Flüchtlinge im Medienzirkus

Demokratie Sinnvolle Diskussionen kann man nicht erzwingen. Aber einen hilfreichen Journalismus darf man sich wünschen.

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Es gibt keine Pflicht zum Nachdenken vor dem Sprechen, keine Pflicht, die Argumente des anderen zu hören oder gar zu prüfen. Öffentliche Reden waren schon immer vor allem zur Unterhaltung und Bindung der eigenen Fans gedacht. Die Absicht, den anderen von seinen Argumenten zu überzeugen, ist dabei nur gespielt. Denn dies würde ja zwingend die Option verlangen, sich auch umgekehrt von Gegenargumenten überzeugen zu lassen, dem Gegner Recht zu geben. Das ist nicht vorgesehen. Ein Fußballfan schreit und winkt, weint und wirbt für seinen Verein, er ist bereit danach seine Freundschaften zu sortieren und ggf. zu bestimmen, wer - wenigstens verbal - was auf die Fresse braucht (die Verhöhung des Gegners ist bekanntlich das Lebenselixier des Fußballfans).

Der Bundestag bildet da keine Ausnahme, jeder kann es beobachten und zahlreiche Politiker haben es in Büchern stolz kund getan (u.a. gelesen bei Hans Apel, Marco Bülow, Jürgen Rüttgers, Christian Simmert, Peter Struck, Richard von Weizsäcker). Plenardebatten (wie Talkshowbesuche) sind Fanarbeit, gelegentlich mag dabei ein Unentschlossener seinen Club finden, aber abgeworben wird selten jemand.

Der Journalismus hingegen will eine Ausnahme bilden. Seine Aufgabe nach Theorie und Selbstverständnis: fair aufbereitete Informationen zusammenzustellen, um eine Orientierung in dieser ach so komplexen Welt zu bieten.

Ob ihm, dem Journalismus, das wirklich gelingt, ist schon lange bei vielen Themen fraglich. In der gegenwärtigen „Flüchtlingsdebatte“ kommen mir allerdings immer mehr Zweifel, ob er das überhaupt will, der Journalismus: aufklären, Informationen bereitstellen, Fragen stellen und Antworten anbieten, die Diskussion verfolgen und immer wieder zusammenfassen, also: ob Politikjournalismus „Journalismus über Politik“ oder „Politik mit Journalismus“ sein möchte.

Die Frage ist nicht neu, aber es spricht Bände, dass eine „Mediengesellschaft“, in der den ganzen Tag auf unzähligen Kanälen „Informationen“ verbreitet werden, diese Frage für sich nicht im Ansatz entschieden hat.

Wie oft haben Journalisten das angeblich Hajo Friedrichs Zitat für sich vereinnahmt: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache“? (Das „Zitat“ in der Form gibt es vermutlich gar nicht; es findet sich nur fragmentiert in Friedrichs' Autobiografie „Journalistenleben“ - dort ist als Urheber aber deutlich Charles Wheeler benannt, Friedrichs' „väterlicher Freund“ bei der BBC.)

Sich nicht gemein machen, das klang gut. Und sich an Recht und Gesetz zu halten, wurde nicht für Parteilichkeit gehalten, sondern der wichtigen journalistischen Qualitätskategorie der „Rechtmäßigkeit“ zugeschrieben. Journalisten müssen natürlich rechtmäßig handeln, legal - an diesem Dogma haben bis heute nur wenige gezweifelt, obwohl es eine verstörende Eingrenzung des Journalismus ist auf die Arbeitsbereiche, die eine amtierende Herrschaft (=Gesetzgebung) ihm gerade zubilligt. (Es gab natürlich auch über lange Zeit keinen „Landesverrat“-Skandal.)

Dabei macht sich „der Journalismus“ (selbstredend nie in Gänze) stets gemein mit Zielen, für die es dann allerhand Milieu-Bezeichnungen gibt und die an sich schon jeweils für ein fast komplettes Weltbild stehen, das sich von Recherchen nicht beeindrucken lässt (weil die notwendigen Fragen gar nicht erst gestellt werden). Beispiel Suizid. Die Herrschende Meinung lautet: „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung.“ (Richtlinie 8.7 zum Deutschen Pressekodex) Journalistisch unterbleiben soll alles, was zur Nachahmung führen könnte. Klingt für die meisten Menschen rücksichtsvoll, zeigt aber ein geschlosseneres Weltbild, als es selbst die Kirchen zu diesem Themenfeld bieten. Ist Suizid an sich schlecht, verwerflich, verhinderungswürdig? Könnte es nicht zur unparteilichen Information gehören, wie es jemand erfolgreich und wie unerfolgreich versucht hat? Wo doch jeder das Recht hat, es wenigstens zu versuchen, mit eigener Kraft aus dem Leben zu scheiden?

Bei Chrismon haben sich Redakteur Nils Husmann und Heinrich Maria Löbbers, Ressortleiter der Sächischen Zeitung, ganz kurz dazu geäußert, ob es eine Nachricht sein dürfe: "...wurden zahlreiche Afrikaner verhaftet"? Ob diese Nachricht Hass entfacht oder ihr Verschweigen den Vorwurf der „Lügenpresse“ stärkt.
Ich versuche mir eine ähnliche Grundsatzdiskussion in anderen Berufen vorzustellen: Vertrauen in eine gewisse Handwerkskunst hätte ich dann jedenfalls nicht mehr, was beim Bäcker weniger bedrohlich als beim Chirurgen wäre.

Über die korrekte Berichterstattung in Flüchtlingsfragen beharken sich gerade bildblog.de und bild.de. Aber ist das eine Auseinandersetzung über Journalismus? Oder eine über die richtige Haltung, die richtige Politik im Journalismus? Schreiben die beiden Medien für mehr als ihren Fan-Club?

In einer Demokratie handeln die (wie auch immer bestimmten) Politiker als Stellvertreter des Souveräns, der (wahlberechtigten) Bürger. Auch wenn uns Begriffe wie „durchregieren“, „Chefsache“ oder „unangenehme Entscheidungen treffen“ in diesem Zusammenhang sehr vertraut sind, letztlich haben die Bürger zu entscheiden, wenn auch nur summarisch bei der nächsten Parlamentswahl (mit sehr geringen Steuerungsmöglichkeiten).

Es ist die Aufgabe des Journalismus, permanent für so viel Transparenz zu sorgen, so viele Informationen zur Verfügung zu stellen und so viele Meinungen dazuzugesellen, dass jeder Interessierte Bürger sich ein eigenes Bild machen kann. Ob er dabei stur seinem Verein treu bleibt oder Erkenntnisveränderungen wagt, liegt dann nicht mehr in der Verantwortung der Medien.

Doch derzeit sind tausend Fragen offen. Trotz eines nicht geringen Interesses habe ich jedenfalls in den Medien noch keine Position gefunden, die mich vollständig überzeugt hätte, für die ich jemandem gerne das Mandat geben würde, mich zu vertreten. Die Parolen „Grenzen auf“ oder „Grenzen dicht“ sind ganz sicher keine Antwort auf die Fragen, die im Raum stehen. Und journalistisch bearbeitet werden die Fragen derzeit nicht. Stattdessen gibt es Gezänk um richtige und falsche Begriffe, um gute und schlechte Gutmenschen, um das rechte Maß an Betroffenheit.

Was ist denn nun mit unserer Verantwortung für die Ausbeutung armer Länder? Was sagt uns die Erkenntnis, dass nicht alle Menschen auf deutschem Level leben können, was verlangt das gerade von uns? Wie hilft man eigentlich mit einer Willkommenskultur den Menschen, deren Leid Hubertus Koch im syrischen Flüchtlingslager Bab Al-Salameh dokumentiert hat?

Wo ist die Orientierungsleitung des Journalismus, wenn mich der Fan-Beauftragte meiner Glaubensgemeinschaft im Stich lässt?

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