Geht bloß nicht wählen

Österreich Wozu sollten wir wählen gehen? Lasst es doch einfach bleiben. Die Erdung manch eines Wahlaufrufs

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Irgendwo hat es meiner Meinung nach Tradition, vor einer Wahl einen Wahlaufruf zu schreiben und auch noch zu veröffentlichen. Üblicherweise folgt das einem ganz bestimmten Muster, nämlich dem überdeutlichen Herausstreichen, warum du wählen gehen solltest, warum wir wählen gehen sollten. Vielleicht, weil eine Million in Österreich lebender Menschen nicht wählen dürfen, weil sie die Staatsbürgerschaft nicht besitzen – als Illustration dessen, dass wir uns glücklich schätzen sollten, unser demokratisches Grundrecht wahrnehmen zu dürfen. Oder, dassfrühere Generationen das Wahlrecht erst mühsam erkämpfen mussten, um zu zeigen, dass es ein Recht ist, das wertvoll ist, um das viele Menschen, wahrscheinlich auch deine, meine, unsere Vorfahren, lange und hart gekämpft haben.

Oder ich könnte schreiben, dass nur jemand, der auch tatsächlich wählt, mitbestimmt, nur dann werden seine oder ihre Interessen berücksichtigt. Außer natürlich, er oder sie beteiligt statt an Wahlen an Volksabstimmungen und -befragungen. Das würde in dieselbe Kerbe schlagen wie der offizielle Wahlaufruf der Republik, nur wer wählt, redet mit. Ich könnte aber genauso gut ein Beispiel anführen, eine interessante Anekdote, dass eine einzige Stimme in Kärnten eine schwarz-rot-grüne-Koalition ermöglicht hat. Ich könnte zu verdeutlichen versuchen, rein theoretisch, würden alle Nichtwähler und Nichtwählerinnen für eine einzige Parlamentspartei stimmen, könnten sie diese sogar zur stärksten Kraft machen. Erhielte beispielsweise die KPÖ die 21% der Nichtwählerstimmen, würde sie die drittstärkste Partei. Das ist eines der Argumente, die Kommentatoren oft bringen. Geht wählen, denn eure Stimme kann, gemeinsam mit anderen, sehr wohl etwas bewegen. Das alles, bloß um zu zeigen, dass eine einzige Stimme sehr wohl zählt.

Auch könnte ich sagen, dass viele Nichtwähler bloß extremen Parteien nutzen. Ich könnte das Beispiel bringen, dass der rechtsextreme Jean-Marie Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 2002 in Frankreich durch eine niedrige Wahlbeteiligung in die Stichwahl gegen Jacques Chirac gelangte. Die Wahlbeteiligung war zu diesem Zeitpunkt die zweitniedrigste der fünften Republik. Noch niedriger war sie bloß im Jahr 1969.

Zuletzt könnte ich mit der sozialen Erwünschtheit argumentieren. Wählen ist cool, oder wer seine Stimme nicht nutzt, hat sie verschenkt oder zumindest weiß ist drin. So etwas oder so ähnlich haben wir das wahrscheinlich schon alle einmal gehört, mindestens einmal. Aber eigentlich ist das ja gar kein Argument, nur der Versuch, eine emotionale Reaktion zu provozieren, ein schlechtes Gewissen zu machen und letzten Endes dennoch jemanden dazu zu bringen, wählen zu gehen.

Aber in Wahrheit nützt das alles nichts. Diese Argumente hast du, habt ihr sicher schon dutzendfach gehört. Es ist eigentlich auch egal, ob ich einen Wahlaufruf verfasse oder nicht. Vollkommen egal. Deswegen tue ich es nicht. Ich sage, wenn ihr euch einbildet, nicht wählen gehen zu wollen, dann geht nicht. Lasst es bleiben, das ist euer Recht. Eine liberale Demokratie, wie Österreich eine ist, wird und muss das aushalten. Regiert werdet ihr trotzdem.

Das ist ein Wahlaufruf, der nicht versucht, moralisierend, belehrend oder sonst etwas zu sein. Er ist natürlich dazu gedacht, Österreicherinnen und Österreicher zum Wählen zu bewegen, hier steht er bloß der Vollständigkeit halber.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rjspoetta

International relations and security policy aficionado, diplomat by training.Twitter: @rjspoetta

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