Das Übel sitzt auf dem Sofa

Freiheit der Satire Wenn halb Deutschland auf dem Sofa sitzt und übel nimmt, dann hat das nicht die Satire zu verantworten.

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Es ist die Sache jedes einzelnen Sofasitzers. Soviel emotionale Autonomie sollten wir uns schon attestieren.

Seit dem Attentat auf Mitarbeiter der französischen Satirezeitung "Charlie Hebdo" am 7. Januar 2015 wird die Kanäle rauf und runter wieder diskutiert, was "die Satire" darf. Es wird überlegt, wie viel Verletzung Menschen um der Meinungsäußerungsfreiheit willen aushalten müssen, wo gesetzliche und wo moralische Grenzen des Zumutbaren liegen.

Dabei ist dieser Blickwinkel grundlegend falsch. Er unterstellt, der Schöpfer einer Satire sei dafür verantwortlich, was sein Werk bei beliebigen Rezipienten an Gefühlen auslöst. Aber das ist grotesk - und eine Entmündigung des Publikums zu Reaktionsrobotern. In Wirklichkeit ist das Publikum ganz alleine und völlig individuell dafür verantwortlich, was Satire mit ihm macht.

Satire kann keine "Gefühle" verletzen, weder "religiöse" noch "moralische". Sie kann nur Angebote zur Selbstverletzung machen. Denn jeder Mensch darf sich von allem gestört fühlen: Vom Anblick eines dicken oder dünnen Menschen, von einer Parole am Haus gegenüber, von einer Karikatur, von schlechter Musik oder einem guten Text.

Kränkungen, Beleidigungen, wundervolle Schmähungen finden nur im eigenen Kopf statt. Meist allein schon deshalb, weil die Satire gar nicht sagt, was die Patienten hören. Wo beispielsweise sagt Charlie Hebdo auf dem aktuellen Cover, der gezeichnete Mann sei Prophet Mohammed? Aber um sich über den Titel aufregen zu können, ist diese spezielle Interpretation nötig.

Wie war es mit dem Titanic-Cover von April 2010, das einen Papst vorm Kruzifix zeigte? Es bedurfte einer schon fast therapiewürdigen Phantasie, darin etwas Sexuelles zu sehen.

Wo Rezipienten aber korrekt hören, was die Satire sagt, ist es immer noch ihre unveräußerbare Freiheit zu interpretieren, was sie damit meint - eine eigentlich aus dem Alltag bekannte Übung, auch ganz ohne Satire. "Fick dich, Alter" ist nie die Aufforderung zur Autogamie, je nach Kontext ist es eine Freundschaftsbekundung oder eine Revierverteidigung oder die Beendigung einer Diskussion.

Satire ist weder Unterhaltung noch Tabubruch. Sie ist auch leider nur selten Kritik - denn wer zahlt schon für Kritik? Kabarett-Besucher und Charlie-Hebdo-Leser wollen ja nicht kritisiert, sondern in ihrer Weltanschauung bestätigt werden, wie bei allen Kommentaren, die man sich freiwillig zu Gemüte führt.

Satire ist eine künstlerische Darstellung von Tatsachen und Meinungen mittels unwahrer Aussagen - nicht mehr, nicht weniger. Sie ist ein Angebot, Dinge neu zu sehen, weil der Satiriker Dinge erfindet oder Wichtiges weglässt, weil er neue, falsche, irre Bezüge herstellt, weil er überhöht oder verkleinert. Je nach eigener Verfassung und eigenem Bemühen kann man das dann lustig finden oder saublöd, hinterfotzig oder genial, belanglos oder erhellend.
Eine Hakennase ist eine Hakennase. Eine dicke Lippe ist eine dicke Lippe. Ein Turban ist ein Turban, ein Kopftuch ein Kopftuch. Wer darin Rassismus sieht, muss zuvor in seinem Kopf Rassen der Hakennasen, der Dicklippen, der Turban- und Kopftuchträger konstruiert haben. In einer Welt, durch die sprechende Schwämme hüpfen und in der Erdnüsse Witze machen, ist das natürlich möglich - aber es bleibt ein Produkt der eigenen Phantasie. Und nur weil es diese selbstgezimmerten cerebralen Schubladen gibt, kann Propaganda funktionieren. Politische Hetze zielt ja nie auf den politischen Feind, sondern auf die eigenen Anhänger. Die Zahl der gezimmerten Schubladen ist dabei zumeist sehr klein, oder wie Kurt Tucholsky schrieb: "Jeder Mensch hat eine Leber, eine Milz, eine Lunge und eine Fahne; sämtliche vier Organe sind lebenswichtig. Es soll Menschen ohne Leber, ohne Milz und mit halber Lunge geben; Menschen ohne Fahne gibt es nicht."

Es liegt allein im Betrachter einer Karikatur, darin einen Angriff auf ihn selbst zu sehen. Wie es natürlich - und jetzt wird's schmerzhaft - auch allein im Ermessen des Betrachters liegt, in der Ermordung von Menschen mehr als die Ermordung von Menschen zu sehen. Und das dürfte ausschließlich im Interesse der Terroristen liegen. Seit über einer Woche wird von Anschlägen auf die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit, von Anschlägen auf westliche Werte und die Demokratie gesprochen. Das darf ein jeder so sehen. Aber es bleibt seine eigene Interpretation - und man macht sich damit selbst zum Opfer.

Versuchen wir es nicht mit Satire, sondern mit Objektivität (unbeachtet der konstruktivistischen Diskussion um Objektivität an sich; wer willens ist zu verstehen, der versteht): Presse-, Kunst- und sonstige Freiheiten sind durch den Terror vom 7. Januar nur insofern eingeschränkt, als sich nicht direkt Betroffene nach dem vermeintlichen Willen der Terroristen verhalten. Indem sie nicht mehr sagen, was sie sagen wollten, indem sie eine Karikatur nicht veröffentlichen, die sie veröffentlichen wollten, indem sie Angst um ihre eigene Gesundheit haben. Das gibt es, und darüber ist nicht zu scherzen. Aber in der Öffentlichkeit ergibt sich doch gerade ein ganz anderes Bild: Satire wird so sehr belobigt wie nie zuvor, es werden Karikaturen im Wettstreit gedruckt, es gibt überragende Zeugnisse, dass sich Publizisten jetzt gerade nicht einschüchtern lassen. Im Ergebnis waren die Morde an Charlie-Hebdo-Mitarbeitern, Polizisten, Passanten gerade kein Anschlag auf die Freiheit, sondern "Öl ins Feuer" der Freiheit. Das kann und soll niemanden trösten, der um die Getöteten trauert, der verletzt oder verängstigt wurde.

Aber wie grotesk ist es, die von drei Menschen verübte Gräuel zu einem Gräuel an uns allen zu überhöhen - während je nach politischer Konnotierung Zehntausende Demonstranten schlicht wegdiskutiert werden? Damit wird ja geradezu der Terror zur verhandelbaren und reaktionsfordernden Meinungskundgabe, während friedlicher Massenprotest in die Pathologie im dritten Untergeschoss kommt.

Satire ist ein pazifistisches Mittel der Meinungsäußerung. Satire - und da muss ich dem großen Meister widersprechen - beißt, lacht, pfeift und trommelt, sagt Nein und ist ungerecht nur (aber eben) in dem Maße, das die Zuschauerin oder der Leser ihr zubilligt.

Was darf die Satire? Alles
Was kann die Satire? Was du aus ihr machst.
Wo liegen die Grenzen der Satire? Wo du sie in deinem Kopf ziehst.

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