Fanal

Verzweifelter Protest Vor 40 Jahren verbrannte sich Jan Palach in Prag

An dem Begräbnis in Prag nahmen weit über hunderttausend Menschen teil. Es war nicht nur ein Abschied vom Studenten Jan Palach, der am 19. Januar 1969 an den Folgen seiner Selbstverbrennung gestorben war. Es erwies sich als traurige Massenzeremonie, bei der auch der Traum von einem "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" zu Grabe getragen wurde.

Palach hatte sich am 16. Januar 1969 um 16 Uhr auf dem Prager Wenzelsplatz mit Benzin übergossen und angezündet. "Ich bin keine Selbstmörder", sagte der 21-Jährige bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus zu den Ärzten. Da nur 15 Prozent seiner Haut von den Verbrennungen verschont geblieben waren, hatte er keine Überlebenschance. Er starb nach drei Tagen.

Sein Entschluss mag ein tragischer Fehler gewesen sein, aber er war politisch wohl durchdacht. Die Forderungen, die er aufgestellt hatte, waren klar formuliert, konkret und schienen nicht unerfüllbar: Vollständige Aufhebung der Pressezensur und Einstellung der Zeitung Zprávy (Nachrichten), ein von der sowjetischen Besatzungsbehörde herausgegebenen Blatt.

Palach unterzeichnete seine öffentliche Erklärung mit "Fackel Nr.1", weitere Freiwillige stünden bereit, seinem Beispiel zu folgen, hieß es darin. Eine politische List, mit der er den Druck auf die Regierung und die Besatzer zu erhöhen glaubte. Denn eine Gruppe von "Freiwilligen" hat es nie gegeben. Walter Ulbricht, der sich von Anbeginn als unerbittlicher Gegner der Prager Reformen hervorgetan hatte, war auch diesmal im Bilde. Vom Skiurlaub schrieb er am 28. Januar 1969 an Erich Honecker, die Selbstverbrennung von Palach sei durch "terroristischen Druck und mit Betrugsmethoden einer feindlichen Gruppe" erfolgt, "die offenkundig mit einer westdeutschen Agentenzentrale in Verbindung steht".

Was war das für eine Situation, in der Palach seinen Entschluss gefasst hatte? Als im November das tschechoslowakische Parlament die "vorübergehende" Anwesenheit der sowjetischen Besatzungstruppen gesetzlich festschrieb, war unschwer zu erahnen, dass mit "vorübergehend" ein "auf ewig" gemeint war. Die Realität des Besatzungsregimes begann den inneren Rhythmus des Landes vorzugeben und sich in den Köpfe der Menschen festzusetzen.

Die Verunsicherung wurde noch dadurch verstärkt, dass die ursprünglichen Protagonisten der Reformen, auch Dubcek, nun unter großem Druck von außen, ihr eigenes Werk demontierten. Sie schienen das Land vor dem Schlimmsten bewahren zu wollen und waren - bis zu ihrer Absetzung - doch nur Werkzeuge der Besatzungsmacht.

Palach erkannte das Doppelspiel der hohen Politik. Entscheidend für seinen folgenreichen Entschluss dürfte der Novemberstreik der Prager Studenten gewesen sein, an dem er sich aktiv beteiligt hatte: Der Protest war im Sande verlaufen, ohne dass eine einzige Forderung, etwa die Aufhebung der Pressezensur, erreicht worden war. Von dem Moment an schien sich Palach nur noch auf seine "Aktion", wie er es nannte, zu konzentrieren. Mit ihm betrat ein bislang unbekannter Aktivist der Studentenbewegung die Bühne, der sein Leben in die Waagschale warf, um seine Mitbürger vom völligen Abrutschen in die Lethargie abzuhalten. Vorbild waren ihm buddhistische Mönche im fernen Südvietnam, die sich aus Protest gegen die Saigoner Marionettenregierung öffentlich selbst verbrannten.

Die Kunde von Palachs Tat verbreitete sich blitzartig im ganzen Land. Die Anteilnahme am Schicksal des Todgeweihten war überwältigend. Kaum jemand ist auf den Gedanken gekommen, die "Reinheit" von Palachs Motiven anzuzweifeln. Ein Märtyrer, dessen Tat das Gefühl von Lähmung, das auf dem Land lastete, für einen Augenblick zu unterbrechen schien.

Die Selbstverbrennung vom Wenzelsplatz bewirkte zwar ein kurzfristiges Wiederaufflammen von Protesten, ein Fanal für einen nachhaltigen Widerstand wurde sie nicht.

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