Die Austreibung der Kreativität

Literatur Literarische Kunst und Kreativität?

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https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/36/MRI_head_side.jpgAls anerkannter Künstler kann jeder gelten, der sich dem bürgerlich Reglement beugt, dem ideologischen als auch dem des investierenden Kapitals und eines nachfrageorientierten Marktes, ebenso politisch motivierten Orientierungen oder gar Zugriffen, von welcher bürgerlichen oder alternativen Seite auch immer, oder sie hatten mit Künsten eh nichts zu tun, bestenfalls mit nachahmendem Kunsthandwerk, das schlicht Produktkategorien und -sortimenten folgt.

Zunächst sei auf eine Schwierigkeit hingewiesen: Einbringbare Kreativität ist unter Menschen ein äußerst seltenes, ökonomisch betrachtet ein knappes Gut. Die zuvor beschriebenen bürgerlichen Vereinnahmungen sind ein Resultat dieser Besonderheit. Deshalb ist es durchaus ein gesellschaftliches Anliegen, nach Kreativität Ausschau zu halten, zu welchem Zweck auch immer, und sie gegebenenfalls zu fördern. Doch sie muss passen.
In einem Gespräch mit dem Literaturcafé betonte der Literaturchef der ZEIT, Ijoma Mangold, dass die Stärke einer Zeitung ihre Selektionsautorität sei. Er erläutert das bürgerlich administrative Verfahren vorzüglich, das bei den Verlagsproduktionen ansetzt, auch wenn es völlig an der Sache vorbeigeht, der Kreativität. Im Zentrum stehen die speziellen bürgerlichen Bedürfnisse und die am Alten entwickelten Kriterien.

Ernst Hany (Psychologoge an der Universität Erfurt) beschrieb eine psychologische Bedingung folgendermaßen: „Um kreativ zu sein, muss ein Mensch eine ausgeprägte Lust am Neuen haben, er muss unbekümmert und selbstbewusst sein.“ Doch diese ‚Lust am Neuen‘ reicht nach Hany gesellschaftlich nicht aus: Es fehlt als Kriterium eine Verwertbarkeit: „Kreativ ist ein Mensch, der in der Lage ist, Dinge oder Ideen zu produzieren, die neu, ungewöhnlich - und nützlich sind.“
Ihm ist durchaus klar, dass mit erforderlichen Einschätzungen nicht leicht umzugehen ist, besonders in Bezug auf Künste, weil eine Resonanz fehlen kann, als Beispiel führte er die musikalischen Werke Johann Sebastian Bachs an: „Zu Lebzeiten fanden die Kompositionen von Johann Sebastian Bach kaum Anerkennung. Kreativität liegt also immer im Auge des Betrachters, sie ist abhängig von der sozialen, kulturellen und politischen Bewertung durch die Gesellschaft.“ Dennoch sieht er im Folgenden von diesem Problem ab und widmet sich einer Messbarkeit, die sich (a) an auffindbaren oder konstruierbaren Rängen orientiert, (b) an der allgemeinen Definition hängen bleibt, die historisch als auch sachlich schlicht unangemessen ist, weil sie undifferenziert bleibt, im Hinblick auf technische, wissenschaftliche oder künstlerische Produkte. Hinzu kommt: Nicht nur lässt sich etwas gesellschaftlich leicht unterbewerten, das Zeitströmungen nicht anspricht, sondern auch etwas völlig überbewerten, das solchen erliegt. Mit Wissenschaft hat eine etwaige Messbarkeit von Kreativität nichts mehr zu tun, allenfalls mit dem, was von der Wissenschaft übrig blieb, nach der gesellschaftlichen Vereinnahmung und einer Konditiondierung auf bürgerlich Fassbares.

Kreativ zu sein, ist sogar längst zu einer gesellschaftlich sektoralen Anstrengung geworden, um Kreativität innergesellschaftlich zu einem Marktsektor (Kreativwirtschaft) machen zu können, per ökonomisch politischem Handstreich. Mit einer ‚Lust am Neuen‘ hat dies überhaupt nichts mehr zu tun, bestenfalls mit politischem Marketing für einige Berufsgruppen und ihren Arbeitsmarkt. Es hat sich gesellschaftlich ein Kreativitätshype entwickelt, der Neues ausblendet, weil die Messbarkeit einer Marktakzeptanz im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, allenfalls auf Technisches bezogen ist, z.B. im Rahmen der Digitalisierung.
Diese auffällige Stagnation betrifft auch die vereinnahmten Künste, allerdings in etwas anderer Weise: Die wirtschaftliche Werthaltigkeit geht mit einer aufgewerteten Traditionsorientierung einher, die allenfalls durch veränderbare Stile in der Auswahl aufgefrischt wird und aus der Erfordernis erwuchs, Namen, Marken anbieten zu müssen. Der Markt der bildenden Kunst ist auf Investoren und Sammler ausgerichtet; im Grunde ist es egal, um was es sich konkret handelt, soweit eine Investition eine zu erlangende Wertsteigerung verspricht. Es lassen sich längst spezielle Beratungsagenturen (z.B. Berenberg Art Advice, Düsseldorf) anheuern. Das Börsengeschehen hat bereits zu der einen oder anderen Wutrede geführt (z.B. von Felix Droese).

Auch auf dem Literaturmarkt hat eine Traditionsorientierung stattgefunden, die von einer Rückbesinnung auf einfache Geschichten bis zu einer Flucht in die Avantgarde der ‚klassische Moderne‘ reicht. Doch besonders in der Literatur ist die Traditionsorientierung auch kulturell bedingt, auch wenn sie nicht unabhängig von der ökonomischen Entwicklung ist.
Franco Moretti hat ‚den Bourgeois‘ als eine Schlüsselfigur der Moderne interpretiert (Kurzüberblick bei Perlentaucher) und zeitlich bereits früh Strukturierungen innerhalb der Literatur und der beschriebenen Figuren bemerkt, die auf Arbeitsorganisation verweisen - abgrenzbar vom Adel, dem, heute würde man sagen, Events wichtiger waren. Den Durchschlag der bürgerlichen Ökonomie bis in die Literatur sollte man jedoch nicht allgemein historisch werten, nicht als allgemeines Geschichtsbild missverstehen. Handel gab es längst, auch international. Aussagen lassen sich in diesem Fall nur über berücksichtigte Romane treffen. Doch was Moretti als Erfolg feiert, den literarischen Einzug ‚des Bourgeois‘, ist bloß oberflächliches Theater. Er lässt eine Frage nach künstlerischer Gestaltung vermissen. Inzwischen sind Romane bestenfalls Kunsthandwerk, sieht man von ganz, ganz wenigen Ausnahmen ab (z.B. Brigitte Kronauer), oder sogar lediglich ein ratgeberbedingtes Resultat eines ‚Malen nach Zahlen‘.

Doch weshalb sind Fragen nach Form überhaupt literarisch relevant? Reicht es nicht, tradierte Förmchen zu haben, die man mit feuchtem Sand füllen kann, ob in der Lyrik oder Prosa, damit sich die Füllung in der Produktion gut anschmiegt und leicht abstreichen lässt? In dieser Weise ließe sich doch fein Kuchen backen! Und vielleicht lässt sich diese Arbeit sogar bald digital organisieren, nach Leserwunsch, mit anklickbaren Stiltypen, nach besonderen Vorlieben für Themen, Worte und Wortkombinationen, ja, und für einen selig machenden Schluss!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

R.M.

Anmerkungen über Politik und 'Kultur'.

R.M.

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