Die Zeichen aushebeln: Kreative Sabotage

Semiotische Guerilla Wenn sich Kommunikations-Guerilleros mit den Taktiken der "direct action" auseinandersetzen, wird daraus? Kreative Sabotage!

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Die Zeichen aushebeln: Kreative Sabotage

Foto: rlf-propaganda.com

Während Techniken wie Sniping oder Subvertising eher zu den softeren Waffengattungen der Kommunikations-Guerilleros gehören, kombinier(t)en Gruppen wie King Mob, die Indiani Metropolitani oder The Yes Men ihr semiotisches Kriegsgerät mit einer Toolbox aus der anarchistischen Praxis: der direkten Aktion.

Ausgangspunkt dafür, das doch eher harmlosere Culturejamming mit Sabotage-Elementen zu verknüpfen, war die Erkenntnis, dass Konsumkritik à la Billboard Liberation Front oder Adbusters zwar die eigenen Konsumgewohnheiten in Frage stellt, aber ansonsten nicht viel zu einer grundlegenden Gesellschaftskritik beizutragen hat. Anstatt den Grundwiderspruch kapitalistischen Produzierens und Konsumierens - Bedürfnisse versus Geld - zur Sprache zu bringen, begnügt man sich mit dem Zeigen des moralischen Zeigefingers und echauffiert sich über ein "Zuviel-Konsumieren" oder "Falsch-Konsumieren". Das kann im besten Fall eine kritische Masse von Konsument_innen erzeugen, die zwar wenig bewirkt, doch sich zumindest ihrer Macht als Masse bewusst wird. In den unangenehmeren Fällen trifft man auf protestantische Verzichtsethik oder ökobürgerlichen Konsumelitismus, wo dann kleinen Kindern die Coke verboten oder der Einkauf im Alnatura zum moralischen Freispruch von den Übeln dieser Welt hochgejazzt wird.

Eine einfachere - und sicherlich auch analytisch stichhaltigere - Methode, die Konsumgesellschaft ihre eigenen Widersprüche vor den Latz zu knallen ist das geldlose Einkaufen, im Strafgesetzbuch auch "Diebstahl" genannt. Kreativer (und juristisch unverfänglicher) ist es jedoch, wenn es sich zur kollektiven Aktion ausweitet, ohne dass den Beteiligten überhaupt klar ist, dass sie gerade ein Gesetz übertreten. Britische Aktivist_innen der anarchistischen Gruppe King Mob beispielsweise plakatierten vor einem Einkaufszentrum selbstgedruckte Werbebanner, die einen "free shopping day" verkündeten und jeder Kundin und jedem Kunden einen kostenlosen, prall gefüllten Einkaufswagen versprachen. Das Konzept ging auf: Die Kunden machten sich mit großem Eifer an ihren Einkauf, ohne auf so Spaßbremsen wie Preisschilder oder Portemonnaies zu achten. Die Produkte waren für einen Moment lang von ihrer lästigen Geldhülle befreit: Sie waren nützliche Güter, keine Beschaffer von Profit mehr. Und die "Konsumenten" wurden zu Leuten mit Bedürfnissen, die ihren Einkauf so gestalteten, wie sie es für richtig hielten. Unnötig zu erwähnen, dass sowohl Ladendetektive als auch anwesendes Personal völlig überfordert waren mit den plötzlichen Ansprüchen ihrer Kundschaft, sich einfach zu nehmen, was sie brauchten.

Ähnliche Aktionen gab es auch in anderen Städten, im britischen Oxford beispielsweise, wo Aktivist_innen sich als Weihnachtsmänner verkleideten und kostenlos Waren an Eltern und Kinder verteilten, oder in München, wo im Vorfeld des Weltwirtschaftsgipfels 1992 die (gefakte) Kundenzeitung der Münchner Verkehrsbetriebe allen Münchner_innen das kostenlose Benutzen der Bus- und Bahnnetze für die gesamte Dauer des Gipfels versprach, da der Stadt "Bürgernähe wichtiger als Sparsamkeit" sei. Die Stadt sah sich zu einem Dementi genötigt, was natürlich nicht verhinderte, dass etliche Fahrgäste ein kostenloses Fahrvergnügen genossen.

Noch irritierender wirken Aktionen, in denen es darum geht, die ideologischen (Schutz-)Oberflächen eines gesellschaftlichen Systems zu umgehen, um den öffentlichen Blick auf die darunter liegende core message zu lenken - in möglichst anschaulicher Pose: Als die Yippies Ende der 60er Jahre mit ein paar Touristen die Tribüne der New York Börse bestiegen und ganze Säcke voller Ein-Dollar-Noten auf den Handelsraum herunterregnen ließen, bekamen sie genau das Bild, dass sie wollten: am Boden kriechende Wall-Street-Börsianer, die nach den Dollarnoten jagten. "Unser Ziel ist, ein Mysterium zu bleiben. Reines Theater...Geld auf den Boden der Börse zu werfen, ist reine Information. Es braucht keine Erklärung. Es sagt mehr aus als tausend antikapitalistische Traktate."

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Geschrieben von

RLF

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