkanonen sind angeblich auch zumindest teilweise fernsteuerbar. Zu den immer wieder gerne gezeigten animierten Bildern von hocheffizienten Desaster-Robotern, die selbständig durch für Menschen viel zu gefährliche Trümmerfelder staksen, Hohlräume unter Schuttbergen durchsuchen, Lecks finden und reparieren, passt diese Realität nicht.

Tatsächlich wundern sich nicht nur Hightech-Laien über die Abwesenheit solcher Hightech im Lande der Hightech. „Ich bin sehr überrascht, dass es dort so wenig Einsatz von ferngesteuerten Maschinen oder Robotern gibt“, sagt etwa Gerhard Hirzinger. Der Robotik-Professor am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen kritisiert aber auch seine eigene Zunft – sie verspreche gerade nach Desastern wie Fukushima oder 9/11 immer wieder zu viel.

Denn die faszinierenden Prototypen aus den Labors sind fast nie fit für den Real-Einsatz. So erinnert sich Frank Kirchner, der heute am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Bremen arbeitet, noch schmerzlich an den September 2001. Die Bostoner Robotik-Gruppe, in der er damals arbeitete, schickte alle ansatzweise geeignet erscheinenden Modelle nach New York. „Tatsächlich praktikabel für die Einsatzkräfte war keiner von denen“, sagt Kirchner. Genau hier liege ein Grundproblem: Man entwickle eindrucksvolle Maschinen, die aber meist nicht über den Prototyp hinaus kämen und deren Technologie und Bedienung keine einheitlichen Standards habe.

Experten reisten wieder ab

Im Klartext: Selbst ein jetzt nach Japan geschickter Super-Roboter wäre, wenn überhaupt, nur mit einem menschlichen Support-Team, das ihn in- und auswendig kennt, einsetzbar – ein unwahrscheinliches Szenario in der derzeitigen Fukushima-Realität. Zur Zeit des Unfalls sollen sogar Ingenieure des US-Energiekonzern General Electric in Fukushima gewesen sein, die spezielle Expertise mit schwimmenden Messrobotern für Reaktor- und Abklingbecken haben. Sie reisten allerdings sofort ab. „Mir ist durch den Unfall dort jedenfalls klarer denn je geworden, dass wir als Wissenschaftler gefordert sind, neben dem spielerischen Basteln und Ausreizen der Möglichkeiten im Labor unbedingt daran zu arbeiten, Systeme bereitzustellen, die auch praktisch anwendbar sind“, sagt Kirchner.

Die Gründe dafür, dass es für Fukushima kaum geeignete Systeme gibt, sind allerdings noch vielschichtiger. Dass zum Beispiel ausgerechnet die Roboter-affinen Japaner gerade für solche Situationen nicht die geeigneten Geräte haben, liegt einerseits ohne Zweifel daran, dass die Betreibergesellschaft Tepco (die für diesen Artikel mehrfach ergebnislos um eine Stellungnahme gebeten wurde) eine entsprechende Vorbereitung auf etwaige Unfälle nicht für geboten hielt. Andererseits gibt es aber für japanische Unternehmen auch kaum Anreize, solche Technologien zu entwickeln, weil diese kommerziell am ehesten als „Battlefield-Robots“ zu vermarkten wären. Japan darf aber – noch als Ergebnis des zweiten Weltkrieges – solche Technologie praktisch nicht exportieren. Und das Roboterland Japan ist zwar weltweit führend bei Prototypen, die sich zwei- oder vielbeinig, auf Rollen, Ketten oder wie Schlangen bewegen. Serienmäßig werden aber eher humanoide Spielzeuge und stationäre Systeme für Aufgaben am Fließband gebaut.

Strahlung ist auch für Roboter gefährlich

Der wichtigste Grund, Roboter nicht in eine Strahlenhölle zu schicken, ist ironischerweise aber genau derselbe, keine Menschen dort hineinzuschicken, denn radioaktive Strahlung heißt nicht umsonst „ionisierend“ – eine Wirkung, die sich auch verheerend auf elektronische Schaltkreise auswirken kann. So ionisieren die Strahlen zum Beispiel Atome in Halbleitern und verändern so deren Kristallstruktur.

Bleischilde und eine möglichst robuste Elektronik können dem entgegenwirken, und solche Systeme gibt es sogar. In Japan selbst etwa wurde „RaBot“ entwickelt, ein zweiarmiger, strahlengeschützter Roboter, der Ventile öffnen und schließen können sollte, vor zehn Jahren aber ohne Nachfolger von der Bildfläche verschwand. In Deutschland verfügt die Kerntechnische Hilfsdienst GmbH in Eggenstein-Leopolds­hafen über ein Arsenal von ferngesteuerten 20-Tonnen-Baggern bis hin zu Mini-Inspektionsrobotern. Sie hat Japan auch Hilfe angeboten, die bis Redaktionsschluss ohne Antwort blieb. Eine Offerte aus Frankreich soll gerade akzeptiert worden sein.

Wie diese speziellen Maschinen im Ernstfall einer Kernschmelze funktionieren, weiß allerdings auch niemand – denn entsprechende Experimente unter Realbedingungen hat natürlich niemand gemacht. „Ich habe mich in den letzten Tagen oft gefragt“, sagt Kirchner, „was wir mit unseren technischen Möglichkeiten machen könnten, wenn Krümmel oder Unterweser in die Luft flögen.“ Auf eine auch nur ansatzweise beruhigende Antwort, sagt er, ist er nicht gekommen.

Richard Friebe ist freier Autor in Berlin

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