Platon und Aristoteles zur Demokratie

Antike Philosophie Sind Platons und Aristoteles Ansichten in unseren heutigen demokratischen Gesellschaften noch angemessen? Was würden sie wohl zu "@realDonaldTrump" sagen?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Donald Trumps Philosophie bewegt sich meist innerhalb von 140 Zeichen
Donald Trumps Philosophie bewegt sich meist innerhalb von 140 Zeichen

Foto: Mandel Ngan/AFP/Getty Images

Angesichts der derzeitigen politischen Lage, gekennzeichnet durch anwachsenden Populismus und fragiler werdende Demokratien, lohnt es sich von Zeit zu Zeit die Gedanken der antiken politischen Philosophen heranzuziehen. Sind ihre Ansichten in Bezug auf unsere heutigen demokratischen Gesellschaften noch angemessen?

Wenn Aristoteles zum Beispiel der Auffassung war, dass politisches Handeln ein kluges Urteil bezüglich der Dinge erfordere, die sich auf die eine oder auf die andere Weise verhalten können, oder wenn nach Platon politische Entscheidungen von Experten getroffen werden sollten, die ihr Handeln an der Wahrheit orientieren; sind dann solche normativen Ansichten auf demokratische Gesellschaften übertragbar und werden sie ihnen gerecht?

Doch zunächst die Frage: Was zeichnet demokratische Gesellschaften aus?

Hierunter verstehe ich solche, in denen das Volk der eigentliche Souverän politischer Entscheidungen ist, ob nun in plebiszitärer oder repräsentativer Form. Demokratischen Gesellschaften sind Prinzipien und Werte wie Gewaltenteilung und Freiheit – insbesondere Freiheitsrechte des Einzelnen - immanent, in denen politische Entscheidungen verfassungsmäßigen Grenzen unterliegen. Insbesondere in Bezug auf demokratisch-repräsentative Systeme wird Herrschaft immer nur auf Zeit durch Wahlen verliehen. Demokratische Gesellschaften werden hier somit als eine Mischform aus griechisch-antiken, athenischen und modernen Auffassungen verstanden. Es wird somit nicht an der insbesondere negativen Konnotation der Demokratie nach Aristoteles, als einer an Einzelinteressen orientierten Mehrheitsherrschaft zu Lasten der Minderheit, festgehalten. Gerade moderne demokratische Gesellschaften zeichnen sich durch Minderheitenschutz, politisch kultivierten Streit und Interessenausgleich aus.

Wenn wir nun Platons Forderung nach Experten als den politischen Entscheidungsträgern aufgreifen, so sollten wir wissen, dass der antike politische Denker in der Politeia darunter Philosophen verstand, die durch ihre Tugenden – speziell die Weisheit – dazu berufen seien politische Entscheidungen zu treffen. Platon verstand Weisheit als die Einsicht in das Staatsganze. So würden in dem Modell Platons die Philosophenkönige zum Wohl der Allgemeinheit handeln. Diese Gemeinwohlorientierung an sich ist für demokratische Gesellschaften in einem angemessenen Maß wünschenswert. Platon setzt indes das Wohl des Staates grundsätzlich über jenes des Einzelnen, was nicht mit unseren Formen freiheitlicher Demokratien in Einklang zu bringen ist, die die Rechte des Individuums in besonderem Maße schützen.

Zudem ermangelt es dem Philosophenkönigtum als Herrschaftsform an einer demokratischen Legitimation durch das Volk, die anders als bei heute noch bestehenden Monarchien, wie derjenigen des Vereinigten Königreichs dessen zentraler Parlamentszweig durch Mehrheitswahl gewählt wird, besteht. Weiterhin würde ein Philosophenkönigtum auch mit mehreren Königen, durch die zu starke Konzentration von Macht auf wenige Personen, dem Modell der Demokratie als Volksherrschaft entgegenstehen.

Würden wir Platons Forderung nach tugendhaften einsichtigen Philosophen als den Politikern für sich nehmen, wäre das eine hehre Forderung. Doch würden sich solche Menschen überhaupt auf unser heutiges politisches System einlassen?

Mit Blick auf Platons Steuermannsgleichnis, würde der wahre, kundige Steuermann sich nicht selbst zur Leitung des Schiffs anbieten und nicht mit der übrigen unfähigen Besatzung darum streiten das Schiff zu lenken. Insofern ist es schwer in unseren modernen Demokratien diejenigen Sachkundigen, die auch noch über sittlich wertvolle Eigenschaften verfügen dazu zu bewegen in einen politischen Wettstreit zu treten. Diejenigen Experten, die sich Platon also vorstellt, die in „Liebe zur Weisheit“ regieren würden und nach der „Wahrheit“ streben, würden sich den in unseren modernen Gesellschaften oft intriganten und polemisch geführten Wahlkämpfen wohl nicht aussetzen, weil sie sich dann nur so verhalten würden, wie die unfähigen Matrosen auf dem Schiff. Dann wäre ihnen das Ringen um Macht wichtiger als die Suche nach „Wahrheit“ oder der Idee des „Guten“. Sie würden ihre Zeit lieber mit der Philosophie verbringen. Sie hätten sich beispielsweise nicht auf einen Wahlkampf à la Donald Trump wie in den USA eingelassen, in denen es weniger um die Diskussion politischer Inhalte als vielmehr um die Diffamierung des politischen Kontrahenten ging. Mit einem sich an bestimmte Regeln haltenden politischen Streit hatte dieser Wahlkampf nur noch wenig zu tun. Ein ähnliches Missfallen würden die platonischen Philosophen ebenfalls an politischen Parteien hegen, die in unseren Gesellschaften die maßgeblichen Rekrutierungsorgane für politisches Personal darstellen und in denen Machtkampf und Eigeninteresse auch keine untergeordnete Rolle spielen. In Parteien würden sich die „Experten“ auch nicht selbst zur Wahl stellen, sondern müssten, um nochmal auf das Schiffsgleichnis zu rekurrieren von anderen vorgeschlagen werden. Insofern wäre es schwierig sachkundige tugendhafte Politiker nach platonischem Verständnis zu gewinnen.

Aristoteles vertrat hingegen die Ansicht, das politisches Handeln ein kluges Urteil bezüglich der Dinge erfordere, die „sich so oder auch anders verhalten“ können. In einer sich schnell verändernden Welt müssten politische Entscheidungen auf der Grundlage vernünftiger und richtiger Überlegung gefällt werden. Voraussetzung um „richtig“ urteilen zu können, sei ein gewisses Maß an Erfahrung. Aristoteles beschreibt die Klugheit also als „ein[en] untrügliche[n] Habitus vernünftigen Handelns (...) in Dingen, die für den Menschen Güter und Übel sind“.

Mit der Ratio hat heute so manches Gebaren von Politikern wie Donald Trump nur wenig zu tun, wenn sie zu jeder Tages- und Nachtzeit in sozialen Netzwerken wie Twitter Kurznachrichten veröffentlichen und dadurch bereits vor ihrer Amtseinführung kleinere diplomatische Krisen auslösen. Viele Tweets des neuen US-Präsidenten oder beispielsweise sein Telefonat mit Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen sind aus aristotelischer Sicht nicht deshalb unklug, weil sie keine inhaltliche Aussage oder Kritik haben. Das haben sie, wobei die Sinnhaftigkeit der Äußerungen noch auf einem anderen Blatt steht. Sie sind aber nach Aristoteles deshalb unklug, weil sie kein Produkt gründlicher Überlegung sind. Bei dem Versuch einer objektiven Betrachtung der Handlungen von Herrn Trump, entsteht jedenfalls oft der Eindruck, als beziehe er nicht die etwaigen Auswirkungen seines Verhaltens in die Frage ein, wie er denn handeln solle, als handele er stets ad hoc. Gerade weil Politik in den Bereich der Handlung falle, sie kein feststehender Sachverhalt, sondern ein sich wandelnder Prozess ist, müssten nach Aristoteles politisch kluge Entscheidungen getroffen werden, die sich auch am Maßstab der Verhältnismäßigkeit orientieren.

Zugegebenermaßen war politisches Handeln in den Stadtstaaten des antiken Griechenlands, den Poleis, wohl weniger komplex. Ein kluges Urteil in politischen Entscheidungen ist in Zeiten der steigenden Vernetzung von Menschen und Gütern zwar schwieriger, da umso mehr Auswirkungen auf andere Bereiche berücksichtigt werden müssen, aber umso wichtiger denn je. Wenn in einer Zeit des steigenden Vertrauensverlusts der Bürger in ihre gewählten Vertretrer das politische Personal durchweg vernunftgeleitet, besonnen und mit Augenmaß handelt (und die Bevölkerung das auch erkennt), dann kann diese phronesis ein maßgeblicher Baustein sein die demokratischen Gesellschaften zusammenzuhalten. Das Vertrauen der Wählerschaft in ihre Politiker ist in demokratischen Gesellschaften der Kitt, der ihnen die notwendige Zustimmung zukommen lässt und Stabilität gewährleistet. Nicht ohne Grund stehen deutsche Politiker wie der voraussichtlich nächste Bundespräsident oder der verstorbene Altkanzler Schmidt in der hohen Gunst der Bevölkerung. Sie zeichneten und zeichnen sich nicht nur durch Sachkenntnis, sondern ebenso durch ein hohes Maß an Erfahrung und rationalem Handeln aus.

Insofern ist Aristoteles’ Ansatz der Klugheit als das der Politik angemessene Vermögen für demokratische Gesellschaften durchaus passend. Im Vergleich dazu lässt sich Platons Modell der an der „Wahrheit“ orientierten Philosophenkönige als den Experten, die politische Entscheidungen treffen nicht demokratisch legitimieren. Ebenso geht die zu starke Gemeinwohlorientierung Platons nicht mit den hier definierten Demokratien einher, die sich besonders durch Freiheitsrechte des Individuums auszeichnen. Dass an sich weise tugendhafte Menschen die politischen Entscheidungsträger sein sollten, wäre für heutige demokratische Gesellschaften nur förderlich, doch bleibt nach Platon das Problem der Rekrutierung solch politischen Personals.

Hätten wir tugendhafteres politisches Personal nach Platon und Aristoteles, vielleicht wäre der negative politische Populismus dadurch ein Stück mehr eingehegt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden