Verwaltung als Dienstleister= Antidemokratie?

Verwaltung Verwaltungen wollen Dienstleister sein für den Kunden „Bürger“. Ist das Einspannen der Bürger ein Dialog oder die antidemokratische Abwälzung ureigener Aufgaben?

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Öffentliche Verwaltungen wollen heutzutage mehr sein: Dienstleister für den Kunden „Bürger“, man will kompetent Ansprechpartner sein für die hiesige Wirtschaft und alle, die sich in irgendeiner Weise für die Stadt oder Gemeinde interessieren. Dafür kassiert man auch Gebühren für Ausweise, Beglaubigungen, für Fotokopien, letztlich für jeden Stempel, den man drückt. Um etwaigen Abzockvorwürfen entgegenzutreten und um sich dem Trend der Zeiten anzupassen, orientiert man sich oftmals am privatwirtschaftlichen Servicebegriff und sieht sich als Anbieter von Servicedienstleistungen, bietet dem Bürger respektive Kunden ein Produkt an, damit sich in den Köpfen der Bevölkerungen verankert: Ich erhalte etwas für meine Steuern, Gebühren und sonstigen Abgaben.

Dienstleistungsorientiert und bürgernah

Wie so etwas vonstattengeht und wie sich so etwas weiterentwickelt, zeigt die hessische „Sonnenschein“-Gemeinde Ebsdorfergrund in formidabler Manier: Der dortige Bürgermeister betont bei jeder Gelegenheit, dass er „für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gemeinde versprechen“ könne, dass diese auch „weiterhin dienstleistungsorientiert und bürgernah“ für die Bürger da sein würde. Wie so viele andere Kommunen möchte sich die Gemeinde, so der Verwaltungschef, „auf ihr Kerngeschäft“ zurückziehen. Zudem wolle man „nicht jedem Trend folgen“ und die Gemeinde solle nicht für alles zuständig sein. So weit, so gut.

Der seit zwei Jahrzehnten tätige Gemeindechef sieht dabei Dinge, „die auch in der Privatwirtschaft wichtig“ seien: Teamfähigkeit und Wir-Gefühl. Es komme nicht auf die politische Farbe an, sondern auf einen Wettbewerb der besten Ideen und gute Personalvorschläge. Daher zögen alle an einem Strang. Wichtig sei auch eine „aktive Bürgergesellschaft“: Anstatt hauptamtlicher Kräfte müsse man mehr ehrenamtliches Engagement unterstützen, man solle Genossenschaften und Stiftungen gründen und Anreize für ehrenamtliche Tätigkeiten schaffen. Wichtig seien „Wertschätzung, Transparenz und Teilhabe“. Dies ziehe „Verbundenheit und Identität“ nach sich. Und wichtige Kompetenzen sollten nicht aufgegeben werden, hierzu zählten „Wasser, Abwasser, Müll, Kitas“, das Stromnetz und ein Breitbandnetz.

Privatwirtschaftlich inspirierter Wettbewerb

Also: Kerngeschäft, günstiger privatwirtschaftlich orientierter Bürgerservice, Teamfähigkeit, Wir-Gefühl, Wertschätzung, Transparenz und Teilhabe. Verbundenheit und Identität. Klingt nach einem Lehrbuchvorgehen. Doch dieser privatwirtschaftlich inspirierte Wettbewerb an besten Ideen und Personen hat mehrere logische Fehler.

Was bedeutet es beispielsweise für eine Verwaltung, sich die Privatwirtschaft als Vorbild zu nehmen, quasi Servicedienstleister im Sinne eines Kapitalunternehmens zu werden? Zwei Beispiele:

1. Eine Firma führt Krieg gegen andere Wettbewerber. Der Ton ist rau, ein Service dient zur Abgrenzung von Wettbewerbern, zur Kundenbindung, zum Abgreifen von Gewinnpotentialen. Man will den direkten Kundenkontakt, um die eigenen Produkte und Dienstleistungen passgenau anbieten zu können und in einen Kundendialog – der letztlich nur ein Kundenbombardement mit den eigenen Angeboten ist – treten zu können. Die Frage wäre: Wollen wir Verwaltungen, die einen wie auch immer gearteten Krieg führen wollen? Wollen wir Bürger, die nur einen vorgespielten Dialog eingehen sollen? Von wem will sich eine Verwaltung abgrenzen?

2. Was bedeuten diese Begriffe „Teamfähigkeit“ und „Wir-Gefühl“? Eine interessante Perspektive des Bürgermeisters: Teams können dann teamfähig sein, wenn beispielsweise eine gemeinsame Aufgabe und klare Ziele vorgegeben werden und jedes Teammitglied klare Aufgabengebiete hat und es klare Aufgabenteilungen und Kompetenzen gibt. Eine solche Konstellation ist in einer pluralistischen Gesellschaft nicht möglich. Es gibt innerhalb eines Unternehmens keinerlei demokratisch sich herauskristallisierende Zielsetzung. Diese wird hierarchisch, durch einen Chef oder einen Anteilseigner vorgegeben. Zudem ist das „Teammitglied Bürger“ kein konkretes Gebilde, sondern ein Format, das entsteht, wenn durch zahlreiche demokratisch legitimierte Prozesse diesem Format Rechte und Pflichten zugestanden werden und er aktiv daran teilnimmt.

Das Problem bei dem privatwirtschaftlich-orientierten Bürgerservice mit Team und Wir und Aufgabenteilung und instrumentalisiertem Bürger liegt in folgendem: Wenn eine Verwaltung in einen interaktiven Prozess mit den eigenen Bürgern eintritt, um die eigenen operativen Aufgaben passgenauer und präziser ständig neu justieren und dadurch besser erfüllen zu können – dann ist dies sinnvoll und dient der Förderung der eigenen Legitimation. Vielleicht auch zur Sympathiesteigerung. Aber wenn versucht wird, die Bürger in die ureigenen Aufgaben mit einspannen zu wollen, so ist dies kein Dialog, sondern die Abwälzung dieser Aufgaben, um als schlanke und sparsame Verwaltung dazustehen. Im eigentlichen Sinne also eine Entwertung des Formats Bürger. Ihm wird dadurch vorgegaukelt, an ständig wirksamen Entscheidungs- und Durchführungsprozessen auch ohne Kompetenzen aktiv beteiligt zu sein, während stattdessen die eigene Kontrollaufgabe des Bürgers außer Gefecht gesetzt wird. Dies deutet also auf einen antidemokratischen Vorgang hin.

Pikantes Vorgehen

Hinzu kommt eine weitere Zutat, die oftmals beobachtet werden kann, ebenso im Ebsdorfergrund. Hier betont der Bürgermeister selbst: Wenn die Minderheit das, was die Mehrheit mache, schlecht reden würde, entstünde kein „Vertrauen in die kommunalpolitischen Entscheidungen“. Den pluralistisch aufgestellten „Teammitgliedern Bürger“ wird also von vornherein mitgeteilt, wer die Zielsetzungen durchführt – das ist bei einer privatwirtschaftlich orientierten Strategie sicherlich nur ehrlich. Aber bei einer öffentlichen Einrichtung ein höchst pikantes Vorgehen: Denn wer von dem Bürger spricht, den man einbinden wolle, aber naturgemäß nicht alle Bürger mit einbeziehen kann, gleichzeitig aber von vornherein kritische Stimmen als Misstrauen gegen kommunalpolitische Entscheidungen und Minderheit diskreditiert – stellt nicht fehlendes Vertrauen fest, sondern erzeugt dieses erst.

Auch Kommunen, die sich als Dienstleister verstehen im Sinne der freien Wirtschaft, sollten daher diese Ansätze ständig hinterfragen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Hörner

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