Nächstes Jahr wird ein Buch 50 Jahre alt, das wie kein anderes die Umweltbewegung in der westlichen Welt geprägt hat: Rachel Carsons Der stumme Frühling. Sie warnte vor einer Zukunft ohne Vogelgezwitscher und Insektengesumme, schrieb gegen Pestizide an. Das Buch erreichte schließlich, dass das Pflanzenschutzmittel DDT in der westlichen Welt verboten wurde.
Einsamer Gast am Buffet
Frühling 2011, Mallorca, nahe Son Mut auf halber Strecke zwischen El Arenal und Llucmajor. Die meisten Bäume, die hier schon Ende Januar zu blühen begonnen haben, sind Mandelbäume, blassrosa schimmern ganze Hügel. Aber wer sich unter einen Baum stellt, merkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Es ist knapp 20 Grad warm, und es ist still. Stummer Frühling. Eigentlich müssten sich Myriaden von Honigbienen über dieses erste Großangebot an Pollen und Nektar des Jahres 2011 hermachen. Nichts. Am dritten Baum, den man absucht, fliegt eine einzelne Biene von Blüte zu Blüte. Sie wirkt – so allein – selbst etwas irritiert, wie der einzige Gast, der an einem riesigen Buffet zugreift. Und beim genauen Hinsehen ist der Einzelgänger auch keine Honigbiene aus einem Volk, das einem Imker gehört, sondern ein Exemplar der einzeln lebenden Mauerbienen aus der Gattung Osmia.
Unep, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, hat gerade einen Bericht zur Lage der Bienen herausgegeben. Das mediale Echo war ordentlich, Spiegel online etwa meldete, das Bienensterben – wissenschaftlich Colony Collapse Disorder (CCD) – habe sich nun auch jenseits von Europa und Amerika in Asien und Afrika gezeigt, es sei eine globale Bedrohung, weil die meisten menschlichen Nahrungspflanzen von Bienen bestäubt werden müssen. Populäre Medien zitieren in diesem Zusammenhang gerne Einstein, der gesagt haben soll, dass, falls die Bienen verschwinden, in ein paar Jahren auch die Menschen von der Erde verschwunden wären, weil sie alle verhungern müssten.
Früher wurden keine Daten von Imkern erhoben
Abgesehen davon, dass sich dieses Zitat des Physikers nirgends belegen lässt, stimmt auch sonst einiges nicht so recht an dem, was über das gern als „mysteriös“ und „beispiellos“ bezeichnete Bienensterben in die Öffentlichkeit gelangt. So gibt es historisch belegte Beispiele für immer wieder auftretende massive Verluste von Bienenvölkern bis zurück in das 10. Jahrhundert. Und wer den Unep-Report tatsächlich durchliest – anstatt nur die Pressemeldung – findet dort unter „Schlussfolgerungen“, dass „die verfügbaren Daten nicht ausreichend beweiskräftig“ seien, um eine weltweite Krise der Bestäuber und eine damit verbundene Krise der Nahrungsmittelproduktion hineinzudeuten. Auch die Meldungen des angeblich jetzt auf Asien und Afrika ausgedehnten Bienensterbens stellen die Fakten falsch dar, denn aus Japan wird seit Jahren über das Phänomen berichtet, die wenigen Beispiele aus Afrika stammen allesamt aus Ägypten. Sie können, ähnlich wie Neumeldungen aus China, schlicht Folge der in den vergangenen Jahren extrem gestiegenen Aufmerksamkeit für das Problem sein. Konkret: In jüngster Zeit wird weltweit nach Anzeichen für das Bienensterben gesucht, werden Studien gemacht, Daten von Imkern zusammengetragen, was vorher nicht annähernd in diesem Umfang der Fall war. Je mehr man sucht, desto mehr findet man auch. Das gilt auch für Deutschland oder Nordamerika und führt zu einer Überdramatisierung.
Tatsächlich hat das Bienensterben den Bienenforschern, die sich angesichts des Siegeszuges der Molekularbiologie jüngst zunehmend an den Rand gedrängt und unterfinanziert sahen, einen neuen Schub und neues Geld, zum Beispiel aus EU-Töpfen verschafft. Das ist gut so und hat innerhalb weniger Jahre auch erste Erklärungen für den Kolonienkollaps gebracht. Mobilfunkstrahlung und genetisch veränderte Pflanzen, die als Verdächtige gehandelt wurden, gehören nicht dazu. Wahrscheinlicher ist, dass Mikroorganismen den Kolonien zusetzen, so etwa eine Kombination von Iridoviren und dem Pilz Nosema ceranae, oder das Israeli Acute Paralysis Virus.
Erklärungen für den Kollaps
Ein ganz natürliches Phänomen, das eben auftreten kann, ist das Bienensterben deshalb trotzdem nicht, sondern eher ein Ergebnis der Globalisierung: Die Europäische Honigbiene, Apis mellifera, wurde einst aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen in Asien eingeführt, dort holte sie sich von der Asiatischen Honigbiene, Apis cerana, die Varroa-Milbe. Mit dem Parasiten infizierte Völker landeten bald in Amerika und Europa. Imker müssen Varroa destructor regelmäßig chemisch bekämpfen, sonst sterben ihnen die Völker weg – und wilde Honigbienen, die in Bäumen nisten, sind der Milbe wegen in Nordeuropa und Nordamerika inzwischen praktisch ausgestorben. Heute sind Honigbienen flächendeckend von dem Körpersaftsauger befallen – außer in Australien. Australien ist auch der einzige Kontinent, von wo bislang trotz guter Überwachung kein Kolonienkollaps vermeldet wurde.
Laut Francis Ratnieks von der University of Sussex ist es auch die Milbe, die Viren und Pilze mitbringt. Der Jochpilz Nosemia ceranae verrät schon durch seinen Namen, dass er eigentlich zur asiatischen Apis cerana gehört. Die kann aufgrund jahrmillionenlanger Koexistenz mit ihm und auch mit Varroamilben gut umgehen – ein evolutionärer Vorteil, den ihre europäisch-stämmigen Cousinen nicht haben. Auch andere Faktoren könnten eine Rolle – und manchmal auch die des Züngleins an der Waage spielen – etwa Insektizide, die alleine nicht, aber in Kombination mit der gegen die Milben eingesetzten Chemie vielleicht schon „tödliche Synergien“ erzeugen könnten. Das meint jedenfalls der Insektenkunde-Professor Keith Delaplane von der University of Georgia.
Bienen sollen gegen Milben und Pilze kämpfen
Der Schaden ist also angerichtet und schwer rückgängig zu machen, die Ursachen sind offenbar komplex. Und die Vorschläge der Wissenschaftler, wie man die Bienen und ihren Service als Bestäuber retten könnte, sind es ebenso. Es muss mehr und besser finanziert geforscht werden, lautet immer der erste. Und dann werden Ansätze vorgestellt, wie in Viren mittels eines Verfahrens namens RNA-Interferenz die essenziellen Gene lahmzulegen – oder gentechnisch und züchterisch Bienen zu kreieren, die Milben und Pilze besonders effizient in ihrem Stock bekämpfen. Und so weiter.
Solche Vorschläge erinnern ein wenig an die Pille, die den Kopfschmerz, den eine andere Pille zuvor ausgelöst hat, bekämpfen soll – Forschung und Technologie sollen es richten. Wahrscheinlich würde so allerdings – vorausgesetzt, dass diese Ideen überhaupt umzusetzen sind – eine immer artifiziellere Bienenhaltung entstehen. Und die hätte wahrscheinlich auch mit immer neuen hausgemachten, sich perpetuierenden Problemen zu kämpfen. Hauptnutznießer wäre eine neue Bienen-Erhaltungsindustrie, in der mancher an den Rand gedrängte Insektenforscher eine attraktive Berufsperspektive finden könnte.
Ein Reality Check angesichts des Bienensterbens verrät allerdings auch ein paar andere mögliche Wege. So sind die Verluste an Kolonien am größten, wo die Industrialisierung der Bienenhaltung am weitesten fortgeschritten ist – in den USA etwa soll der Schwund doppelt so groß sein wie in Deutschland. Es gibt dort derzeit etwa 2,2 Millionen Völker, und die meisten von ihnen werden als Nutzpflanzen-Sexhelfer per Truck mehrfach im Jahr quer durchs Land gefahren – geschätzte 1,1, Millionen halten sich derzeit in Kalifornien auf, nur um die dortigen Mandelplantagen zu bestäuben. Für die Bienen bedeutet das: einseitige Ernährung, viele Chancen sich unterwegs oder von einer der hunderten von Nachbarkolonien im selben Bienenwagen eine Infektion einzufangen, Stress durch das ständige Eingesperrtsein während des Rumkutschierens. Klingt ein bisschen wie das Rezept für Zivilisationskrankheiten bei Homo sapiens? Stimmt.
Eigener Honig für die Bienen
Bewegt man sich an das andere Ende des Imkerspektrums in der industrialisierten Welt, stellt sich jedenfalls – auch wenn hier natürlich an Statistiken nicht so leicht heranzukommen ist – die Situation hie und da etwas anders dar. Der alte Herr Schuster etwa, einer der wenigen verbliebenen Deutschen im siebenbürgisch-sächsischen Dorf Burgberg/Vurpar in Rumänien, schaut einen auf die Frage, ob er bei seinen Völkern auch das Bienensterben erlebt habe, nur verständnislos an. Auch er muss zwar die Milben regelmäßig mit Ameisensäure bekämpfen, aber seine Bienen kommen bislang ohne Probleme durch den harten, langen transsylvanischen Winter. Was bei ihm anders ist: Er hat nur ein paar Völker, seine Bienen sind nicht auf viel Honig machen und wenige Nachbarskinder stechen hin gezüchtet, sondern seit hunderten Generationen an die Gegend gewöhnt, er schleudert im Spätsommer zum letzten Mal, so dass die Bienen im Winter nicht von industriell hergestellter Zucker-Nahrungsergänzungspaste leben müssen, sondern den eigenen Herbst-Honig bekommen. Und Herr Schuster ist immer da – anders als etwa David Hackenberg, der Bienenhalter aus Pennsylvania, der seine Völker für Herbst und Winter nach Florida gekarrt hatte und, als er nach ein paar Wochen nach dem rechten sah, im Oktober 2006 jene Meldung an die Behörden machen musste, die heute als Beginn des Bienensterbens gilt.
Dass mancherorts der Frühling 2011 vielleicht stumm erscheint, könnte aber auch an etwas anderem liegen: Dem Imkersterben. Wer einmal eine Jahreshauptversammlung eines deutschen Imkervereines besucht und das Durchschnittsalter schätzt, weiß, was gemeint ist.
Auch in den Mandelhainen von Son Mut auf Mallorca scheinen die Bestäuber deshalb zu fehlen, weil es die dazugehörigen Menschen tun: Eine betagte Señora, die mit einem Korb voller Eier den Weg herab kommt, sagt jedenfalls, auf das fehlende Gesumme angesprochen, dass in der Gegend einfach niemand mehr Bienenvölker habe: Die meisten Fincas in der Gegend gehören mittlerweile Zugereisten mit sehr schwarzen deutschen Autos oder mit hochgewachsenen Straußen als Haustieren hinter der liebevoll reparierten Natursteinmauer.
Wer hier seine Ruhe haben will, hat sicher wenig gegen einen stummen, gesummfreien Frühling. Auch die Mandeln hat im vergangenen Jahr niemand geerntet, sie hängen, langsam verpilzend, noch immer zwischen den Blüten an den Bäumen.
Richard Friebe arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist in Berlin
Honigbienen sind ein Phänomen. Obwohl die Gattung Apis evolutionsgeschichtlich relativ jung ist sie entstand vor mutmaßlich 100.000 Jahren überschlagen sich viele Bienenforscher in der überragenden Bedeutung der kleinen Summer für das Gleichgewicht ökologischer Systeme.
Apis hat bislang nur eine geringe Zahl von Arten hervorgebracht. Neun sind bekannt, die westliche und östliche Honigbiene, Apis mellifera und cerana, stellen die wichtigsten dar. Es gibt allerdings auch besondere Rassen. Dass Honigbienen Staaten bilden, ist dabei hinreichend bekannt, die Besonderheit und Empfindlichkeit dieser Gemeinschaft, die durch vielfältige Mechanismen einen funktionellen Superorganismus bildet, eher weniger.
Der Bien, wie dieser aus allen Tieren und Waben einer Kolonie zusammengesetzte Körper genannt wird, funktioniert im Grunde wie ein vielzelliges Lebewesen. Als ganzes betrachtet zeigt er erstaunliche Parallelen zu den Eigenschaften der Säugetiere, vom sozialen Uterus des Bienennestes über das Stillen des Nachwuchses durch Ammenbienen, bis hin zu den ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten des Biens, die allein aus der Organisation als Schwarmintelligenz resultieren und einer Kolonie die Möglichkeit rascher Entscheidungen verleihen.
Der Honig ist jedoch das, wofür sich der Mensch in erster Linie interessiert. Honigbienen gehören zu den wenigen Insekten, die Glukose verstoffwechseln, der Honig gilt dabei der Vorratshaltung. Imkerei ist seit 7.000 Jahren belegt. Den Bien zu verstehen gilt dabei als zwingende Voraussetzung für die erfolgreiche und nachhaltige Honiggewinnung, denn Bienen lassen sich weder zähmen noch domestizieren. zintDer Bien: Ein Säugetier aus vielen Körpern
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