Amazon: Primat der Bequemlichkeit

Buchhandel Moralische Entrüstung trägt nicht weit. Dies musste der Buchhandel dieses Frühjahr erfahren, dem der Amazon-Skandal zunächst viele neue Kunden bescherte.

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Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt. Die neue Tüv-Saar NetResearch Studie (Mai 2013) stellt in Frage, ob Amazons Image und die Kundenzufriedenheit überhaupt miteinander zusammenhängen.

Die ARD-Reportage “Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon”, die am 13.02. diesen Jahres gesendet wurde, ist noch heute in der Mediathek abrufbar. Sie deckte auf, dass der Preiskampf am Markt innerbetrieblich auf Kosten der Mitarbeiter geführt wird. Zahlreiche Medien griffen das Thema auf, u.a. der Spiegel. In Reaktion darauf änderte sich das Image von Amazon und teilweise auch das Kaufverhalten von Kunden.

Buchreport suchte im April nach Gründen für das “März-Plus im Buchhandel” und fand diese primär in der kritischen Berichterstattung. Bereits im März hatte der “Snapshot from the Chiefs of Marketing” der Roland Berger Strategy Consultants, wie W&V berichtete, aber davor gewarnt, zu glauben, dass sich das Bestellhalten auch langfristig ändern würde. Kunden würden den für sie einfachsten Weg präferieren.

Dieser ‘einfachste Weg’ betrifft nicht nur die Bestellung, sondern auch die Lieferung. Obwohl immer wieder über private Paketdienste und deren Arbeitsbedingungen berichtet wurde, wie z.B. vom NDR 2011, hat dies der Entwicklung von Online-Geschäften nicht geschadet. Der Zusammenhang von Online-Unternehmen und Paketdiensten ist offensichtlich: Amazon könnte gar keine Bestellungen annehmen, wenn es nicht Firmen gäbe, die ausliefern. Und da Amazon keine oder nur niedrige Gebühren von Kunden verlangt, darf man kaum erwarten, dass für die Auslieferungsfahrer der Paketdienste genug zum Leben übrigbleibt. Aber das sind verschiedene Fälle, nicht wahr?

Eins und eins zusammenzuzählen, ist ja nicht immer angemessen, zumindest im Kalkül der Moral. Da ist jeder für sich verantwortlich. Oder nicht? Sollte es mir nicht egal sein, in welchen Farben der Nachbar seine Wohnung streicht? Amazon und Paketdienste stehen zwar beide in der Kritik, doch dass sie wirtschaftlich aufeinander angewiesen sind und Amazon durch seine Marktposition die Bedingungen diktiert, unter denen Paketdienste beauftragt werden, lässt sich in einer privaten Moral nicht fassen. Moral wäre sogar unerheblich, weil es um gesellschaftliche Fragen, speziell um wirtschaftliche geht. Dies führt weit, nicht wahr (?), weit über den Rand der Untertasse hinaus, dem kleinen Geschirr, auf dem die Tasse mit Kaffee steht. Zum Kaffee gehört allenfalls Milch und Zucker.

Nun gut, wenn mir, wie ich jetzt anzunehmen habe, meine Bequemlichkeit vorgeht, sollte ich mich dann wundern, wenn mir plötzlich einfällt, dass es sich beim Fall Amazon eigentlich um eine innere Angelegenheit handelt, um die sich die Beteiligten selber zu kümmern haben? Klar war es gut, dass der Skandal öffentlich wurde. Auf diese Weise werden die Beteiligten animiert, ihr Verhalten neu zu regeln. Moralisch bin ich jedoch kein Beteiligter. Ich stehe außen vor, trinke Kaffee und – und tatsächlich, schon habe ich wieder bestellt! Klar hoffe ich, soviel Verantwortung muss sein, dass sich die inneren Verhältnisse bei Amazon verbessern, aus Wohlwollen der Gesellschaft gegenüber, aber ich entscheide ja nicht, am wenigsten über das Schicksal der Mitarbeiter. Meine Großzügigkeit hat zwangsweise Grenzen. Und nun ist sogar der Kaffee kalt, und niemand entschädigt mich!

Die Tüv-Saar Studie hat im Zeitraum Februar-März 2013 in der Gesamtbeurteilung des Unternehmens einen Rückgang um -21,7 % verzeichnet. Ausschlaggebend waren die Presseinformationen. 54 % der Befragten nahmen an, dass sich am Kaufverhalten der Menschen etwas ändern wird, doch 75 % würden ihr eigenes Kaufverhalten nicht ändern.
Diese Studie hat den Vorteil, breit angelegt worden zu sein. Der damit verbunde hohe Aufwand lässt sie aber über März nicht hinauszugehen. Der aktuellere Markenmonitor BrandIndex von YouGov zeigte, wie buchreport mitteilte, für März bis April 2013 bereits eine leichte Erholung der Imagewerte an.

Bislang ist noch gar nicht vollständig klar geworden, wodurch es sich Amazon leisten kann, günstige Preise anzubieten. Zu den reduzierbaren Kosten gehören nicht nur die Gehälter und der Versand, sondern auch die Einkaufspreise. Um es gleich vorweg zu sagen: Bei Büchern wirkt sich ein hoher Rabatt nicht auf den Verkaufspreis aus, es gelten gebundene Ladenpreise, dennoch liegt der von Amazon diktierte Rabatt bei weit über 50 % des Nettoladenpreises. Würde der gebundene Ladenpreis fallen, könnten Verlage vom Verkauf nicht mehr überleben, es sei denn, man fügte sich in internationale Konzernstrukturen ein und konzentrierte sich auf Massenware, die ihrerseits günstig herzustellen ist. Dies ist im englischsprachigen Raum geschehen, der zudem viel umfangreicher, der weltumspannend ist. Die Konzernstrukturen haben sich in den letzten Jahrzehnten auch in Deutschland festgesetzt. Noch kann allerdings in deutsch veröffentlicht werden, nicht zuletzt wegen der Buchpreisbindung, auf einem gleichsam regionalen Markt.

Aber die lokalen Händler in den Städten sind unter Druck geraten, können sich, wenn überhaupt, nur noch durch ältere Stammkundschaft über Wasser halten. Zunächst bedrohten Buchhandelsketten die kleineren Läden. Inzwischen sieht die Situation für alle dramatisch aus. Die Händler-Initiative “Buy local” versucht dem etwas entgegenzusetzen. Doch sie reicht nicht bis an den frischen Kaffee der Online-User heran. Ist viel zu weit von den Untertassen entfernt.

Der Beitrag erschien am 06. Juni zuerst bei den Ruhrbaronen: http://www.ruhrbarone.de/amazon-primat-der-bequemlichkeit/

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Geschrieben von

R.M.

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