Satire braucht keine "Eier aus Stahl"

Jan Böhmermann Der SPIEGEL titelt diese Woche mit der "Staatsaffäre" Böhmermann. Ein Interview mit Komiker Oliver Polak zeigt, worüber intensiv zu reden wäre: Was ist überhaupt Satire?

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Jan Böhmermann ist also ein Feigling? Wie so viele geht Oliver Polak davon aus, Böhmermann habe Recep Tayyip Erdoğan vorsätzlich beleidigt, als er in seiner vorletzten Sendung den Unterschied zwischen erlaubter Kritik und (derzeit) verbotener "Schmähkritk" an einem Beispiel verdeutlichte.

Dabei spricht doch schon ungeachtet allen Kontextes allein die öffentliche Aufführung des Theaters dafür, dass es um etwas anderes ging, nämlich: eine Nummer fürs Publikum. Zwar hat Böhmermann in seinem Showtext rund um das Gedicht "Schmähkritik" Erdoğan persönlich angesprochen - aber das ist schlicht ein sicherlich auch Polak gut bekanntes Stilmittel, was nicht zuletzt in der Tradition des gespielten Größenwahns jüngster Frankfurter Schule steht. Hätte Böhmermann eine Mitteilung für Erdoğan gehabt, wäre ihm sicherlich ein Mittel der direkten Kommunikation eingefallen.

Sicher, Böhmermann durfte erwarten, dass türkische Sittenwächter ihren Präsidenten über die Aufführung im Neo Magazin Royale unterrichten werden, damit er sich politisch nützlich erregen könne. Normal ist das allerdings nicht. Normalerweise sind lebende Gegenstände der Satire gut beraten, sich nicht um das zu scheren, was in Magazinen oder auf Kabarettbühnen über sie erzählt wird. Mit den oft derben Späßen und Zuspitzungen sind auch kaum sie selbst gemeint. Der Witz entsteht ja gerade erst dadurch, dass sich das Publikum ertappt fühlt, sich von Knallchargen beherrschen zu lassen. Verpeilte, machtgeile, unfähige Politiker sind doch nicht unterhaltsam (und Kabarett will sie auch nicht zu besseren Menschen machen). Der Unterhaltungswert liegt ausschließlich in der Betroffenheit des Auditoriums (weshalb Späße über das Personal anderer Bananenrepubliken in Deutschland so selten sind und die kürzlich noch europaweit unterstützte französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Deutschland so gut wie keine Leser hat).

Wenn sich Erdoğan durch Böhmermanns Ausführungen über die Grenzen der Satire beleidigt fühlt, dann ist das sein Privatvergnügen, allenfalls ein Kollateralschaden - oder weniger martialisch: eine unvermeidliche Nebenwirkung. Und genau deshalb ist ja auch jede Straf- und Schadensersatzüberlegung in diesem Zusammenhang grotesk. Sie sollen sich mal nicht so wichtig nehmen, die Damen und Herren Politiker. Und dulden, dass man über sie spricht (weil mit ihnen zu sprechen den meisten Menschen nicht vergönnt ist, selbst wenn sie sich etwa auf Twitter an die Großköpfe heranwanzen).

Böhmermann braucht daher auch keine "Eier aus Stahl", wie Polak meint, nach dem Motto: wer austeilt muss auch einstecken können. Satire ist meistens kein Dialog mit Politikern, sondern ein Angebot ans Publikum, Dinge auf eine bestimmte Weise zu betrachten. Viele großartige Künstler verweigern sich komplett der Interpretation oder gar Rechtfertigung ihrer Werke. Man darf einen Roman schreiben und dann alle, die mögen, darüber diskutieren, rätseln, urteilen lassen, ohne sich irgendwie zu äußern. Anders als es beispielsweise Bernd Gäbler meinte, tat Jan Böhmermann völlig recht, sich der Debatte zu entziehen (und nicht den angeratenen Kotau vor der Political Correctness zu machen). Es gibt Satiriker wie Martin Sonneborn, zu deren besonderen Stilmitteln die Interaktion gehört, - die meisten Satiriker aber stehen nicht für Aktionskunst, und es ist jedenfalls ihr künstlerisches Recht, ihre Spielorte frei zu wählen.

Polak hat ein merkwürdiges Verständnis vom guten Comedian: "Das ist jemand, der in die Manege geht, wo der große Löwe mit der Mähne sitzt, er reißt dem Löwen das Maul auf und steckt seinen Kopf rein - und im besten Fall schreit er dem Löwen noch in den Rachen rein: Ich ficke dich." Was ist daran mutig, einen dressierten, dauervergewaltigten Löwen dazu zu bringen, dem Dompteur nicht den Kopf abzubeißen? Die Manegen der Welt zeigen, dass es gelingt, fast immer bleibt der Kopf des ach so Mutigen auf dem Rumpf. Ein erbärmliches Bild - aber absolut passend zum Humorland Mario Barth.

War Kurt Tucholsky etwa kein mutiger Satiriker, nur weil er für seine Ansicht "Soldaten sind Mörder" nicht einmal vor Gericht stand?

Aber da sind wir auch schon beim Zentralproblem: Polak redet über seine Ansprüche an Comedians - doch die Böhmermann-Nummer "Schmähkritik" war Satire. Und die muss keineswegs lustig sein, weshalb es auch kein Qualitätsmakel ist, dass Polak über das Gedicht - das nur ein Bestandteil der Aufführung war! - nicht gelacht hat (im Gegensatz zu Mathias Döpfner und mir - Smiley). Witz kann ein Stilmittel der Satire sein - ein Wesensmerkmal ist er mit Sicherheit nicht. Satire ist eine künstlerische Darstellung von Tatsachen und Meinungen mittels unwahrer Aussagen, oder, verkürzt jedoch einprägsam und als Eselsbrücke brauchbar: Satire sagt Wahres durch Unwahres.

Der Unterschied zwischen Comedy und Satire macht Polak im SPIEGEL-Interview deutlich mit dem Vorwurf, Böhmermann habe "Humor von der Selektionsrampe", denn "er sagt mir, wer die Guten sind und wer die Bösen". Die Bestandsaufnahme überzeugt nicht, Böhmermann ist in Teilen seines öffentlichen Wirkens (leider) im Gegenteil Comedian, dem es tatsächlich wie Polak "zuerst um den Witz, den Gag" geht, und nicht um die Haltung, weshalb er sich an den von ihm aufgebauten Hassfiguren laben kann, was tatsächlich die Schule Harald Schmidt ist, in der gerade nicht nach gut und böse selektiert wird, sondern nur nach pointable und showmäßig unbrauchbar. Publizisten mit Haltung hingegen sagen natürlich immer - nur nicht so platt -, wer für sie "die Guten" und wer "die Bösen" sind. Und ja, diese klare Position hat Böhmermann bei seiner Schmähkritik-Nummer bezogen, weshalb es eben auch kein Gag war, sondern eine Message. Haltung ist übrigens das Wesentliche, was man bei Tucholsky lernen kann (die ihm z.B. auch bei den verhassten Nazis jeden billigen Scherz und jeden Angriff unter der Gürtellinie verbot) - und die für ihn die Rechtfertigung war, warum Satire unbeschränkt frei sein muss.

Polak findet vieles im hiesigen Unterhaltungsbetrieb typisch deutsch - nur seine eigene Leidenschaft fürs Zerreden nicht. Böhmermann hat gerade die folgenreichste Satire in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht, aber die meisten seiner Kollegen können sich nicht verneigen, - sie mäkeln und wissen besser. Das ist freilich auch eine Haltung, eine sehr einfache, die wir aus dem brav-inszenierten deutschen Gangsta-Rap kennen: "Komme da wer wolle, ich habe den Größten!"

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