Soll niemand behaupten, die Bundestagsabgeordneten der Alternative für Deutschland (AfD) seien untätig! Nach wie vor wollen die Berliner AfD-Männer und ihre wenigen Frauen den politischen Gegner jagen, die Kanzlerin gar vor ein ordentliches Gericht stellen und die politische Debattenlandschaft mit kreativen Anträgen prägen. Und in der Tat sind die Parlamentssitze der AfD oftmals bis zum letzten Hinterbänkler ungewöhnlich gut besetzt. Rege platzieren die Mandatsträger ihre Zwischenrufe, lachen mal spöttisch, erstaunt oder belustigt über ihre regierungsoffiziellen Widersacher sowie die kämpferischen Kontrahenten aus den Reihen der linken Opposition. Vielfach melden sie sogar originelle Zwischenfragen an. Und wenn sich die Mitglieder der von Alexander Gauland und Alice Weidel geführten Fraktion von den sogenannten Altparteien gegängelt fühlen, animieren sie diese sogar, wie im Januar, zu einer „Hammelsprung“ genannten Bewegungsübung zwecks Feststellung der Beschlussfähigkeit des Parlaments.
Nur wenn Holocaustüberlebende zu mehr Menschlichkeit mahnen, verfallen Parlamentsfrischlinge wie der Abgeordnete Hansjörg Müller in Lethargie und versagen der Gedenkrednerin Anita Lasker-Wallfisch selbst den spärlichsten Höflichkeitsapplaus. Ansonsten aber agiert die mit allerlei hochmögenden Juristen, Professoren oder Unternehmern besetzte Partei quietschlebendig. Auch wenn das unter der Reichstagskuppel versammelte Wutbürgertum Stéphane Hessels Aufforderung „Empört Euch“ vielleicht ein wenig übertrieben beherzigt – endlich wird wieder diskutiert in Deutschland! Und diskutiert wird aktuell vor allem über die Vorgaben der AfD. So haben die alternativen Deutschen, auch wenn sie sich mitunter über gewisse Finessen der Geschäftsordnung belehren lassen mussten, in den letzten Wochen das parlamentarische Geschäft um zahlreiche Diskussionsrunden bereichert.
Nicht nur Cem Özdemir wurde von der AfD so zu allerlei rhetorischen Glanzleistungen animiert. Irritierend ist aber, dass bislang nur wenigen Politikern aufgefallen ist, dass die AfD derart zum – negativen – Maß aller Debatten wurde. Dabei sind Anträge wie die von der AfD geforderte parlamentarische Missbilligung der Satiren des Journalisten Deniz Yücel ebenso diskussionswürdig wie etwa das Pro und Contra der Witwenverbrennung. Paranoikern wie Beatrix von Storch, die noch Anfang 2016 Kanzlerin Merkel auf der bald nahenden Flucht nach Chile wähnte, sollten selbstbewusste Politiker eigentlich so begegnen wie ein erfahrener Schuldirektor dem notorischen Klassenclown gegenübertritt. Aber offenkundig trifft die AfD einen wunden Punkt unserer politischen Debattenkultur. Und was trifft, so lautet eine Spruchweisheit, trifft auch zu. Derzeit könnte die AfD sogar einen Antrag zur Einführung der Meldepflicht für illegal eingereiste Zugvögel einbringen, immer fänden sich sogleich linke, liberale, sozial- oder christdemokratische Redner, die die AfD nach allen Regeln der Kunst zerlegen. Ja, Özdemirs leidenschaftliche Antwort auf die Pogromstimmung während des sächsischen Politischen Aschermittwochs der AfD war fraglos brillant. Aber die Partei der Populisten steigt stetig in den Umfragen, weil sie eben von der Empörung der Anderen lebt. Dank der AfD wird jeder Irrsinn verhandelbar. Beugehaft für Geschlechtsleugner? Die Genderbeauftragte der Grünen widerspricht! Sofortige Zulassung von Reichsflugscheiben im öffentlichen Fern- und Nahverkehr? Ein Fall für die Mobilitätsexperten von der dienstältesten Partei Deutschlands i. Abw.! Drakonisches Verbot der Vollverschleierung in der Barfußgastronomie? Irgendein Cicero-Wiedergänger von der Spree wird da gewiss replizieren, notfalls auf Plattdeutsch.
Nur noch ein Gegenredner
Ironie beiseite: Kein Thema der AfD schien den Abgeordneten aus den Reihen der kommissarischen Regierung und Opposition zuletzt zu debil, um es nicht noch mit filigran formuliertem Widerspruch ungewollt zu adeln. Eine selbstbewusste Politikerriege jedoch würde die abweisende Kommentierung von Anträgen, die wie die AfD-Kampagne gegen Deniz Yücel lediglich in querulatorischer Absicht eingebracht wurden, einem einzigen Abgeordneten überlassen. Danach würden die Redner unabhängig von den Rechtspopulisten eigene Inhalte setzen, das Thema neu bestimmen. Hier aber hat die AfD das entscheidende Problem freigelegt – Inhalte? Welche Inhalte? Merkels Union konzentriert sich auf die Modalitäten der Thronfolge. Und in der SPD überlagern Personalfragen seit Jahren die Programme.
Der Erfolg der AfD ist somit auch ein Resultat der geistigen Leere der Republik. Es scheint, als ob eigene Positionen und Strategien gegenwärtig vor allem durch Abgrenzung von der AfD formuliert werden können. Das aber ist zur Abwehr der deutschnationalen Opposition arg wenig. Derweil sitzen die Jäger von der AfD auf ihren Parlamentshochsitzen und lachen über ihre Widerredner – mal höhnisch polternd, mal Überlegenheit suggerierend. Nicht ohne Grund. Denn es spricht Bände über die deutschen Zustände, dass Gaulands gäriger Haufen momentan mit seiner Karikatur parlamentarischer Eingaben die politischen Debatten vorgibt.
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