Terror ist ein Geschäft

Terror Nach dem mutmaßlichen Attentat in Berlin sind alle geschockt. Sind sie? Der Ablauf ist jedenfalls so routiniert wie irrsinnig.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Natürlich haben wir jetzt wieder eine "Flüchtlingsdebatte", Parteivertreter werfen sich gegenseitig Wahlkampf vor, tiefschürfende Journalisten stellen Sicherheitskonzepte infrage, Oberpfarrer rufen zum Gebet auf... Versuchen wir es einmal mit Nüchternheit.

Da ist zunächst festzustellen, dass alle, die wir jetzt vernehmen, gerade ihren Beruf ausüben - um es so trocken wie möglich zu sagen. Das rückt gerne in den Hintergrund, weil alle beteiligten Professionen stets für sich reklamieren, dem Gemeinwohl zu dienen: Feuerwehr und Polizei natürlich, die Politik, die Kirchen, Sozialverbände, die Medien und ihre einzelnen Welterklärer (die bei freitag.de eingeschlossen). Und bei aller Gemeinwohlunterstellung, aus eigenem Erleben weiß ich: selbst der Arzt geht nicht jeden Morgen in seine Praxis, um der Welt zu dienen, sondern vor allem, um sein Haus abzubezahlen und die Familie zu ernähren. Das gilt analog wohl für jeden Beruf, von ganz wenigen Erleuchteten abgesehen, die aber selbst unter den Pfarrern sehr dünn gestreut sind.


Diese Feststellung ist zwar furchtbar banal, wird aber doch gerne ausgeblendet, sonst wäre mehr Menschen klar: Politiker versuchen heute nicht, mit besonderem Engagement die deutsche Welt zu retten - sie machen ihren Job. Wie der funktioniert und was er alles mit sich bringt, ist hinreichend beschrieben.
Für gemeinnützige Medien wäre die logische Schlussfolgerung, derzeit nichts aus der Politik zu berichten. Denn die Welt hat sich von gestern auf heute gerade nicht verändert, es ist nichts "Undenkbares" passiert, es deutet nichts darauf hin, dass tatsächlich politisches Handeln im Zusammenhang mit dem Unfall oder Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt nötig wäre.
Allerdings machen Journalisten gerade auch einfach ihren Job, auch sie haben irgendwas abzuzahlen und wenigstens einen Magen zu füllen. Wie der funktioniert und was er alles mit sich bringt, ist ebenfalls hinreichend beschrieben.
Wer nüchtern zur Kenntnis nimmt, dass gerade alle Akteure ihren Job machen, wird nicht mehr gar so pikiert sein, bei sich das Gefühl zu entdecken, manches wirke "Eigeninteressegeleitet". Guter Indikator dafür ist stets, wenn sich auch die Gewerkschaft der Polizei zu Wort meldet - und das hat sie bereits.

Ich werde mich hüten, irgendjemandem die persönliche Betroffenheit abzusprechen. Aber ich darf davon ausgehen, dass viele vor allem "beruflich betroffen" sind. Ein Politiker, der sagt: "Leute regt euch nicht so auf, Dinge passieren, wir haben nicht alles im Griff, that's life" verkauft sich halt am Markt schlecht (allein schon, weil das die Journalisten unattraktiv finden). Entsprechend routiniert wird daher jetzt beklagt, gewarnt, gefordert - und auch gedankt. Die Maschinerie läuft - mit all ihren Floskeln, Chiffren, Ritualen. Botschaft: die Welt da draußen ist gefährlich und unübersichtlich, aber WIR haben das im Griff, vertraut uns, unterstützt uns, akzeptiert, was wir jetzt tun müssen.

Deshalb hören wir z.B. nach jedem Terroranschlag: es sei sinnlose Gewalt, die unschuldigen Opfern angetan wurde, von feigen Attentätern. Sowas berührt die meisten Menschen und "nimmt sie mit" - auch wenn es ein extremer Tunnelblick auf das Geschehen ist, das deswegen auch kaum zu erkennen ist.
Denn die Gewalt ist natürlich aus Terroristensicht nicht sinnlos, sondern ganz im Gegenteil hocheffektiv. Ein Anschlag, der sehr einfach zu verüben ist - und man bekommt weltweite Aufmerksamkeit, bestimmt den Takt der Maschinerie. Das ist ja nun gerade die bekannte Logik des Terrorismus, ganz gleich welcher Gesinnung. Wer Terrorismus als "sinnlose Gewalt" abtut, wird bei jedem neuen Anschlag wieder vor "Unvorstellbarem" stehen. Wird wieder an neue Sicherheitskonzepte glauben, weitere Verbote und Gebote akzeptieren, sich an die klammern, die Schutz versprechen.
Und wenn dann alle Ausländer "augeschafft" sind, alle Bahnhöfe und Weihnachtsmärkte in Hochsicherheitsareale verwandelt sind, wenn alles überwacht und abgehört wird: ein "weiches Ziel" (Schulbus, Kindergarten, Freibad, Spielplatz...) und ein Täter mit hinreichendem Dachschaden wird sich ewig finden - für wen auch immer.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden