Zeitgemäße Eigentumsreligion?

Mietendeckel In den Metropolregionen steigen Mieten für Wohnungen und Gewerbeflächen schier unaufhörlich. Der Berliner Senat plant einen radikalen Schritt. Nutzen wir ihn zur Debatte

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Es sind andere Visionen gefragt als die von möglichst profitablen Bauprojekten
Es sind andere Visionen gefragt als die von möglichst profitablen Bauprojekten

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Vielleicht ist Berlin ausnahmsweise mal zu schnell. Weil's dann am Ende wieder fehlerhaft ist und die nächste Dauerbaustelle zu bestaunen ist. Der "Mietendeckel" (ausführlich beim Tagesspiegel) kommt offenbar in einem Affenzahn, aber er wird mit Sicherheit für reichlich Chaos sorgen.

Dabei ist das Ansinnen sicherlich richtig. Für seine Akzeptanz aber fehlt die große gesellschaftliche Debatte, und zwar eine mit Lieschen Müller und Familie Hempel, ohne all die Lobbyisten, ohne die Dauerplauderer und ohne uns Journalisten, die wir uns stattdessen einmal der Aufgabe zu widmen hätten, Informationen bereitzustellen statt Instant-Meinungen.

Die Grundfrage für die große Debatte muss lauten: Kann es überhaupt Eigentum an Grund und Boden geben? Sind Acker und Bauland käuflich und handelbar? Kann also einfach jeder, der genügend Geld besitzt oder genügend Kredit bekommt, nach Belieben Flächen kaufen, Häuser mit Menschen drin, Wohnviertel, Dörfer? (Und wenn das alles bejaht wird: Was war dann an Donald Trumps Angebot, Grönland zu kaufen, im Gegensatz zum deutschen Mittelschichskapitalismus so verwerflich?)

Ich habe bisher noch kein überzeugendes Argument für Eigentum an Immobilien gehört – aber es gab ja auch noch keine große Diskussion, keine Suche nach neuen Erkenntnissen, nur Getöse.

Bisher klingt es für mich logischer, Land in irgendeiner Weise zu pachten – und zwar nicht von einem einzelnen Inhaber, sondern von der Gesellschaft an sich, die zur Verwaltung eines Territoriums sich selbst ermächtigt hat. Alles gehört allen, aber für die Nutzung braucht es dann Regeln, weil wir einfach zu viele Menschen für die Fläche sind und die Möglichkeiten, mit dem eigenen Handeln die Rechte anderer massiv zu beschneiden, heute gigantisch sind. (Deshalb darf ich selbst auf dem Grundstück, dessen Eigentümer ich zu sein behaupte, kein kleines Atomkraftwerk bauen.)

Gegenwärtig (aber in der Menschheitsgeschichte erst seit ganz kurzer Zeit) sieht die Regelung so aus: Alles gehört irgendjemandem persönlich, und wer Eigentum besitzt, kann entscheiden, wem er es für welchen Preis und zu welchem Zweck zur Verfügung stellt. Dazu gibt es zwar abertausende von weiteren Regelungen aus der Epistokratie oder profaner Bürokratie, aber das Grundprinzip ist: Das Land gehört keineswegs allen gemeinsam, sondern einigen wenigen, die evtl. kleine Stücke davon für viel Geld abgeben, auf Zeit (Vermietung) oder Ewigkeit (Verkauf).

Die bisherige, eben keineswegs große und schon gar nicht egalitäre Debatte vermittelt öffentlich den Eindruck, als ob die Mehrheit im Land dieses Herrschaftsverhältnis für gut, richtig oder wenigstens gottgegeben hält. Menschen, die mit Sicherheit keinen Quadratzentimeter Boden besitzen, verteidigen Immobilienfirmen, ohne die es keinen mietbaren Wohnraum gäbe und mithin halb Deutschland obdachlos würde. Und sie sehen exorbitante Mietsteigerungen als notwendiges Regulativ, wer in die schönen Lagen einer Stadt ziehen kann und wer nicht.

Vielleicht ist das alles so richtig. Allerdings bin ich davon bisher nicht im Ansatz überzeugt. Das System, das wir haben, ist keine Errungenschaft der Sozialpolitik oder gar kollektiver Gemeinwesengestaltung – es ist das Produkt des Kapitalismus. Aus Freien wurden Unfreie, aus Hausbesitzern wurden (Baracken-)Mieter. Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass irgendwann (wenn es dieses irgendwann geben wird) Menschen zurückblickend über unseren Umgang mit Grund und Boden sagen werden: "Das war ja eine ausgesprochen kluge Epoche."

Bei einem der Versuche, die Diskussion aufs Grundsätzliche zu lenken, habe ich für folgenden Satz viel verbale Prügel bekommen:

"Jeder Cent, den ein Vermieter oder Verkäufer von Wohnraum verdient, ist schon genau dieser Cent zu viel."

Es ist das genossenschaftliche Gegenmodell zum kapitalistischen Immobilienmarkt, und ich erwähne sicherheitshalber mal: verdienen ist nicht dasselbe wie Umsatz machen. Verdienst ist das, worauf das Finanzamt Steuer erhebt. Wenn der Steuersatz für Gewinne aus Immobilienvermietung und -verkauf 100 Prozent betrüge, dann gehört wieder alles allen.

Der Handwerker bekommt natürlich sein Geld, Putzmann und Hausmeister werden bezahlt, und auch die Verwaltung der Mieter darf vergütet werden. Aber das, was Immobilien so spannend macht, nämlich das Geldverdienen für exakt null Leistung, einfach weil mehrere Menschen diese Immobilie haben wollen, weil die Stadt den Kiez attraktiv gemacht hat oder weil aus einem Acker per Gemeinderatsbeschluss Bauland wird, genau das will ein Mietendeckel beenden.

Mit der Festsetzung von Mietpreisen wird es noch nicht getan sein, das Gesetz wird vermutlich fehlerhaft sein und die nächste Dauerbaustelle eröffnen. Natürlich braucht es Ideen für die Verteilung von Nachfrage auf Angebote, wenn es nicht mehr die Geldgier eines Eigentümers regelt. Sicherlich haben viele Menschen zur "Altersvorsorge" eine grotesk überteuerte Wohnung gekauft, deren Kredittilgung in Gefahr gerät, wenn sie die Gier ihres Verkäufers nicht an die armseligen Mieter in ihrer Eigentumswohnung weitergeben, bis sie diese für den Eigenbedarf rausschmeißen. Vermutlich gibt es noch tausend Regelungen, die einer vernünftigen Neuaufstellung des Immobilienmarktes im Wege stehen, aber gerade das sollte uns nicht an der großen Debatte hindern ("geht nicht"), die leider bisher trotz aller Bemühungen von Kevin Kühnert nicht zustande gekommen ist.

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