Männerrunde auf Schmusekurs

Sachsen-Anhalt Die konkurrierenden Spitzenkandidaten greifen sich nur zaghaft an und wecken kaum Interesse bei den Wählern

Am Sonntag sind rund zwei Millionen Sachsen-Anhalter aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Doch wenn sich die Demoskopen nicht täuschen, dann wird der Andrang auf die Wahlurnen so überschaubar sein wie nie zuvor in der Geschichte des jungen Bundeslandes. Laut Umfragen interessieren sich 58 Prozent der Wahlberechtigten nur bedingt oder gar nicht für das demokratische Großereignis. Wahlmüde wie so mancher Bürger scheinen auch die Politiker selbst zu sein. Das große Säbelrasseln, wie sonst bei Wahlkämpfen üblich, findet in Sachsen-Anhalt nicht statt. Die Spitzenkandidaten der Parteien gehen auffällig pfleglich miteinander um. Ja, mehr noch: Sie benehmen sich wie Schmusekater. Sie kratzen und beißen sich nicht und wenn sie sich doch mal anfauchen, dann kaum hörbar.

Aus diesem zahmen Wahlkampf versuchen Bündnis 90/Die Grünen Kapital zu schlagen. Sie haben ein Wahlplakat entworfen, auf dem die drei Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten ein Nickerchen halten. Über den dösenden Köpfen von Wolfgang Böhmer (CDU), Jens Bullerjahn (SPD) und Wulf Gallert (Linkspartei.PDS) prangt der Satz: "Die schlafen früher ein." Damit haben die Grünen die Landeskampagne "Wir stehen früher auf!", mit der Sachsen-Anhalt sein Image aufpolieren will, ins Gegenteil verkehrt. Das hat einen Aufschrei der Empörung in der Magdeburger Staatskanzlei ausgelöst, denn die Grünen haben auch das Landeswappen verwendet. Die Medien schrieben darüber und die Ökopartei freute sich. Doch reicht das plumpe Auf-die-Schippe-nehmen von Politikern aus, um nach acht Jahren Abstinenz wieder in den Landtag einzuziehen? Die Umfragewerte für die Grünen liegen derzeit bei mageren vier Prozent.

Doch womit profiliert sich die Männerrunde auf Schmusekurs? Angeführt wird sie von Wolfgang Böhmer, dem CDU-Ministerpräsidenten. Seit vier Jahren lenkt er die Geschicke seines Landes - ohne große Showeffekte, aber dafür mit Eigensinn. Er redet weder seinen Parteifreunden nach dem Mund, noch kanzelt er seine politischen Gegner ab, sondern zollt ihnen Respekt, ist an Lösungen interessiert, was ihm Sympathien eingebracht hat. Auf beiden Seiten. Böhmer, der 17 Jahre lang als Chefarzt in einem Krankenhaus in Wittenberg gearbeitet hat, ist mit Abstand der beliebteste Politiker in Sachsen-Anhalt. Gäbe es eine Direktwahl zum Ministerpräsidenten, er würde sie nach Meinung der Umfrageinstitute um Längen gewinnen.

Acht Milliarden Euro haben Staat und Unternehmen in seiner Amtszeit in Sachsen-Anhalt investiert. 20.000 neue Arbeitsplätze sind so neu entstanden. Damit hat sein Bundesland zwar die rote Laterne an Mecklenburg-Vorpommern abgegeben. Dennoch bleibt die Arbeitslosigkeit mit 20 Prozent das Hauptproblem des Landes. Nach einem Bericht des Landesamtes für Statistik gibt es heute sogar 35.000 Arbeitsplätze weniger in Sachsen-Anhalt als noch vor vier Jahren. Da aber jede Behörde, jedes Ministerium seine Statistik anders berechnet, ist es schwer zu sagen, ob die Bilanz der schwarz-gelben Regierung unterm Strich positiv oder negativ ausfällt.

Böhmer will es jedenfalls noch einmal wissen und kämpft erneut um den Posten des Ministerpräsidenten. Wenn er auf einem Marktplatz, in einem Betrieb oder in einem Feuerwehrhaus eine Wahlkampfrede hält, dann lässt er durchblicken, dass er seine Herausforderer Jens Bullerjahn (43, SPD) und Wulf Gallert (42, Linkspartei.PDS) für zu jung hält, um das Amt des Ministerpräsidenten zu bekleiden. Seine Grünschnabel-Rhetorik dient vor allem seinem eigenen Schutz, denn Böhmer ist vor kurzem 70 Jahre alt geworden und so zweifeln nicht nur seine politischen Gegner daran, dass er - sollte er wiedergewählt werden - noch einmal eine ganze Legislaturperiode im Amt bleibt. Weil er selbst offenbar fürchtete, dass sein Alter im Wahlkampf thematisiert und womöglich sogar seine Nachfolge diskutiert wird, trat er die Flucht nach vorn an. Er machte mit Wahlkampfbeginn selbstironische Anspielungen auf sein Alter und ließ auf Wahlplakate mit seinem Konterfei die Lebensweisheit drucken: "Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen!"

Die Erfahrungen, die Politiker seit der deutschen Einheit in Sachsen-Anhalt gemacht haben, sind allerdings alles andere als rosig. Die Arbeitslosigkeit in dem ostdeutschen Bundesland ist und bleibt extrem hoch, die Schulden wachsen trotz eines harten Sparkurses und zu allem Überfluss werden in den nächsten Jahren auch noch die Zuwendungen der Europäischen Union eingedampft. Jens Bullerjahn, der Spitzenkandidat der SPD, glaubt, dass in Sachsen-Anhalt bald kein Staat mehr zu machen ist. Er hat deshalb vor zwei Jahren ganz unsentimental empfohlen, das Land bis 2020 aufzulösen und sich mit Thüringen und Sachsen zu einem wirtschaftlich schlagkräftigeren Bundesland zusammenzuschließen. Die unbekümmerte Empfehlung von damals dient der CDU nun als Wahlkampfmunition. Wolfgang Böhmer attackiert seinen Herausforderer von der SPD aber nur milde, wenn er sagt: "Wir dürfen uns die Zukunftsfähigkeit nicht absprechen lassen."

In den Augen des Linkspartei-Kandidaten Wulff Gallert ist diese Meinungsverschiedenheit eine Phantomdiskussion, da weder Sachsen noch Thüringen Lust verspürten, mit dem überschuldeten Sachsen-Anhalt zu fusionieren. Spannend ist für ihn eigentlich nur eine Frage: Wer regiert nach der Wahl in welcher Konstellation? Rot-Rot, das wäre für Gallert eine Option. Am liebsten aber würde er es sehen, wenn seine Partei stärkste Kraft wird. SPD-Spitzenkandidat Jens Bullerjahn hat jedoch erklärt, dass er mit einer großen Koalition liebäugelt und diesmal der PDS den Laufpass geben wird. Vor 2002 war das noch anders. Da hatte sich die SPD unter dem damaligen Ministerpräsidenten Höppner von der PDS dulden lassen. Das soll diesmal nicht passieren. Gallert aber glaubt dem SPD-Spitzenkandidaten kein Wort: "Bullerjahn sagt viel, wenn der Tag lang ist."

CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hingegen will am liebsten mit der FDP weiterregieren, auch wenn er bereits durchblicken ließ, dass auch er einer großen Koalition nicht abgeneigt wäre. So, wie die Umfragewerte derzeit aussehen, wird es auf jeden Fall spannend in Sachsen-Anhalt. Denn eine Mehrheit für die jetzt regierende schwarz-gelbe Koalition ist nicht in Sicht. Die CDU liegt derzeit bei 36, die SPD bei 26 und die Linkspartei bei 23 Prozent. Die FDP, die 2002 noch sagenhafte 13,3 Prozent erreicht hatte, müsste sich, wenn die Demoskopen Recht behalten, mit sechs Prozent begnügen, die Grünen würden mit vier Prozent und die rechtsextreme DVU mit 3,5 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Um auf der Endgeraden noch ein wenig Schwung in den Wahlkampf zu bringen, hat die CDU-nahe Mittelstandsvereinigung ein überdimensionales Foto von Ministerpräsident Böhmer drucken lassen. Es hängt an einem leer stehenden Gebäude in der Magdeburger Innenstadt, am "Blauen Bock". Wolfgang Böhmer auf 300 Quadratmetern: Er trägt einen edlen Anzug. Seine Hände stecken lässig in den Hosentaschen. Neben ihm in großen Lettern der Schriftzug: DER GARANT. Lokaljournalisten haben Passanten befragt, wer denn DER GARANT sei. Die meisten der Befragten tippten auf ein etwas in die Jahre gekommenes Model einer Modefirma. Die wenigsten erkannten den Ministerpräsidenten. Deshalb haben Sachsen-Anhalts CDU-freundliche Unternehmer schnell noch ein rotes Banner unter das gigantische Plakat geklebt: "Wer Böhmer will, wählt CDU!"


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