Der Fettnapf der Koalitionäre: Eine besondere Art der Intergration

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Die öffentliche Schlacht um die Ansichten von Sarrazin ist vorerst beendet. Für Aufruhr haben besonders die pauschal vorgetragenen und in die Biologie reichenden Thesen über türkisch- und arabischstämmige Migranten und Juden gesorgt. Die Boulevardmedien verzeichneten einen Popularitätsschub für Sarrazin, allen voran ‘Bild’, ohne jedoch deutlich machen zu können, welche der Ansichten tatsächlich geteilt und welche aus Gründen eines diffusen Protestes gegen herrschende Zustände toleriert werden. Nach und nach melden sich Stimmen aus den Regierungsparteien, um symbolhaft verlorenen Boden gut zu machen - und tappen in eine Falle.

Innenminister de Maizière begann am Abend des 05.09.2010 in der ARD (Bericht aus Berlin) damit, Mahnungen und Strafen anzudrohen, wenn sich Menschen einer Integration verweigern. Ebenso verwies er darauf, dass Einhaltungen von Verpflichtung gegenüber dem Staat kein religionsspezifisches, sondern ein schichtenspezifisches Problem sei. Einen Tag später zogen der CDU-Generalsekretär Gröhe (Leipziger Volkszeitung), der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Fuchs (Rheinische Post) und der FDP-Generalsekretär Lindner (Neue Presse) nach, allerdings ohne auf die von de Maizière angeführte Schwierigkeit mit der Unterschicht einzugehen.

Allen voran hatte Rita Süßmuth am 05.09.2010 (Tagesspiegel) gefordert, das Thema Integration nicht so zu behandeln, als sei es neu. Die Worte der CDU-Politikerin und Präsidentin des Deutschen Volkshochschulen-Verbandes haben in der Regierungkoalition aber keine nennenswerte Aufnahme gefunden. Im Juni, am 03.06.2010, hatte sie als Präsidentin des DVV eine Presseerklärung verbreiten lassen, in der sie ankündigte, dass ein Rückgang der Integrationskurse für bereits länger in Deutschland lebende Zuwanderer um fast 50% erfolgen wird. Der Grund sei: Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge würden rund 30 Mill. Euro bis zum Jahresende fehlen.

Laut Bundesministerium des Inneren sind die Integrationskurse das ‘Herzstück’ der staatlichen Integrationspolitik. Meine Anfrage am 06.09.2010 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch beim Deutschen Volkshochschulen-Verband über den aktuellen Stand führte zu einem seltsamen Gebahren. Das BAMF teilte mit, die fehlenden Haushaltsmittel seien inzwischen angekommen, um jedoch sagen zu können, wann die Überweisung gutgeschrieben wurde, sei eine schriftliche Anfrage erforderlich. Ist die Haushaltslage des Amtes so brenzlig und geheim, dass zunächst eine Überprüfung um Auskunft bittender Personen anhand ihrer Absender zu erfolgen hat? Ob die Gelder bereits dem DVV zur Verfügung stehen, wollte dieser weder bejahen noch verneinen: Eine Presseerklärung sei in Vorbereitung. Die Angaben lassen den Verdacht zu, dass erst die neuentbrannte Debatte über Integration dazu führte, die eingestellten Planungen von Kursen für bereits länger in Deutschland lebende Zuwanderer wieder zu erwägen.

Im Grunde, so lässt sich vermuten, sind die Kurse dem Staat und der Regierung nicht bloß egal. Der beschriebene Fall reicht tiefer. Die ausgesetzte Mittelvergabe demonstriert: Die Integrationswilligen sind den zu leistenden Aufwand nicht wert. Noch ist der Fall nicht abgeschlossen. Man darf auf weitere Artikulationen der Beteiligten gespannt sein. Die Ankündigung der Koalitionäre aber, Integrationsunwillige zu mahnen und zu bestrafen, sollte beim Wort genommen werden: Es beträfe vor allem sie selber.

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Geschrieben von

R.M.

Anmerkungen über Politik und 'Kultur'.

R.M.

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