Bauernopfer

Österreich Der Jenaer Student Josef S. sitzt in Österreich seit Januar in Untersuchungshaft. Am Montag wurde seine kafkaeske Verhandlung fortgesetzt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ein Polizeibeamter der WEGA unterhält sich mit seinen Kollegen. Zu dritt stehen sie an der Tür des Verhandlungssaals 303 des Wiener Straflandesgerichts. Es ist sehr heiß und schwül. Die Luft ist so dick, dass man sie fast schneiden kann und dass man sich wünscht, nach draußen zu gehen, wo es 32°C hat, nur um ein wenig Wind auf dem Gesicht zu spüren. Ich frage mich, wie es möglich sein soll, sich bei solchen Bedingungen im Zeugenstand zu konzentrieren, Geschehnisse zu rekapitulieren, die schon fast ein halbes Jahr zurückliegen. Wie soll man sich an die Details, die gefragt werden, erinnern? Ob zwei Meter neben einem genau eine Person etwas geworfen hat oder nicht, zu einem Zeitpunkt, auf den man sicher nicht genau geachtet hat?

Josef S. ist angeklagt. Er soll Rädelsführer des Schwarzen Blocks gewesen sein, jener Gruppe, die für die Ausschreitungen bei der Demonstration gegen den Akademikerball verantwortlich zeichnet. Weder Videokameras noch Fotoapparate sind zugelassen, es können auch längst nicht alle herein. Die für Journalisten reservierte erste Reihe ist binnen Sekunden völlig belegt. Die restlichen von uns nehmen in den hinteren, der zweiten, der dritten Reihe Platz.

Der Student aus Jena selbst wirkt sehr gefasst, sowohl während der Aussage der Gutachterin als auch bei den Aussagen der drei Journalisten. Das mag auch daran liegen, dass die Aussagen der Zeugen bzw. der Gutachterin ihn nicht belasten. Wenn überhaupt liefern sie Indizienbeweise: Die Gutachterin weist auf drei Nitratpartikel auf dem zu testenden Handschuh von Josef S. hin, die dort allerdings auch zufällig gelandet sein könnten. Oder er warf tatsächlich eine Rauchbombe, was allerdings nicht mit einem konkreten Delikt in Verbindung gebracht werden kann, da die Farbe des Rauchs nicht mehr feststellbar ist. Auch die anderen Zeugen entlasten S.: Sie haben seine markante Jacke, mit der weißen Aufschrift Boykott, am fraglichen Abend nicht gesehen. Auch nicht, als von beiden Seiten des Stephansplatzes „Sushi“ gerufen wurde, als Zeichen dafür, die Polizei einzukesseln, so eine Zeugenaussage.

Die Kollegen vor Ort sind skeptisch. „Was sind das für Beweise“ fragt einer in der Pause. Da könnte er ja durch eine Rauchwolke gehen und hätte ebenso Partikel an seiner Kleidung haften. Drei Partikel – zwischen drei und zwanzig finden sich an der Kleidung, wenn man eine Rauchbombe wirft. Je nach Winkel des Arms und der Windrichtung.

Nach mehreren Stunden im Gerichtssaal ist es nicht mehr auszuhalten. Das mehrmalige Lüften nutzt nichts, nicht einmal Twittern könnte man, zur Ablenkung. Zu gut ist der Raum abgeschirmt. In der Mittagspause verabschiede ich mich also. Gerade sehe ich noch, wie Josef S. abgeführt wird, von mindestens fünf Polizisten. Man fragt sich schon, in welcher Art von Staat man lebt, in der die Verteidigung, um ihren Mandanten zu entlasten, das gesamte oberösterreichische Polizeikontingent befragen muss bzw. will. Fast könnte man glauben, Kafka selbst würde hier die Fäden ziehen. Doch geht es in Wahrheit gar nicht um S., sondern um seine „Kollegen“ vom Schwarzen Block. An diese kommt man nicht heran, also soll es jetzt S. an den Kragen gehen – auf Kosten der Rechtsstaatlichkeit.

Keinen einzigen Beweis habe ich gesehen, der den deutschen Studenten auch nur in irgendeiner Form eindeutig mit Gewaltakten in Verbindung bringt – weder den Aussagen der Polizeibeamten, der Journalisten noch dem Videomaterial gelingt dies. So sehen das wohl auch die Demonstranten der Sozialistischen Jugend. Vor dem Gerichtsgebäude demonstriert man – recht überschaubar – für die Freilassung von Josef S. und gegen die Kriminalisierung von Antifaschismus. Am Hintereingang. Dennoch: Alles andere als ein Freispruch wäre in diesem Fall ein völliges Unterlaufen der Rechtsstaatlichkeit.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rjspoetta

International relations and security policy aficionado, diplomat by training.Twitter: @rjspoetta

rjspoetta

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden