Der Pferdenarr und sein Teufelssumpf

Strassburger Bodenreformurteil Otto Körnig hat seit elf Jahren um sein Land gekämpft und will nun 350.000 Euro Schadenersatz

Es gab manchen Jubelschrei, ungläubiges Staunen und das Gefühl einer tiefen Genugtuung: 70.000 Erben von Bodenreformland der früheren DDR, die nach der Wende enteignet wurden, hätten entschädigt werden müssen. Diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg hat schwer absehbare Folgen. Die Bundesregierung muss mit einer Flut von Klagen rechnen.

Otto Körnig spielt Gutsherr. Er thront auf "Landlord", seinem schwarzen Vollbluthengst, und lächelt in die Objektive von fünf Fotografen. "Ich mach euch doch jern den Hampelmann", ruft der stolze Reiter. "Los, drückt ab." Blitzlichter gewittern. Das Pferd scheut. "Du gehst mir nicht durch, Dicker", sagt Körnig und klopft dem wiehernden "Landlord" mit der flachen Hand auf den Hals. Während sich das Tier beruhigt, laden die Fotografen zum nächsten Schuss. Sie sind von den Redaktionen großer deutscher Nachrichtenmagazine und kleiner Regionalzeitungen nach Mosigkau entsannt wurden - einem 2.000-Seelen-Dorf im Wörlitz-Dessauer Gartenreich -, um ihn, Otto Körnig, Vize-DDR-Meister im Springreiten, anerkannter Züchter von Reitponys und Bundespreisrichter im Pferdesport, im Freudentaumel abzulichten. Sein Bild soll stellvertretend für 70.000 ehemalige DDR-Bürger, die nach der deutschen Einheit von der Bundesrepublik Deutschland enteignet wurden, durch die Zeitungen gehen. Der 47-Jährige gehört zu jenen Bodenreformerben, die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nun wieder berechtigte Hoffnung haben, an ihr Erbe zu kommen oder dafür entschädigt zu werden.

Einen Mann wie Otto Körnig lieben Journalisten. Er macht ein Jubelgesicht, wann immer die Fotografen ihn darum bitten, streckt dabei seinen rechten Arm in die Höhe und spreizt Zeige- und Mittelfinger zum Victory-Zeichen. So müssen Siegerfotos aussehen. Otto Körnig gibt seinem Pferd die Sporen. Er reitet einen mit Eispfützen gespickten Feldweg entlang, der zu seinem Land führt. Die Fotografen folgen. Zu Fuß. Schnee fällt aus grauen Wolken. Es ist bitterkalt. Der Weg führt zum "Teufelssumpf" - so wird immer noch das Gelände genannt, das längst zu einem Einkaufspark mit angrenzenden Einfamilienhäusern geworden ist. "Es ist gutes Land, weil teures Land", sagt Körnig, der seit elf Jahren um sein Eigentum kämpft und nun in Gedanken schon die Geldscheine zählt. Zehn Hektar gehören ihm. Er will dafür vom Bundesland Sachsen-Anhalt eine Entschädigung von mindestens 350.000 Euro: "Der Staat soll bluten, wie ich geblutet habe."

Seine Großmutter, Luise Seupt, damals Melkerin, erhielt das Stück Land 1946 während der DDR-Bodenreform. Es gehörte ursprünglich zu den Ländereien des Rokokoschlosses Mosigkau mit seinem "Hochadeligen Fräuleinstift". Das war eine Art Altersheim für verarmte Adelsdamen. Großmutter Luise war eine typische Rucksackbäuerin, erinnert sich Körnig. Sie hatte nichts außer ihrem Acker. Ihr Mann, Willi Seupt, saß in Norwegen in Kriegsgefangenschaft. Mit männlicher Hilfe war also nicht zu rechnen. Sie plagte sich mit dem Boden allein ab. Sie pflanzte Tabak, Kartoffeln und Rüben an, verkaufte einen Teil der Ernte und behielt den Rest zum Leben. Als die Landwirtschaft in der DDR kollektiviert wurde, musste Luise Seupt ihren Acker in die Pflanzenproduktionsgenossenschaft Hinzdorf einbringen, blieb aber Eigentümerin. Später erbte es Otto Körnig. Er erhielt eine jährliche Entschädigung von 25 DDR-Mark. "Da konnte man ganz schöne Sprünge machen", schmunzelt der gelernte Schienenfahrzeugschlosser, der selbst nie in der Pflanzenproduktion gearbeitet hat. Sein "Kampfplatz für den Frieden" war die LPG Paul Kmiec in Mosigkau, in der Bullen für den Export gemästet wurden. 15 Jahre war Körnig hier Sicherheitsinspekteur.

Dann kam die Wende und damit die Erinnerung an das geerbte Land. Es gehörte jetzt wieder ihm. So sah es der Einigungsvertrag vor. Doch dann, 1992, beschloss der Bundestag, alle Erben der DDR-Bodenreform zu enteignen, die nicht mehr in der Landwirtschaft arbeiten. Otto Körnig hatte sich gerade mit einer Gaststätte, dem Reiterstübchen und einem Ponyhof selbstständig gemacht, als plötzlich die Enteignungswelle durch Ostdeutschland rollte und allein in Sachsen-Anhalt 18.000 Menschen vor ungeahnte Probleme stellte. Denn viele hatten ihr Land bereits verkauft oder verpachtet. Sie mussten die Einnahmen zurückzahlen. Otto Körnig erinnert sich: "Da sind viele über die Klinge gesprungen, weil sie vor Schulden nicht mehr aus den Augen gucken konnten." Er erzählt von einer Frau, die bei Weißenfels Land verkaufen musste, weil darauf eine Autobahn gebaut wurde. Zwei Jahre später sollte sie den kompletten Kaufpreis zurückzahlen, weil sie nach neuer Rechtsprechung nicht mehr als verkaufsberechtigte Eigentümerin galt. Das Geld aber war nicht mehr da. Die Kinder der Frau hatten davon ein Eigenheim gebaut und sich einen Urlaub in der Dominikanischen Republik gegönnt. "Die Frau war über Nacht hochverschuldet", sagt Körnig. "Die hat sich davon bis heute nicht erholt."

Otto Körnig aber bäumte sich auf - gegen "das staatliche Raubrittertum". Er schrieb Eingaben. Der Schriftverkehr mit den Behörden füllte ganze Aktenordner. Doch niemand zeigte Verständnis für seine Lage. Stattdessen erhielt er einen Brief vom Amt für Flurneuordnung, "verfasst in einem rüden Ton", wie Körnig sagt. "Unterschreiben sollten wir, dass wir unser Land kostenlos abtreten. Die drohten mit gewaltigen Prozesskosten, sollten wir uns weigern." Otto Körnig unterschrieb nicht und wehrte sich. Das unterscheidet ihn von vielen anderen Betroffenen, die aus Angst, sich noch mehr zu verschulden, klein beigaben. Er klagte sich durch die Instanzen bundesdeutscher Gerichte. Doch ohne Erfolg. Erst die Klage von fünf Bodenreformerben vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte brachte die Wende. Die Straßburger Richter korrigierten die bundesdeutsche Rechtsprechung und stellten einen groben Verstoß gegen Artikel 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention fest. Darin wird das Recht auf Achtung des Eigentums garantiert. Vier Wochen haben die Betroffenen nun Zeit, um ihre Ansprüche geltend zu machen.

Otto Körnig hat bereits einen Rechtsanwalt beauftragt, seine Geldforderungen einzuklagen. Aus seinen Augen blitzt die Schadenfreude. "Die haben uns unter Druck gesetzt, jetzt setzen wir die unter Druck", sagt er und lächelt noch einmal siegessicher in die Objektive der Fotografen. Er glaubt nicht, dass sich das Schicksal noch einmal gegen ihn wenden könnte. Er weiß aber, dass die Bundesregierung das Urteil anfechten kann. "Sollen sie ruhig", meint Körnig. "Die werden sowieso nicht Recht bekommen." Diesmal werde das Glück auf seiner Seite sein.


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