Ein Schloss in der Romagna

Doppelspirale In seinem Debütroman geht der junge bosnisch-kroatische Autor Igor Stiks mit Eleganz und handwerklicher Finesse den Klischees der postjugoslawischen "Traumaliteratur" aus dem Weg

Seine Madame Bovary mit einem Boot vergleichend, ärgerte sich Gustave Flaubert einst, dass man darin "allzusehr die Schrauben" bemerke, "die die Bretter des Kiels zusammenhalten". Das literarische Kunstwerk überlässt nichts dem Zufall, es ist ein mühsam konstruiertes mechanisches Gebilde, das umso mehr Kunst wird, je weniger Einblicke es in die Fabrikhallen seiner Produktion gewährt.

Igor Stiks Romandebüt Ein Schloss in der Romagna lässt die Schrauben am Kiel vergessen - so elegant sind seine Planken gewölbt und zusammengefügt. Die deutsche Fassung des Buches liegt nun in einer sehr guten Übersetzung von Klaus Detlef Olof vor. Igor Stiks (dessen slawisierter Nachnahme mit seinem Urgroßvater, einem Kaufmann aus Wr. Neustadt in die nordkroatische Podravina kam) hat es vor zwei Jahren im Alter von 23 Jahren in Zagreb veröffentlicht. Als Form wählte der junge bosnisch-kroatische Autor die Parallelerzählung und als Sujets - nicht minder ungewöhnlich - das Norditalien des Jahres 1534 und die dalmatinische Insel Rab des Jahres 1948, dem Jahr des Beginns der titoistischen Stalinistenverfolgung in Jugoslawien.

Die Rahmenhandlung: Der Autor, ein junger Bosnier - wie Stiks gerade dem Krieg entkommen -, besucht mit zwei Feundinnen das Castel Mardi in der Romagna, wo der von ihm bewunderte (fiktive) Renaissancedichter Enzo Strecci die letzten Wochen seines Lebens verbrachte. Der Touristenführer ist ein gemütlicher, sarkastischer alter Mönch und entpuppt sich auch als Spross des Balkans - er nimmt den Autor beiseite, um ihm an jenem Nachmittag zwei historische Liebesgeschichten zu erzählen, die diesen schnell seine Begleiterinnen vergessen lassen: die Geschichte des Enzo Strecci - und seine eigene: die des Niccolò Darsa von der Insel Rab.

Nachdem die Habsburger die Lombardei okkupiert haben, entfernt der einflussreiche piemontesische Kaufmann Strecci seinen Sohn Enzo, einen jungen Draufgänger und Poeten, aus der Gefahrenzone und schickt ihn zu seinem alten Freund Francesco Mardi, der als Lokalfürst in der Romagna dem Expansionswillen Karls V. trotzt. Während Mardi sich unentwegt auf die Jagd nach allerlei Kleinwild und habsburgischen Spionen begibt, macht sich sein junger Gast auf die Jagd nach "köstlicherem Wild": nach Mardis Gattin Caterina. Der adoleszente Verführungsnarzismus wandelt sich jedoch in wahre Liebe, die - zu Streccis Verhängnis - erwidert wird.

Auch der zweite Erzählstrang handelt von einer Liebe, die dem Erzähler selbst, Niccolò Darsa, im Alter von 18 Jahren zum Verhängnis wurde. Er verliebt sich 1948 in die Tochter des neuen Milizkommandanten von Rab, welcher nicht nur bereit ist, mit eiserner Faust - wie es die jugoslawische Politfolklore verordnete - sein Land "wie den eigenen Augapfel" zu schützen (zu dieser Zeit vor allem vor moskautreuen Kommunisten), sondern auch seine Tochter Petra. Der Sohn des italienischstämmigen "Verräters" Darsa bietet ihm willkommene Gelegenheit, zwei Fliegen auf einen Schlag zu erledigen. Der herzkranke Darsa schickt seinen Sohn Niccolò ins sichere Triest, von wo dieser aber - gepeinigt von Sehnsucht und gegen jede Gefahr blind - zurückkehrt.

Auf 143 Seiten versteht es Stiks mehr und besser zu sagen als die meisten handelsüblichen historischen Schwarten auf einem Vielfachen an Papier. Scheinbar beifällig und immer unerwartet streut er kleine Aphorismen über die Psychologie der Liebe in den rasanten Strom der Handlung.

Beide Erzählstränge winden sich ihren tragischen Höhepunkten wie eine Doppelspirale entgegen, deren Berührungspunkte durch die dramaturgischen Motive Verführung - Glück - Verrat - Untergang markiert werden.

Manchmal, besonders in Enzo Streccis Geschichte, hüllt der Autor das Geschehen ins Brokatgewand einer antiquierten Sprache und genießt das Rascheln dieser historischen Robe mit der Gewissheit, sich geschickt gegen den Vorwurf des Geschmäcklerischen immunisiert zu haben. Schließlich legt er diese Sprache dem Erzähler Niccolò Darsa in den Mund. Und der schmückt als zirkumadriatischer Sinnenmensch seine Rede mitunter üppig. Nie jedoch gerät die schlichte Eleganz der Erzählung zum Selbstzweck, stets bleibt sie gehorsamer Diener der Handlung.

Die junge postjugoslawische Literatur beliefert den westlichen Kulturmarkt mit unzähligen Tagebüchern des Trotzes, des Traumas und der Hoffnungslosigkeit, bei denen der Ereigniswert nur zu oft höher dotiert ist als ihr literarischer, und von denen sich manche lesen, als hätten die Autoren und Autorinnen ihre Inspirationen eher aus den Filmen Kusturicas und Paskaljevics bezogen als den eigenen Biographien. Bezeichnend, dass gerade einer, der Schmerzen und Chancen der Entwurzelung nur zu gut kennt - die Familie Stiks flüchtete von Sarajevo nach Zagreb - um die Moden des Marktes einen Bogen macht und sich schwierigere Aufgaben sucht.

Keineswegs lässt sich die Geschichte des Niccolò Darsa als Dokument antikommunistischer Vergangenheitsbewältigung, postjugoslawischer Selbstverleugnung lesen. Denn die Verfolger verfolgen im Namen eines vom Westen unterstützten Regimes, die Verfolgten selbst sind moskautreue Kommunisten - und die rangieren nach der Historisierung der Nazigräuel und Hofierung der Sudetendeutschen bekanntlich an den untersten Plätzen der Sympathieskalen. Auch keine linke Kritik des Titoismus lässt sich daraus ableiten, denn wenn Stiks den Niccolò Darsa nach der Flucht aus dem Gefängnis leichtsinnigerweise zum Elternhaus zurückkehren lässt, um dort mit dem Ausrollen der roten Fahne die Nomenklatura des Ortes zu verhöhnen, so ist das keine ideologische Manifestation, sondern bloß die private Respektbekundung vor dem toten Vater - und dessen Idealismus.

Handelt Stiks Roman also von der Liebe, die an der politischen Repression scheitert, von ihrer Niederlage und ihrem Triumph über den Tod hinaus? Auch solch eine Erklärung greift gleichermaßen zu weit und zu kurz. Denn als gute Prosa findet sich ihre Wahrheit nicht in irgendeiner Botschaft, sondern lediglich in der Stringenz der Erzählung und ihrer Form. Mehr kann gute Literatur nicht - und soll sie vielleicht auch nicht. Doch als Fleißaufgabe erteilt Stiks, bei dem Esprit und handwerkliche Kompetenz - ungewöhnlich für einen Autor seines Alters - einander auf glückliche Weise ergänzen, seinen Lesern und Leserinnen sogar ziemlich spannenden Geschichtsunterricht.

Igor Stiks: Ein Schloss in der Romagna, aus dem Kroatischen von Klaus D. Olof. 143 S., Folio-Verlag, Wien 2002, 143 S., 18 EUR

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