Peter K. ist Sänger der Band "Skinheads Sachsen-Anhalt (SSA)", ein junger Neonazi, der aus seiner Gesinnung keinen Hehl macht. Wenn er am Mikrofon steht, grölt er Sätze wie: "Hurra, Hurra - nun sind wir da und euer Albtraum, der wird wahr. Genau wie damals werden wir marschieren und unsere Feinde, die werden krepieren." Der 32-Jährige nimmt seine hasserfüllten Texte wörtlich. So gilt er beispielsweise als Rädelsführer einer Randalnacht in Halberstadt, deren Verlauf später vor Gericht rekonstruiert wurde.
Am Vorabend des Rudolf-Hess-Gedenktages 2003 versuchen zehn Jugendliche und Erwachsene aus der rechten Szene, in ein alternatives Wohnprojekt einzudringen. Als dies nicht gelingt, beschimpfen sie einen Passanten mit "schwule Sau" und schlagen ihm eine Bierflasche ins Gesicht. Anschließend überfällt die Gruppe die ZORA, einen alternativen Jugendtreff in Halberstadt. Ein Ska-Konzert mit rund 70 Besuchern ist gerade zu Ende gegangen, als plötzlich Steine, Flaschen und Dachziegel fliegen. Die Skinheads greifen sich einen 21-Jährigen heraus und schlagen mit Zaunlatten zu. Blutüberströmt sackt der junge Mann zusammen. Ein herbeigerufener Notarzt stellt lebensgefährliche Kopfverletzungen fest. Um ein Haar wäre der Jugendliche wirklich "krepiert", wie Peter K. singt.
Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln als mutmaßlichen Haupttäter den Nazisänger Peter K. Gemeinsam mit vier Tatverdächtigen wird er vor Gericht gestellt. Seine Freunde legen ein umfassendes Geständnis ab. Sie werden zu Haftstrafen zwischen acht und 18 Monaten verurteilt. Peter K. aber schweigt zu den Vorwürfen. Deshalb wird das Verfahren gegen ihn abgetrennt. Im März 2005 entscheiden sich Richter und Staatsanwalt, Peter K. nicht länger wegen des Angriffs auf den 21-Jährigen aus der ZORA anzuklagen.
"Damit verhöhnen die Juristen das Opfer", sagt der Magdeburger Politikwissenschaftler Roland Roth. Auch Rechtsprofessor Jochen Fuchs und der Gründer des Komitees für Grundrechte und Demokratie, der Berliner Wolf-Dieter Narr, sprechen von einer "schlimmen Fehlentscheidung". Sie werfen den beiden Juristen Strafvereitelung im Amt vor und haben Anzeige erstattet. Doch haben die Juristen wirklich leichtfertig geurteilt? Halberstadts Oberstaatsanwalt Helmut Windweh bricht eine Lanze für seine Kollegen: "Wir haben Peter K. nicht freigesprochen, sondern wir haben den Prozess vereinfacht, damit wir möglichst schnell zu einem Urteil kommen."
Wie ist das gemeint? Peter K. ist wegen zweifacher Körperverletzung und Landfriedensbruch angeklagt. Er steht im Verdacht, zwei Jugendliche misshandelt zu haben, den einen schwer, den anderen leicht. Beide Taten werden vor Gericht gleichbehandelt. Nach Lesart der Juristen kann der Fall des 21-jährigen Schwerverletzen unter den Tisch fallen, weil dem Angeklagten so oder so eine Mindeststrafe von sechs Monaten droht.
Dieses Vorgehen mag juristisch sauber sein, doch in der Außenwirkung ist es verheerend, meinen die drei Professoren. In ihrer Anzeige schreiben sie: "Die Verfahrenseinstellung muss in Halberstadt und Sachsen-Anhalt geradezu wie eine Entschuldigung, wenn nicht sogar wie eine Lizensierung der gewalttätigen Untaten von K. und anderen ausgelegt werden." Merkwürdig erscheint Roland Roth auch, dass Staatsanwalt und Richter zwar sagen, dass sie zu einer "zeitnahen Verurteilung" kommen wollen, ein neuer Prozess gegen Peter K. aber nicht in Sicht ist.
Oberstaatsanwalt Helmut Windweh hingegen kann die ganze Aufregung nicht verstehen. Er ärgert sich darüber, dass sein Haus nun Schmährufen ausgesetzt ist. "Wir bekommen täglich Fanpost, werden andererseits unverhohlen als Nazis beschimpft. Schlimm ist das!" Die Fanpost, wie Windweh die Zuschriften nennt, landet nicht einfach im Papierkorb. Der Staatsanwalt sammelt sie. "Wir haben dazu einen Vorgang angelegt und prüfen strafrechtliche Konsequenzen."
Der Vorwurf, dass die Staatsanwaltschaft in Halberstadt auf dem rechten Auge blind sei, ist nicht neu. Heike Kleffner von der "Mobilen Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt" bescheinigt der Behörde "schleppende Bearbeitungszeiten" und eine "ausgeprägte Ignoranz", wenn es darum geht, die rechtsextreme Motivation von Gewalttaten in die Ermittlungen mit einzubeziehen. "Dadurch fühlen sich die Rechten in der Harzregion in ihrer Haltung bestärkt und begehen Wiederholungstaten."
Jüngstes Beispiel: Der Überfall auf zwei Jugendliche am Halberstädter See vor vier Wochen. Weil sie nicht in die NPD eintreten wollen, hält ein Jugendlicher aus der rechten Szene einem 14-Jährigen eine Pistole an die Stirn. Zuvor hatte er dessen Freund mit einer Fahnenstange niedergeschlagen. Der Tatverdächtige hat in den zurückliegenden drei Jahren bereits einen Inder und einen Asylsuchenden aus Eritrea angegriffen. "Mehr als ein Jahr nach dem Angriff auf den Eritreer gibt es noch immer keine Anklage", sagt Heike Kleffner. "Und so zieht der 20-jährige Rechte los - ohne dass ihm jemand Grenzen setzt - und schlägt alternative Jugendliche."
Es gibt noch mehr Beispiele dieser Art, die vermuten lassen, dass die rechte Szene glaubt, sie habe von der Justiz nichts zu befürchten. Auch deshalb haben die Professoren Anzeige erstattet. "Wir können nicht zulassen, dass hier rechtsfreie Räume entstehen", sagt Roland Roth in Richtung Justizbehörden. Vermutlich ärgert sich Oberstaatsanwalt Helmut Windweh über den Vorwurf. Doch er lässt sich nichts anmerken: "Wir haben eine Anzeige erhalten, der werden wir nachgehen." Mehr hat der Staatsanwalt zu dem Fall "eigentlich" nicht zu sagen. Doch dem "eigentlich" folgt ein leise gesprochener Nachsatz: "Ich gehe davon aus, dass die Professoren ihre Anzeige genau durchdacht haben, denn es gibt ja auch den Tatvorwurf der falschen Verdächtigung."
Die Anzeige der Professoren hat sich längst zum Politikum ausgeweitet. Sachsen-Anhalts Staatsminister Robra beteuerte, man werde das nicht auf sich beruhen lassen. Und aus dem Hause des Justizministeriums hieß es: Man werde den Fall prüfen.
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