Was Leiden schafft

Extremsport Freya Hoffmeister will als erste Frau Australien in einem Kajak umrunden - trotz Haien, Riesenquallen und vier Meter hohen Wellen. Warum tun Menschen eigentlich sowas?

Mehr als 15.000 Kilometer. In einem Seekajak. Allein. 60 Kilometer am Tag. In je zehn bis zwölf Stunden. In diesem Jahr wird sie auf Salzwasser-Krokodile treffen, auf Haie, Quallen, Wasserschlangen. Die Sonne wird ihr zu schaffen machen, die See, Winde, Gezeiten. Freya Hoffmeister will es so. Sie paddelt derzeit in einem Seekajak um Australien. Um zu beweisen, dass eine Frau eine solche Tour der Extreme schaffen kann. Und vielleicht auch, um eine Antwort auf die Frage zu bekommen: Warum tun sich Menschen so etwas an?

Nach einer Umfrage des Ifak-Institutes suchen drei Prozent der Deutschen ab 14 Jahren in ihrer Freizeit Abenteuer, den Nervenkitzel. Freya Hoffmeister gehört dazu. Die 45 Jahre alte Husumerin paddelte vor zwei Jahren in der Rekordzeit von 33 Tagen um Island, war danach die erste Frau, die die Südinsel von Neuseeland im Kajak umrundete. Für die 2.400 Kilometer brauchte sie 70 Tage. Jetzt also Australien. Im Januar startete das Abenteuer in Queenscliff bei Melbourne. Vier Wochen später hatte Freya Hoffmeister ihre erste Etappe absolviert, sie erreichte Sydney. Gegen den Uhrzeigersinn arbeitet sie sich mit ihrem 5,30 m langen Kajak nun die Küste entlang. Die härteste Etappe, so schreibt sie in ihrem Blog qajaqunderground.com, habe sie hoffentlich schon hinter sich: Siebeneinhalb Stunden lang kämpfte sie am Tag 27 mit bis zu vier Meter hohen Wellen.

Sichtbare Siege

Wenn ihr die gesamte Reise von 15 Etappen gelingt, wird Freya Hoffmeister die erste Frau der Welt sein, die den Kontinent auf diese Weise umrundet hat. Bisher hat dies erst ein Mensch vollbracht – der Neuseeländer Paul Caffyn, vor 27 Jahren. Freya Hoffmeister paddelt seit 13 Jahren und sammelte ihre ersten Erfahrungen in einem Faltboot. Bald infizierte sie aber das Seekajak-Fieber. Seit acht Jahren unternimmt sie immer ausgefeiltere Abenteuerreisen, ist inzwischen auch als Lehrerin für fortgeschrittene Paddeltechniken auf der ganzen Welt unterwegs. „Ich werde das schaffen“, sagt sie und hat ihre Philosophie als Inschrift auf ihr Kajak gedruckt: „Veni, Vidi, Vici“ – ich kam, sah und siegte. Deshalb spricht Hoffmeister auch gar nicht erst von dem Versuch, sondern von der Vollendung des Trips. „Ich habe schon eine genaue Vision vom Ziel“, sagt sie. Und: „Ich glaube nicht, dass ich jemals ans Aufgeben denken werde. Da müsste schon eine Verletzung kommen.“

Eine Frage hört Freya Hoffmeister immer wieder: Warum macht sie das eigentlich? Darauf antwortet sie meist mit einer Gegenfrage: „Warum besteigen Leute den Mount Everest? Es sollte eben eine Nummer größer sein.“ Und: „Die Herausforderung ist da. Dann macht man es.“ Freya Hoffmeister spricht schnell. Sie hat keine Zeit. In Husum besitzt sie zwei Eisläden, die müssen ein Jahr ohne sie laufen. Und sie hat einen zwölfjährigen Sohn, der während ihrer Abwesenheit beim Ex-Mann lebt. Wie er damit zurecht kommt? „Er findet es nicht gerade berauschend, aber er ist schon stolz auf mich“, sagt Hoffmeister.

Zweiter Versuch. Warum also? „Ich bin halt neugierig. Eine Einzelgängerin. Die Welt ist groß, es gibt noch so viel zu entdecken.“ Das muss als Antwort reichen. Elk Franke, Professor für Sportphilosophie an der Berliner Humboldt-Universität, findet mehr Worte für das Phänomen, dass sich manche Menschen extreme Herausforderungen suchen: „Diese Menschen prüfen sich selbst, treten mit sich selbst sozusagen in den Wettbewerb und wollen neue Grenzen setzen und überschreiten.“ Freya Hoffmeister hat schon Gymnastik gemacht, Bodybuilding, Fallschirmspringen. Motorradführerschein, den Jagdschein. Laut Franke handelt es sich dabei nicht unbedingt um individuelle Vorlieben: „In einer Gesellschaft, die zunehmend Schwierigkeiten hat, Erfolge auf individuelle Leistung zurückzuführen, können Menschen mit sportlichen Herausforderungen Leistungen erbringen, die eindeutig ihnen als Person zugewiesen werden können.“

Sie ist eine Getriebene

Die größte Herausforderung, der sich Freya Hoffmeister bisher gestellt hat, ist das Leben im Kajak. Auf Sightseeing in Australien hat sie keine Lust. Sie ist eine Getriebene, manche würden sagen: eine Süchtige. Ein möglicher Suchtfaktor, so Elk Franke, liege darin, dass nach jeder vollbrachten Grenzüberschreitung und einem Zustand der Euphorie eine Leere eintritt und der Mensch sich dann die nächste Herausforderung suche. „Das gibt es beim Laufen ebenso wie beim Bergsteigen, und das ist letztlich auch der Grund, warum die Menschheit auf dem Mond landen konnte“, sagt Franke.

Noch läuft jedenfalls alles nach Plan für Freya Hoffmeister. Sie paddelt. Und paddelt. Sie orientiert sich per Satellitensystem und Kompass. An guten Tagen sitzt sie in ihrem Kajak, nur bekleidet mit Sandalen, einem Kopftuch und gut eingecremt. „Wie auch immer das Wasser unter mir ist, ich tanze die ganze Zeit auf ihm, aber beschleunigen geht nicht. Dafür ist keine Energie übrig“, schreibt sie in ihrem Blog. Hoffmeister meint damit nicht nur körperliche Kraft. „Ohne all die positiven ermutigenden Kommentare von euch würde ich manchmal Probleme haben, motiviert zu bleiben – besonders, wenn unter hundert positiven Mails eine hereinkommt, die skeptisch oder sogar entmutigend klingt.“

Erste Erfahrungen mit der örtlichen Fauna hat sie auch schon gemacht. So schlangen sich einmal die langen Tentakel der so genannten Bluebottle-Qualle um Paddel und ihren Körper. In ihrem Blog beschreibt sie, wie sie das Ding entfernte: „Also habe ich die abstoßenden, blauen, stechenden Tentakel mit meinen bloßen Händen gegriffen und sie von meinem bedeckten Hals und den bedeckten Armen gestreift. Gottseidank haben sie nicht in meine Handinnenfläche gestochen… Die Qualle ging dann schließlich ganz von meinem Rücken ab – ekelhaft und zuerst angsteinflößend.“ Dann war da noch die Fünf-Zentimeter-Spinne, die sich in ihrem zum Trocknen aufgehängten Rock versteckt hatte. Freya Hoffmeister: „Beinahe hätte ich die in mein Zelt mitgenommen.“

Dennoch – ihre Erfahrungen haben die Liebe zum Wasser nicht getrübt. „Es ist schön, wenn es bewegt ist. Wenn es flach ist, ist es langweilig“, sagt Freya Hoffmeister.

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