Der verbotene Tod

Sterbehilfe Die Diskussion um ein Gesetz zur Sterbehilfe stellt die grundsätzliche Frage nach Freiheit - und nach Grenzen demokratischer Herrschaft.

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Nein, es geht nicht um die Würde! Nicht um die Würde Sterbender, nicht um die Würde Angehöriger, nicht um die Würde des Lebens durch Duldung des Todes - die Quacksalbader verschonen uns ja derzeit mit nichts. Bei der Diskussion um Sterbehilfe geht es einzig und allein um Demokratie. Um das fatale Fehlverständnis von Demokratie als Herrschaft einer Mehrheit über Minderheiten (was kurz und treffend Mob zu nennen ist). Es geht um das Verständnis von Freiheit - und die Legitimität ihrer Begrenzung. Da klaffen nämlich von Anbeginn unseres Demokratieversuchs Sonntagspostulat und Werktagsgewurschtel weit, weit auseinander.
Angeblich soll der Mensch frei sein, ein selbstbestimmtes Individuum, das seine Persönlichkeit frei entfalten darf, - tatsächlich aber hat er vor allem im System zu funktionieren, und zwar bis zum staatlich geregelten Ableben. Für voll nehmen darf man als demokratischer Herrscher seine Mandatgeber nie, weshalb man ihnen vom Arztbesuch über Pflichtsicherungen an Autos, Treppen oder Stühlen bis zur Ernährung allerlei ge- und verbieten muss, damit es sich nicht vorzeitig ausfunktioniert hat.

Wäre der Mensch frei, dürfte er selbstverständlich ohne Wenn und Aber über sein Ausscheiden aus dem Leben entscheiden. Und zwar bedingungslos. Er müsste dazu nicht todsterbenskrank und von Schmerzen zermartert sein. Er dürfte auch einfach sagen: "Mich nervt dieser ganz Krams, die Routine, die Gängelung oder die Freud-, Ziel und Sinnlosigkeit, ich will mir das nicht länger antun." Doch die Notausstiege hat die Politik nach Kräften verrammelt. Wie Wolfgang Herrndorf in seinem Count-Down-Tagebuch geschrieben hat:

"Themenwoche Sterben auf der ARD. Komplett Enthirnte wie Margot Käßmann versuchen, ein freies Leben gelebt habenden Menschen das Recht auf Freiheit im Tod zu bestreiten. Die Position der Vernunft wie immer dünn besetzt. [...] Nicht geladen wie immer einer, der das Naheliegende erklärt, nämlich daß in einem zivilisierten Staat wie Deutschland einem sterbewilligen Volljährigen in jeder Apotheke ein Medikamentenpäckchen aus 2 Gramm Thiopental und 20 mg Pancuronium ohne ärztliche Untersuchung, ohne bürokratische Hürden und vor allem ohne Psychologengespräch – als sei ein Erwachsener, der sterben will, ein quasi Verrückter, dessen Geist und Wille der Begutachtung bedürfe – jederzeit zur Verfügung stehen muß."

Aber mit dem Verbot des Sterbens schafft die Politik natürlich noch keine Lust aufs Leben. Deshalb greifen die Menschen dann zu den alten Hausmittelchen. Vor allem Männer auf dem Land erhängen sich dann - ein, weil sie sich natürlich fast alle mangels Übung ungeschickt dabei anstellen, ekelhafter Erstickungstod und ein traumatisierendes Erlebnis für die Auffinder. Oder sie springen, was ab einer entsprechenden Höhe todsicher ist, vom Anblick aber mitunter noch weniger Freude breitet als Vater am Scheunenbalken. Wer Angst vor Höhe und Ersticken hat, wählt den Zug, wobei sich zum unschönen Abgang auch noch horrende Kosten für die Angehörigen gesellen.
Natürlich gibt es allerhand Möglichkeiten aus dem Leben zu scheiden, aber sie sind - vielleicht vom Verhungern abgesehen - allesamt Missbrauch für andere Zwecke bestimmter Utensilien und daher wenig zweckmäßig, sprich: sicher und qualfrei.

Mit welchem Recht sollte ein Sterbewilliger im Leben gehalten werden? Es geht nur mit der Pflicht zu funktionieren, das System nicht zu stören, - und wer mag, gibt noch etwas paternalistische Würdesülze dazu.
Die Befürchtung, der ein oder andere Pflegefall könnte den Freitod nicht als Erlösung für sich, sondern als Erleichterung für die Angehörigen wählen, denen man doch nicht zur Last fallen will, mag in Einzelfällen begründet sein. Doch dies ist kein Problem der Entscheidungsfreiheit, sondern der Kommunikation, was man gut daran sieht, dass am umgekehrten Fall unsere Ethikpetetik-Spezialisten keinerlei Anstoß nehmen: wenn nämlich das Wrack unter Leiden und Schmerzen vor sich hin siecht, weil man das doch der Familie nicht antun kann, den bequemeren Weg zu nehmen, welch Schande und was würden die Leute reden?

Die Variante, dass jemand zum Suizid ermutigt werden muss, um frei zu sein, ist im System nicht vorgesehen. Deshalb wird der "Werther-Effekt", der Anstieg von Selbsttötungen nach medialer Berichterstattung einer solchen auch niemals als Resultat der Aufklärung verstanden, als echte journalistische Orientierungsleistung, sondern stets als Katastrophe: weil eines jeden Suizidenten Vorhaben zu vereiteln ist, weil niemand durch die Kolportage einer passablen Exit-Strategie eigenmächtig seinen Schlussstrich ziehen darf.

Die Fokussierung der Sterbehilfedebatte auf Sterbenskranke verschleiert, worum es geht: um das Recht auf (assistierten) Selbstmord oder eben dessen Verbot - das wir derzeit faktisch haben, nicht zuletzt durch die Pönalisierung der "Tötung auf Verlangen". Suizid ist nicht vorgesehen, ein geordneter, gar "würdevoller" schon gar nicht. Bei der Bahn heißt er "Notarzteinsatz im Gleis" oder schlicht "Verzögerung im Betriebsablauf". Bei der Polizei heißt er "kam der Wagen aus unbekannter Ursache in einer langgezogenen Linkskurve von der Fahrbahn ab und ..." - auch wenn im Fahrzeug ein Abschiedbrief liegt.

Demokratie ist nicht die Herrschaft der Mehrheit über Minderheiten (oder gar, wie im Parlamentarismus häufig, einer Minderheit über die Mehrheit). Demokratie ist die gemeinsame, im Zweifel nur mehrheitlich beschlossene Regelung gemeinsamer Angelegenheiten. Wer dem einzelnen, der stets ungefragt, gar nur aus einem Jux heraus ins Diesseits gepresst wurde, das Recht nehmen will, nach einer selbstbestimmten Zeit wieder die Biege zu machen, muss ihn zum Rädchen im Gesellschaftsgetriebe degradieren, wofür der Freitag-Herausgeber Jakob Augstein auf Spiegel-Online klare Worte findet: "Es kann für die Gesellschaft falsch sein, was für den Einzelnen richtig sein mag." Wo kämen wir denn da hin, wenn ein jeder aus dem Leben schied, wann es ihm beliebt. Das irdische Leben ist per definitionem edel, hilfreich und schön - selbst wenn einem als After-Work&Show-Party das Paradies versprochen wird. Der einzig zulässige Weg dorthin aber ist das Siechtum - alles andere sind tragische Unfälle oder illegale Abkürzungen, in jedem Fall Freiheiten, die ordnungspolitisch nicht zu tolerieren sind.

Siehe zum Thema auch: Tod in eigener Verantwortung?
Georg Diez: "Der Tod als Fanal der Freiheit" (SpOn)

Vom Autor zum Thema erschienen: "Demokratie für Deutschland - Von unwählbaren Parteien und einer echten Alternative" (Berliner Konsoritum, 2013)

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