Der Altruismus-Level

Gesellschaft Wie viel seiner Einnahmen gibt ein Bürger für den Konsum aus, welche Struktur weist das Gekaufte aus, in welcher Form ist die Gesellschaft an diesem Konsum beteiligt?

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Die Umsatzsteuereinnahmen stellen für die Bundesländer und die Kommunen eine der wichtigsten Einnahmequellen dar. Sie erhalten knapp die Hälfte der über 194 Milliarden Euro, die 2012 eingenommen wurden. Die Umsatzsteuer hat einen Anteil von knapp einem Drittel am Gesamtsteueraufkommen der Bundesrepublik Deutschland (...)

An Konsum gekoppelt

Eine Besonderheit dieser Geldquelle ist dabei, dass sich jeder Bürger als Konsument daran beteiligt: Der Reiche wie der Arme, Sozialtransferleistungsempfänger wie selbst kleine Kinder. Jeder, der Geld in die Hand nimmt, stellt somit eine der Haupteinnahmequellen des Bundes und der Länder wie Hessen sicher. Keiner, der isst, trinkt, ins Kino geht oder auch nur seinen Lieblingssong im Internet kauft, kann sich dieser Steuer entziehen. Sie ist somit die ehrlichste Steuer, aber auch die den einzelnen Bürger am intensivsten durchdringende Steuer. Über die Konsumsteuer beteiligt sich somit auch das schwächste soziale Mitglied an einer der wichtigsten Einnahmequellen der Gemeinschaft. Mal mit 7 %, mal mit 19 %.

Die Mehrwertsteuer ist dabei eine von vielen Steuern, die an den Konsum gekoppelt sind, aber in realiter ist jeder betroffen. Jeder, der eine Versicherung, hat durch die Versicherungssteuer. Alle, die Licht haben wollen, durch die Stromsteuer. Dazu noch eine Fülle an weiteren Steuern wie die Tabaksteuer für Raucher, die Energiesteuer fürs Heizen, die Kfz-Steuer für Autofahrer, die Hundesteuer für Hundeliebhaber und so weiter und so fort.

Meßzahl der gesellschaftlichen Rückgabe

Interessant wird es bei der Frage danach, wie viel Prozent der persönlichen Einnahmen ein Bürger für den Konsum ausgibt, welche Struktur das gekaufte Produkt oder die in Anspruch genommene Dienstleistung aufweist und in welcher Form die Gesellschaft an diesem Konsum beteiligt ist – denn dieser Prozentsatz bestimmt dessen persönlichen Altruismus-Level im finanziellen Bereich. Es ist eine Maßzahl, die offenbart, wie viel Prozent des Einkommens in welcher Form der Gesellschaft zurückgebracht wird. Jemand, der seine Einnahmen in Immobilien investiert, leitet das Geld im Normalfall an den Eigentümer – es sei denn, es ist ein Fonds, dann an mehrere Anteilseigner −, wer eine teure Yacht kauft, an den Hersteller, der eine satte Gewinnspanne kalkuliert. Bei Luxusgütern, die normalerweise sehr hochpreisig sind, sind die Gewinnspannen extrem. So verdiente beispielsweise der weltweite Branchenführer in der Luxusgüterindustrie LVMH Moët Hennessy – Louis Vuitton, der Mehrheitsrechte an über 60 verschiedenen Luxusmarken hält, im Jahr 2012 bei einer Rendite von über 20 % knapp 6 Milliarden Euro, alle Kosten inklusive, also mit Vertriebs-, Verwaltungs-, Forschungs-, Entwicklungskosten und sonstigen Einnahmen oder Ausgaben. (...)

Zusammengefasst formuliert: Bei Grundkonsumleistungen sind die Gewinnmargen eher mager, bei hochpreisigen oder luxuriösen Gütern sind diese sehr hoch. Im ersten Fall geht das ausgegebene Geld in den Kreislauf der Gesellschaft(en) weitgehend zurück, im letzteren verbleibt ein satter Teil bei den Eigentümern oder Gesellschaftern.

Der Altruismus Level wird dabei durch einen Altruismus-Index bestimmt. Dieser benennt, wie viel ein Individuum auf Basis seiner maximalen Wertschöpfungs- möglichkeiten in die Gesellschaft einbringt. Wertschöpfung beschreibt dabei letztlich die Abgreifpotentiale des Staates oder der Eigentümer. Das Besondere dabei: Es kommt nicht auf den quantitativen Mehrwert an, also beispielsweise nicht auf die absoluten Zahlen bei der Steuer, sondern darauf, inwiefern generierte Wertschöpfung relativ in den gesellschaftlichen Kreislauf zurückfließt. Gesellschaftlich betrachtet bedeutet der Altruismus-Level vor allem eines: In welcher Form und mit welcher Intensität bringt sich das Individuum in die Gesellschaft ein – gewollt oder nicht?! In welcher Form gibt also der Kellner, die Krankenschwester, der Bankangestellte oder Arbeitslosengeldempfänger etwas in den Finanztopf der Allgemeinheit? Oder durch den Kauf an Lebensmitteln den Firmen Geld, die Arbeitsplätze schaffen. Oder durch den Besuch eines örtlichen Kinos dem lokalen Gewerbe Einnahmen. Oder durch das Tanken seines Autos Geld dem Tankwart und Mineralölsteuern dem Staat. Und zu welchem Anteil kommen Ausgaben nur wenigen Bürgern zugute, einzelnen oder vielen?

Wichtiger Klebeffekt

Der Altruismus-Level ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ein wesentlicher Klebefaktor. Ist dieser hoch, verdient der Staat mit: durch die Mehrwertsteuer und die Gewinnsteuer für Unternehmen, durch die Tabaksteuer und Mineralölsteuer, durch eine Vielzahl weiterer Abgaben.

Der Bund, aber auch die Bundesländer wie Hessen sollten aus politischer Sicht diesen Altruismus-Level stärker in Überlegungen des politischen Alltags mit einbeziehen. (...)

Harte Währung im Kampf um Anerkennung

Des Weiteren gilt: Dies könnte zu einer Höherbewertung auch sozial schwacher oder einkommensschwacher Menschen führen und den Anteil angemessen beurteilen, den diese Kräfte in den gesamtgesellschaftlichen Prozess mit einbringen.

Der Altruismus-Level kann somit eine harte Währung im Kampf um Anerkennung sein. Auch von gesellschaftlichen Kräften, die im politischen Ringen um Mehrheiten und Gehör tätig sind: Gewerkschaften, Verbände, Parteien und andere Interessengruppen.

Ein hoher Altruismus-Level bedeutet: Ich behalte nichts für mich, sondern gebe zurück. Ich gebe so zurück, dass viele Partizipieren und nicht nur wenige.

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Im Umkehrschluss bedeutet ein niedriger Altruismus-Level aber: Ich behalte mehr von dem, was ich verdiene, für mich, oder ich gebe nur wenigen, die viel für sich behalten. Ich benötige vielleicht später weniger von der Gesellschaft, weil ich viel angespart und vorgesorgt habe, ich habe dafür aber in all den Jahren zuvor relativ gesehen weniger gegeben und relativ weniger in die Gesellschaft eingebracht. Altruismus-Intensität umgreift also mehr als nur Steuerzahlungen.

Die soziologischen Auswirkungen sind elementar:

  • Durch diese Beschreibung wird erreicht, dass authentisch Auskunft darüber gegeben werden kann, wie sich ein Mensch in die Gesellschaft einbringt – nach seinen Kräften, nach seinen Möglichkeiten.
  • Und wo ein Individuum trotz möglicher Schwächen in einigen Bereichen (wie Armut) doch ein wertvolles und teilhabendes Element dieser Gesellschaft ist.
  • Es dient zur Entschärfung gesellschaftlich negativer Debatten über „Schmarotzer“ und zur Verringerung der Einengung des Blickwinkels auf nur einige Bereiche der Gesellschaft, die auf wirtschaftliche Effizienz in Form von reiner Einkommensgenerierung abzielen.
  • Es hilft bei einer Neubelebung der Diskussion darüber, welchen teilhabenden Wert Menschen innerhalb einer Gesellschaft haben können.
  • Es ist ein harter Faktor, der interpretative Aussagen wie „intellektuelle Wichtigkeit für die Gesellschaft“ oder „hat viel durch sein Können moralisch beigetragen“, außen vor lässt.

Was bedeutet dies nun weiter für die Gesellschaft und für ein Bundesland bzw. eine Kommune?

1. Für den Bürger:

  • Der Altruismus-Level zeigt an, inwieweit sich ein Bürger als Wirtschaftswesen in die Gesellschaft mit einbringt und an deren Wertschöpfung teilnimmt. Dabei zeigt der Level die tatsächliche Einbringung an. Hohe Konsumausgaben mit einem hohen altruistischen Anteil, der vielen Kräften zugute kommt, bedeutet Mehrwertsteuer für den Staat und Umsatz für Firmen mit geringen Gewinnrenditen.
  • Jemand, der große Sparanteile hat, weist einen niedrigen Altruismus-Level aus, er entzieht sich somit dem Bild eines Gesellschaftsteilhabenden.
  • Es wertet einen Großteil der Bevölkerungsschichten wesentlich auf und schiebt diese in den Fokus der Politik, wenn deren Altruismus-Level angemessen berücksichtigt wird. Woher diese Einnahmen stammen, ist ersteinmal irrelevant.
  • Er zeigt an, dass 4,6 Millionen an Staatsbediensteten und mehr als 12 Millionen arme oder armutsgefährdete Menschen und Millionen an Kindergeldempfängern (2013 geplant: 32,9 Milliarden Euro Volumen Kindergeld) von der Allgemeinheit leben. Wenn dann noch ein Sparpotential vorhanden ist oder die Ausgaben in Bereiche gehen, die hohe Gewinnmargen aufweisen oder nur wenigen zukommt, ist der altruistische Anteil recht dürftig. Wie viel wird in einen viele Menschen und Gruppen betreffenden Wirtschaftskreislauf zurückgegeben?
  • Es könnte auch bedeuten, dass der Lebenserhalt umso gesicherter scheint, je geringer der Altruismus-Level ist. Der Altruismus-Level beschreibt also auch die Klebeeffekte eines Bürgers mit der Gemeinschaft. Je höher der Altruismus-Level, desto höher sind die Abhängigkeiten und Einbringungen, also die Klebeeffekte. Je geringer, dieser ist, desto autarker ist der einzelne Bürger, desto weniger bringt sich dieser aber in die Gesellschaft mit ein. Daher ist es selbstverständlich, dass Bürger mit niedrigem Altruismus-Anteil stärker für die (für sie bereits vorhandene) Autarkie des Einzelnen in der Gesellschaft, für mehr Eigenverantwortung und weniger Staat plädieren.

2. Für den Bund, das Land und die Kommunen:

  • Mineralölsteuer, Mehrwertsteuer, Tabaksteuer, Stromsteuer, Kfz-Steuer, Energiesteuer und sonstige Zahlungen: Je höher der Altruismus-Level jedes Einzelnen, desto qualitativ hochwertiger ist das Geld in einem gesunden Kreislauf in Bewegung. Je mehr das Geld in einem solch strukturierten Kreislauf in Bewegung ist, desto mehr kann der Staat wiederum abgreifen.
  • Auch bei der Wirtschaftsförderung sollte der Bund dies berücksichtigen: So beispielsweise im Bereich der Subventionen von Gütern und Dienstleistungen, die einen hohen Altruismus-Level befördern helfen. Und durch hohe Abgaben für Bereiche, die die Sparquote betreffen oder beim Konsum nur wenigen hilft, sprich: wo die Bruttogewinne auf den Umsatz sehr hoch sind.
  • Konsum ist wichtig. Dabei bedeutet Konsum bspw. nicht, immer höhere Mietzinszahlungen zu leisten, da Miete an Kapitalgeber gezahlt wird, die auf das eingesetzte Kapital einen angemessenen Mietzins erhalten wollen. Wie dieser aber versteuert und gegengerechnet wird, bleibt vage. Mietzinszahlungen sind daher eher vermögensbildende Prozesse. Es wäre wichtig, die Bürger für solche Konsumgüter zu sensibilisieren, die einer möglichst breiten Menge an Empfängern zugute kommen.
  • Je höher örtliche Mieten sind, desto mehr wird den Bürgern der Kommunen der Anteil am verfügbaren Einkommen genommen, der für den breiten Konsum eingesetzt werden kann und somit den Altruismus-Level heben hilft. Daher wäre die Förderung günstiger Mieten oder Mieten für Wohnimmobilien, die sich in der Öffentlichen Hand befinden, ein wichtiger Impulsgeber.
  • Politisch betrachtet sollte der Altruismus-Level entscheidend erhöht werden. Sparquote ist demnach Out, Konsumquote mit breiter Konsumsteuerung In.
  • Es sollte aus politischer Sicht ebenfalls berücksichtigt werden, inwiefern das Einkommen selbst erwirtschaftet worden ist. Interessant wäre dabei eine Studie darüber, wie das Verhältnis von breit gefächertem Konsum und selbstgeneriertem oder bereitgestelltem Einkommen ist. Letztlich spielt aber es keine Rolle, ob jemand sein Einkommen durch den Staat, sprich: den Steuerzahler, oder durch Wirtschaftsunternehmen generiert. Die Einnahmen stammen ja letztlich vom Konsum aller und bei Förderung eines breitaufgestellten Konsums bedeutet dies letztlich nichts anderes als die Förderung eines gesunden Wirtschaftskreislaufes.
  • Der deutsche Niedriglohnsektor ist einer der größten in der EU, wie das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung in einer neuen Studie betont. Daher stellen höhere Einkommen aus Sicht der Politik auch die Potentiale dafür bereit, einen höheren Konsum zu bewältigen und den Altruismus-Level durch den Kauf solcher Produkte und Dienstleistungen zu erhöhen, deren Wertschöpfung breit ist und an der viele Anteil haben.

3. Für die Wirtschaft:

  • Je höher das Einkommen der Bürger ist, desto höher der verfügbare Ertrag, der für den Konsum eingesetzt werden kann. Unternehmen ermöglichen Konsum und sind auf diesen angewiesen.
  • Unternehmen sollten in Konsumgüter investieren, die strukturell so angelegt sind, dass sie einen hohen Altruismus-Level aufweisen: Ebenso wie seit einigen Jahren der Run nach einem Co2-Footprint eingesetzt hat, bei dem den Kunden die gesamte Wertschöpfungskette entlang verkaufs- und imagesteigernd nachgewiesen wird, wie klimaneutral oder klimaschädlich die Herstellung und der Vertrieb samt Entsorgung eines Produktes ist – ebenso kann ein solcher Fußabdruck hinsichtlich des Altruismus-Level dazu beitragen nachzuweisen, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung gesellschaftsfördernd ist oder eben nicht. Der Nachweis beispielsweise darüber, dass ein Produkt eine Vielzahl an Subunternehmen zugute kommt, dass die Bruttomargen, wenn schon höher, in Bereiche investiert werden, die wiederum gesellschaftlichen Kreisläufen zugute kommen, und dass der Konsum durch alle Bevölkerungsschichten flächendeckend möglich ist – dieser Nachweis hätte sicherlich bei vorhandener Sensibilisierung der Kunden eine ebenso verkaufsfördernde wie verkaufshindernde Wirkung auf dem Markt.

(...)

Altruismus-Level erhöhen oder senken

Ziel des Staates sollte es also sein, den Altruismus-Level zu senken – wenn er für mehr Individualismus, Egoismen, Selbstversorgung, Eigenplanung, darwinistische Haltung ist, wenn er für sinnlosere Produkte und Dienstleistungen eintritt, deren Wertschöpfung nur wenigen Bürgern zugute kommt.

Wenn er für mehr Solidarität, Stärkung der Rechte der Bürger, für mehr Gemeinschaftssinn, Allgemeinfürsorge und Heimatsinn ist, wenn er für mehr Klebeeffekte und Zusammenhalt und sinnvolle Produkte und Dienstleistungen eintritt, deren Wertschöpfung vielen Bürgern zugute kommt – dann sollte das Ziel des Staates sein, den Altruismus-Level zu erhöhen.

Gekürzter Artikel aus aktuellem HessenHORN, Ausgabe August, Edition 2013. http://www.hessenhorn.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Hörner

Scriptline Verlag Richard Hörner Müllerweg 17 35325 Mücke Tel.: +49 6401 4047 288 Fax: +49 6401 4048 694 E-Mail: richard.hoerner@scriptline.de

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