Identitärer Marsch durch Wien

Österreich Die Demonstrationen der Identitären und der Linken am Samstag in Wien haben die österreichische Demonstrationsunkultur erneut offengelegt

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Identitärer Marsch durch Wien

Bild: Screenshot Vice

Für mich war es die erschreckendste Meldung im Jahr 2014. Eine schwangere Frau wurde bei einem Polizeieinsatz am Samstag so schwer verletzt, dass sie noch auf dem Weg ins Krankenhaus, im Rettungswagen, eine Fehlgeburt erlitt. Bei der Beschreibung eines angeblichen Augenzeugen, die anschließend auf Facebook und Twitter kursierte, drehte sich mir fast der Magen um. Zu grausam war diese Geschichte, zu glaubwürdig und gerade deshalb über alle Maßen erschreckend: Eigentlich hätte die Polizei eine Eskalation bei zwei gleichzeitig stattfindenden Demonstrationen, einer von den sogenannten „Identitären“, einer Gruppierung der neuen Rechten, und eine antifaschistische Gegendemonstration, verhindern und nicht auf eine Schwangere brutal einprügeln sollen.

Mittlerweile ergab sich eine neue Entwicklung. Es stellte sich heraus, dass die Frau doch nicht schwanger war. Ich war erleichtert, dass die Frau keine Fehlgeburt erleiden musste. Was jedoch bleibt, ist die Tatsache, dass Polizeibeamte eine Frau, die ihnen entgegenrief, schwanger zu sein, attackierten, zu Boden warfen und, obwohl sie über Unterleibsschmerzen klagte, angeblich nicht zu einem Rettungswagen durchließen. Selbst, wenn die Frau nicht schwanger war, ist dieses Vorgehen der Polizisten inakzeptabel. Die Aussage einer Polizeisprecherin, zu einem Zeitpunkt, als noch nicht klar war, dass die angeblich Schwangere die Unwahrheit behauptet hatte, zeigt deutlich ein Problem auf. "Prinzipiell gilt: Wenn man sich der Polizei in den Weg stellt, muss man mit Konsequenzen rechnen, auch wenn man schwanger ist“. Bedeutet das, dass man jedes Mal, wenn man etwas mit der Polizei zu tun hat, damit rechnen muss, verprügelt zu werden? Offenbar ja, denn die Frau wurde zu einem Zeitpunkt angegriffen, da die Demonstration selbst schon weitgehend beendet war.

Erschreckend ist die Plausibilität

Es sagt schon viel darüber aus, dass viele Zeitungen, Journalisten und auch Privatpersonen die Geschichte der Frau so plausibel fanden, dass sie sie zunächst nicht hinterfragten. Immerhin ist überbordende Polizeibrutalität in Österreich schon bei anderen Gelegenheiten beklagt worden, vor allem bei linken Demonstrationen. Gleichzeitig provozierte diese Geschichte widerliche, üble Reaktionen. Vor allem wurde – wie könnte es anders sein – zuallererst Kritik am Opfer laut. Anstatt die Ungeheuerlichkeit anzusprechen, dass Polizeibeamte eine angeblich schwangere Frau (denn dass sie nicht schwanger war, konnten sie nicht wissen, immerhin rief sie es ihnen entgegen) attackierten, fragte man sich, wie es sein konnte, dass denn eine Schwangere so dumm sein könnte, auf eine Demonstration zu gehen.

Zuallererst: Demonstrationsrecht ist ein Grundrecht, das ob einer Schwangerschaft nicht erlischt. Ob sie dieses Recht wahrnimmt oder nicht, obliegt ihr allein. In der Vergangenheit kam es bereits zu gewalttätigen Ausschreitungen bei österreichischen Links-Rechts-Demonstrationen, was manchen dazu bewegen mag, diese Entscheidung für unverantwortlich zu halten. Dem möchte ich entgegenhalten, dass es ebenso gewaltfreie antifaschistische Demonstrationen in Österreich gab und dass man in einem Rechtsstaat eigentlich davon ausgehen können müsste, dass Polizeibeamte professionell agieren, deeskalieren und Menschen bei einer Demonstration nicht angreifen sollten. Immerhin: Beide Demonstrationen waren angemeldet, die Polizei hätte eigentlich das Recht beider Seiten, zu demonstrieren, wahren sollen.

Bei dem Vorwurf, wie dumm sie nicht wäre, überhaupt aus dem Haus zu gehen, blieb es jedoch nicht. Gelegentlich war auch noch zu lesen, die Linken hätten eine abartige Freude an der Fehlgeburt, da sie sich dadurch als Opfer positionieren könnten. Lustvoll würden sie sich daraufstürzen und daran festkrallen, obwohl die betreffende Frau doch gar nicht schwanger war. Solche Vorwürfe sind für mich grundsätzlich unter jeder Kritik.

Demonstrationsfreiheit?

Mich erregt vor allem die Tatsache, dass die Inanspruchnahme der Demonstrationsfreiheit offenbar immer mehr zu einem Risiko wird – zumindest für linke Gegendemonstranten. Wie ein Video von VICE zeigt, solidarisierte sich zumindest die Einsatzleitung offenkundig mit den „Identitären“, erlaubte ihnen, den Demonstrationszug noch weiter fortzusetzen, obwohl eigentlich nach den Worten des Einsatzleiters beim Wiener Museumsquartier normalerweise Schluss sein sollte. Es war der Einsatzleitung offenkundig ein Anliegen, für die "Identitären" einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Alleine die Aussage des Einsatzleiters, „Freunde, jetzt wird’s eng, die verfolgen uns jetzt“, spricht schon Bände. Das wirft, wie ich oben bereits angedeutet habe, die Frage auf, wessen Demonstrationsfreiheit die Polizisten denn zu schützen gedenken.

Das bedeutet allerdings nicht, dass bei solchen Demonstrationen immer alles friedlich verläuft. Ebenso inakzeptabel wie das Verhalten der Polizei (wenngleich in weit geringerem Umfang) ist es, dass manche linken Demonstrantinnen und Demonstranten immer wieder durch Gewaltbereitschaft auffallen. Dass sie damit legitimen Protest gegen eine menschenverachtende Ideologie diskreditieren scheint ihnen nicht einzugehen. Ebensowenig, dass man damit den Rechten und der Polizei in die Karten spielt. Nach solchen Gelegenheiten warten Rechte liebend gern und das überaus deutlich artikulierend auf eine Distanzierung von Gewalt durch linke Parteien, zivilgesellschaftliche Organisationen und von wem auch immer. (Nur eine Nebenbemerkung. Ich habe bis heute nicht gehört, dass sich die FPÖ von der Gewalt und dem russischen Militäreinsatz in der Ukraine distanziert hätte, in der sie Wahlbeobachter spielen durfte und im Anschluss daran Russland immer wieder verteidigt hat.)

Nichtsdestotrotz hat die Polizei deeskalierend zu wirken und so wenig Gewalt wie nur irgend möglich anzuwenden, so einfach ist es. Schließlich sollten Beamte über eine entsprechende Ausbildung verfügen. Wenn diese nicht genügt, muss man über politische Konsequenzen nachdenken – abgesehen davon, dass der Wiener Polizeipräsident Pürstl und die Innenministerin Mikl-Leiter längst rücktrittsreif sind. Die sichtbare Kennzeichnung der Beamten mit einer Dienstnummer wäre ein guter Anfang.

Zuletzt noch eine Anmerkung. Mir ist durchaus bewusst, dass nicht alle Polizisten prügelbereite, rechte Erfüllungsgehilfen sind. Mit diesem Artikel wollte ich das auch nicht ausdrücken. Dennoch ist es notwendig, das Verhalten derjenigen Beamten, die am Samstag zum Einsatz kamen, zu kritisieren. Eine gesteigerte Sensibilität der Truppe, was Fehlverhalten betrifft, wäre wünschenswert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rjspoetta

International relations and security policy aficionado, diplomat by training.Twitter: @rjspoetta

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