Born to be Ossi

THEATER Jo Fabian setzt mit »steinberg.born to be wild« den Ost-West-Konflikt multimedial in Szene

Mit dem Konzept seiner jüngsten Co-Produktion (steinberg. born to be wild ist ein Stück von Ulrich Preuß nach einer Idee von Fabian) schlägt Jo Fabian gleich drei Fliegen mit einer Klappe. Er gewinnt das Theaterpublikum mit der spannenden Inszenierung einer Ost-West-Parabel; er lockt die Kinogänger mit einem amerikanischen Road-Movie und die Punkfans mit einem Konzert der Potsdamer Band »The Inchtabokatables«. So dass der Abend nach einer dialogintensiven Theater-Stunde und einer halbstündigen Film-Persiflage in eine melodiöse Punk-Performance mit elektrischen Geigen und Cello mündet. Fabian liefert damit ein überzeugendes Beispiel, wie die transmediale Verschmelzung von E und U aussehen könnte. Das sicherlich politischste Stück der zuendegehenden Berliner Spielzeit enthält kraft dieser selbstbewussten Kombination disparater Elemente und seiner stringenten Ironie gleichzeitig einen enormen Unterhaltungswert. Und Punk-Musik war schon lange nicht mehr so politisch wie an diesem Theater-Abend an der Hebbel-Bühne.

Steinberg, der Bankfilialleiter aus dem ehemaligen Osten, hat ein Verbrechen begangen: er hat nach der Wende Karriere gemacht. Dafür muss er sich vor seinen Vernehmern (die die Stasi-Praktiken auf gespenstisch perfekte Weise beherrschen) verantworten. Die Fakten, auch wenn sie erfunden sind (er habe seine Bank in die Luft gesprengt und sei Mitglied einer ostdeutschen Terror-Fraktion), sprechen von Anfang an gegen ihn. Wie Kafkas Josef K. ist er schuldig gesprochen, bevor noch irgend etwas bewiesen wäre. Was ihm im Grunde zur Last geworfen wird, ist die nackte Tatsache seiner (Ost)Existenz. Er kann sich seinem Verhörer gegenüber - der mit emotionsloser Gelassenheit einzig das Ziel verfolgt, aus ihm ein Geständnis herauszuholen - drehen und winden wie er will: er hat keine Chance.

Das Ganze wäre nichts anderes als eine neue Version des Dostojewskischen Großinquisitors, zugespitzt und auf deutsch-deutsche Verhältnisse umgelegt, wären da nicht diese Dialoge, die das Prinzip der dialektischen Wahrheitsfindung (Motto: wo es was zu suchen gibt, ist auch was zu finden) in absurde Höhen schrauben. Die Komik, die aus dieser Grausamkeit entsteht, besitzt stellenweise irrwitzige Ausmaße. Am Schluss weiß der Zuschauer nicht mehr zwischen Täter und Opfer zu unterscheiden. Steinberg gerät ohne eigenes Zutun in die Rolle eines politischen Häftlings und wird zur Identifikationsfigur für eine ostdeutsche Untergrundbewegung, die nun tatsächlich zehn Jahre nach der Währungsunion eine Bankfiliale nach der anderen in die Luft jagt. Da seine Frau ein in der DDR untergetauchtes RAF-Mitglied sein soll, verdichten sich die Indizien auch für die Zuschauer immer mehr im Sinne von Steinbergs Anklägern.

Fabians Inszenierung in der Bühne von Karl Wedemeyer setzt auf schlichte Plastizität. Das Publikum blickt durch Gitterstäbe auf das kahle, in kühles Zellenblau getauchte Arrangement von zwei Stühlen und einem Tisch, an dem sich die beiden Schauspieler in einem klaustrophobischen Wortgefecht aneinander verketten, sowie ein zweites Paar Tisch und Stuhl, welches das Sprechzimmer markiert, in dem Steinberg anfänglich noch Besuch von seiner Frau erhält. Über ihren Köpfen und zwei Drittel der Bühne ausfüllend dominieren Dia-Projektionen das dramatische Geschehen. Bilder von Gefängnisfluren und Snapshots vom Angeklagten aus besseren Tagen kommentieren als visuell aufgeplusterte Urlaubsfotos und schmutzige Reality-Videos das geballte Dialog-Pingpong, in das sich in regelmäßigen Abständen der Chef-Inquisitor persönlich via Mikrofon (er befindet sich eine Etage über der Gefängnis-Szenerie) mit gelassenem Machtbewusstsein einblendet. Das Timing wird von Licht- und Tondramaturgie bestimmt. Ein schneidender Lagersirenenton beendet das jeweilige Verhör, und hinter der Leinwand werden die Musiker sichtbar, die live das Stück begleiten. Das nimmt der angespannten Bühnensituation die Ausweglosigkeit und gibt der Action Futter.

Der darauffolgende Videofilm kann es mit jedem B-Movie aufnehmen. Die Handlung geht in einen Satz. Einem Mann mit Sonnenbrille wird an einem Drive-In das Auto geklaut und er nimmt die Verfolgung bis zum explosiven Ende auf. Das Ganze ist weniger dilettantisch als einfach schlecht gefilmt und beinhaltet alles, woraus in kritischer Perspektive das Action-Kino besteht: ein cooler Typ, Waffen, Autos, ewig lange Landstraßen und ein pyromanischer Showdown. Seinen eigentümlichen Reiz erhält diese halbe Stunde Film durch den simplen Clou, dass er ohne Sprache auskommt. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem vorhergehenden Theaterstück lässt sich nicht ausmachen. Den muss man sich zusammenreimen. Zum Beispiel dass die USA in den Augen des Ostens so verkommen ausgesehen haben mag, oder so frei.

Fabian, der auch die Kamera bediente, widersetzt sich jedenfalls entschieden der Versuchung, im Film gleich perfekt sein zu wollen wie am Theater. Die Haußmannsche Sonnenallee ist nicht nur meilenweit entfernt - sie wird hier konsequent mit ausgewaschenen Bildern lustvoll verhöhnt.

Der Leadsänger der »Inchtabokatables« heisst Robert Beckmann, hat aufgerissenere Hosen als Johnny Rotten, turnt mit dem Mikro über die Bühne wie Mick Jagger und spielt eine elektrische Violine. Er macht das divamäßig souverän und für das Genre Punk äußerst rockig. Die Band hat mittlerweile an die sechs CDs rausgebracht und besitzt in der Szene einen gewissen Kultstatus. Der Theater-Guru Jo Fabian hat in ihm eine adäquate Ergänzung gefunden.

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