Eine sonderbare Debatte

Literatur Hat Literatur nur sehr entfernt etwas mit Sprache zu tun?

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https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/ea/Wessel_smedbager05.jpgHat Literatur nur sehr entfernt etwas mit Sprache zu tun? Die durch einen Essay von Wolfram Schütte angestoßene Debatte über Lesen und Kritik hinterlässt bei mir bislang den Eindruck, als ginge es in der Literatur nicht primär um Sprache, sondern bestenfalls um ein Geschehen, eine Handlung, um einige von Lesern und Kritikern artikulierbare Gefühle; es bliebe nach meinem Ermessen kaum mehr als eine Atmosphäre übrig. Nur eine Teilnehmerin der Debatte, Sieglinde Geisel, bezieht Sprache explizit ein, den meisten anderen Akteuren reichen sozialbezogene Überlegungen im Hinblick auf einen, wie Thorsten Jantschek im Deutschlandradio hervorhebt, Strukturwandel der Öffentlichkeit.
Eventuell geeignete Konsequenzen aus diesem Wandel, falls eine Finanzierung glücken könnte, werden ebenfalls nur von einer Person gezogen: Ekkehard Knörer schlägt die Entwicklung einer Literaturzeitschrift vor, die sich an der us-amerikanischen Los Angeles Review of Books orientiert. Was von der Vorbildfunktion letztlich übrig bliebe, wäre freilich eine andere, anfänglich nicht beantwortbare Frage, aber die pragmatische Ausrichtung, die von Unterhaltungsliteratur zu literarischer Kunst und zu Wissenschaften reicht, würde ein relativ breit gestreutes Publikum ansprechen können. Wenn ein solches Online-Magazin die Kritiker jeweils dazu anhält, zumindest allgemein über ihre Maßstäbe zu informieren, die Leser die Möglichkeit erhalten, eigene Ansichten in Kommentaren oder gar als Leserbeiträge zu äußern, würde auch eine Offenheit entstehen können, die viele Menschen inzwischen erwarten.

Was aber hat sich verändert? Wolfram Schütte verzweifelt geradezu an allem, dem Einzug des Digitalen, der geringer geworden medialen Relevanz der ehemals führenden Printverlage, dem Verschwinden der früher maßgeblichen Kritik. Sein Anliegen ist, etwas Elitäres neu zu konstituieren, das sich unter „Fahrenheit 451“ im Internet bilden könnte, also auch dem Namen nach primär der Vergangenheit zugewandt ist.
Dieses Anliegen ist von vielen Seiten zurecht kritisiert worden, die alten Zeiten ehemaliger Dominanzen in der Buchbranche sind schlicht vorbei. Mehr als ein mitleidiges Lächeln dürfte als Reaktion kaum in Frage kommen.
Weiterhin zentral ist für mich hingegen der zu beobachtende mangelhafte Bezug auf Sprache seitens der Kritik, den Sieglinde Geisel moniert. Im Hinblick auf ein Format hat Ekkehard Knörer einen Schritt nach vorn vollzogen, indem er einen interessanten Vorschlag für ein Format einbrachte, das allerdings auch nur ein Internetangebot neben anderen sein kann. Es gibt unlängst viele Engagements im Netz.
Was ich hingegen nicht verstehe, weshalb der ‚Strukturwandel‘ der Öffentlichkeit, der von Thorsten Jantschek verständlicherweise als sozialer beschrieben wurde, Einfluss darauf haben könnte, weshalb ein Bezug seitens der Kritiker auf Sprache unterbleibt: „Rein literaturästhetische Kriterien, wie sie Sieglinde Geisel aufbietet ("Was leistet ein Text literarisch? Stellt ein Autor mit der Sprache etwas an, was vor ihm keiner getan hat? Hören wir eine eigene Stimme?"), scheinen mir kaum mehr hinreichend, um in die Bedeutungsvielfalt einzutauchen, die sich aus dem Zusammentreffen von Texten und Lesern ergibt.“
Thorsten Jantschek weicht der Frage nach Sprache bloß aus. Auch wenn eine veranschlagte ‚Bedeutungsvielfalt‘ feststellbar wäre, würde Sprache etwa nicht dazugehören? Schlösse man sie aus, ginge es nicht mehr Literatur, sondern nur noch um irgendwelche Geschichtchen und Gefühlchen, bei denen fraglich bliebe, ob sie in Bezug auf einen Text überhaupt von Relevanz sein können.
Bei einer Thematisierung von Sprache wäre es übrigens nicht erforderlich, in eine alte Rolle des klassischen Kunstrichters zurückzufallen, obgleich von einer Antwort auf die Frage nach Sprache viel abzuhängen scheint, auch, ob man es überhaupt mit literarischer Kunst zu tun hat. Würde man eine Differenzierung zu Kunsthandwerk vornehmen (Kathrina Talmi), ließe sich ohne Fallbeil und überbordende Gesten auskommen. Es ginge darum, eine begründbare Orientierung anzubieten, auch eine sprachbezogene, um mehr nicht. Dass z.B. auf dem Markt inzwischen kaum noch literarische Kunst geboten wird, wäre dies nicht nur eine literarisch interessante, sondern auch eine gesellschaftlich wichtige Information?

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Geschrieben von

R.M.

Anmerkungen über Politik und 'Kultur'.

R.M.

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