Statt Kooperation, Zerfall

Ruhrgebiet Der Verfall der Region geht ungebremst weiter. Speziell in Duisburg wollen sich bereits einige Stadtteile von der Region und der Stadt lossagen.

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http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/e/e8/Duisburg_-_Am_B%C3%B6rt_-_Rheinorange_07_ies.jpg/512px-Duisburg_-_Am_B%C3%B6rt_-_Rheinorange_07_ies.jpgNach dem – für manche Leute grausamen – Abriss über gesellschaftlich in Mode gekommene Worte ‘Evolution’, sind Fragen nach möglichen gesellschaftlichen Entwicklungen keineswegs hinfällig geworden, auch nicht mit Bezug auf das Ruhrgebiet. Von besonderer Relevanz sind Fragen nach wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten, bezieht man die hohen Sozialkosten ein, die der gehemmte Strukturwandel, die regionale Massenarbeitslosigkeit und die vom Bund auferlegten Reformen in der Sozialgesetzgebung eingebracht haben.

Ansiedlungen von Billigmärkten und Outlet-Center sind lediglich eine Reaktion auf die vergleichsweise geringe Kaufkraft. Die marode Infrastruktur ließe zwar eine partielle Rückkehr zu bäuerlichen Lebensweisen zu, in nicht wenigen Straßen könnte man bald Kartoffeln und Korn anpflanzen, auch ohne sie aufreißen zu müssen. Johann Nepomuk von Schwerz betonte 1820, dass im relevanten westlichen Gebiet der Grafschaft Mark ein geeigneter Boden für Roggen und Großgerste sei (vgl. Das Ruhrgebiet. Ein historisches Lesebuch, Bd., 1, hg. v. K.Tenfelde, Th.Urban, Essen (Klartext) 2010, S. 113). Doch auch eine eventuell betreibbare experimentelle Subsistenz- und Tauschwirtschaft würde kaum mehr als die Not aufzeigen, die im Ruhrgebiet herrscht.

Die an Materialforschung und Logistik ausgerichtete Planung der Konzerne (Ruhr2030) ist gescheitert, obgleich hiesige Voraussetzungen berücksichtigt, wenn auch teilweise überbewertet wurden. Und der aktuelle Ideenwettbewerb des Regionalverbandes Ruhr (RVR) ist eher raumplanerisch orientiert, denn an wirtschaftlichen Belangen. Keiner der finalen Beiträge setzt die wirtschaftliche Entwicklung in das Zentrum, um eine Raumplanung daran auszurichten. Ohne den Einbezug hinreichender wirtschaftlicher Entwicklungsmöglichkeiten bleiben solche dokumentierten Ergebnisse fraglich. Ähnlich verhält es sich mit dem längerfristigen Projekt Städteregion 2030. Doch der RVR ist beschränkt! Für mehr als Raumplanung ist er nicht zuständig. Jede Stadt murkst wirtschaftspolitisch primär für sich alleine!

“Kompetenzfeldwirtschaft”?

Das Konzept der Konzerne (Ruhr2030) war an sogenannten ‘regionalen Kompetenzen’ ausgerichtet, das Wirtschaft als auch Forschung, also die Hochschulen und Institute, einbezog. Worin diese lokalen Kompetenzen allerdings liegen, darüber kann man, wie auch der RVR weiß, unterschiedlicher Ansicht sein. Es lässt sich sogar fragen, ob es sich nicht eher um wirtschaftliche Erfolge, denn um Kompetenzen handelt: Nicht Kompetenzen, sondern Erfolge entscheiden darüber, was wirtschaftlich in Frage kommt. Doch ‘Erfolgswirtschaft’ hört sich ziemlich tautologisch an, ‘Kompetenz’ erweitert hingegen die beanspruchte Geltung, auch wenn man sie nicht einlösen könnte. ‘Felder’ passt zu dieser Sprachblüte gut – ebenso zur vorindustriellen bäuerlichen Geschichte.

Die Planung hat sich seit dem Scheitern der Konzerne kaum verändert. Das Gewicht liegt, wie beim RVR nachzulesen ist, weiterhin auf Materialforschung und Logistik, tritt nur weniger offensiv in die Öffentlichkeit. Sogar die Medizintechnik, die auch die Konzerne bereits inklusive der hiesigen Kliniken einbezogen hatten, gehört dazu. Im Grunde wird das alte Konzept weiterhin verfolgt. Doch in der regionalen ‘Kompetenzfeldwirtschaft’ bleibt der Markt im Hinblick auf Ansiedlungen unberücksichtigt, die überregionale Relevanz. Sachsen war mit seinem Aufbau eines “Silicon Saxony” für Unternehmen aus der Mikroelektronik – die zum Bereich Materialforschung gehören -, weitaus attraktiver als das Ruhrgebiet.

Nationalpark Ruhrgebiet?

Wirtschaft und Raumplanung verbindet ein zentrales Problem. Das Ruhrgebiet ist erst durch den Ausbau und die Konzentration auf Schwerindustrie entstanden. Der Gelsenkirchener Stadtteil Heßler, in dem ich aufwuchs, weist durch seinen Flurnamen noch heute darauf hin, was es dort wahrscheinlich einst gab: ein Idyll aus Haselnusssträuchern! Die Städte als auch die Region, mit denen man es heute zu tun hat, wären ohne die strukturgebende Wirtschaft, die Schwerindustrie, gar nicht entstanden. An den Rändern, Heßler liegt an der Grenze zu Altenessen, blieben landwirtschaftliche Betriebe relativ lange erhalten. Ich kann mich an drei Höfe in diesem Stadteil erinnern, obwohl längst Schächte der Zeche Wilhelmine Victoria entstanden waren und noch vor meiner Geburt mehr oder weniger geschlossen wurden. Inzwischen ist vom Bauernland als auch von den Zechengeländen viel überbaut oder in alternativer Nutzung. Heute hat man es im Ruhrgebiet mit einem städtischen Ballungsraum von über fünf Millionen Menschen zu tun, zu einem großen Teil ohne wirtschaftliche Perspektive. Auch wenn man eine zukünftige monowirtschaftliche Struktur vermeiden möchte, kommt man nicht umhin, zu berücksichtigen, dass es um rund 50.000-70.000 Arbeitsplätze geht! Wenn man dies nicht als politische Aufgabe sieht, sollte man konsequent zur Abwanderung aufrufen und den partiell begonnen Rückbau forcieren, um z.B. touristisch attraktive Urwälder entstehen zu lassen, einen urtümlichen Emschbruch, vielleicht sogar im Verbund mit Bungee Jumping in alte, überwucherte Schächte. Die planerische Erschließung eines Nationalparks, das wäre eine echte Alternative! –

Statt Kooperation, Zerfall

Duisburg hat inzwischen Probleme, Stadtteile an sich zu binden. Die Bürgerintitative “Deine-Stimme”, wie inzwischen sogar relativ ausführlich in der Welt zu lesen ist, spricht sich gegen einen Verbleib des Bezirks Homberg, Ruhrort und Baerl in Duisburg aus. Besonders in den linksrheinischen Stadtteilen Homberg und Baerl ist der Widerstand gegen die Stadt groß, wie die WAZ mitteilt. Die bürgerliche Enttäuschung und Wut richten sich gegen Verwaltung und Politik, die nichts gegen den Verfall der Wirtschafts- und Lebensräume unternehmen. Es wäre müßig, darüber zu spekulieren, ob sich auch der Duisburger Süden abwenden, ja ob der Separatismus in andere Ruhrgebietsstädte überspringen wird, doch ist offensichtlich eine Belastung von Bürgern erreicht, die zumindest lokal Grenzen gefunden hat.

Der Beitrag entstand für die Ruhrbarone.

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Geschrieben von

R.M.

Anmerkungen über Politik und 'Kultur'.

R.M.

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