Weggucken war gestern

Rassistische Gewalt Nach dem Überfall von Rechtsextremen auf einen 12-Jährigen will ein Dorf seinen braunen Makel wieder loswerden

Auf dem Dorf sind die Menschen oft verschlossen. In Pömmelte sind sie dieser Tage noch verschlossener. Die Bewohner der 700-Seelen-Gemeinde haben einen kleinen Einblick erhalten, wie man sein muss, um diese lustigen Blätter vollzukriegen, die sie so gerne lesen. Bis zu 30 Journalisten, so heißt es, haben das Dorf bei Magdeburg tagelang belagert. Sie haben einen ungepflegten Mann abgelichtet, der versoffen auf einer Fensterbank lehnte und genau das brabbelte, was man von ihm hören wollte: "Mit den Schwarzen gibt´s doch immer Ärger." Und dann gab es da noch diese Rudolf-Hess-Aufkleber an einigen Straßenlaternen. Das war für einige Leute der schreibenden Zunft Beweis genug, um Pömmelte als Nazihochburg und Faschonest zu bezeichnen.

Die Verallgemeinerung traf die Dorfbewohner mitten ins Herz. Sie wollen mit Journalisten nichts mehr zu tun haben, lassen ihre Rollläden runter, wenn mal wieder jemand mit einem Notizblock vor ihrem Haus steht. Sollte der "Schmierfink" dann immer noch nicht verschwinden, kann es passieren, dass sie ihm Sätze zurufen wie: "Hau ab, sonst hol´ ich die Reitpeitsche." Oder sie sagen: "Was soll denn die Scheiße, wir sind keine Nazis, wann kapiert ihr das endlich!" Dann schlagen sie einem die Haustür vor die Nase zu, und man steht unversehens allein auf der Dorfstraße. Da fällt einem dann zum ersten Mal auf, wie idyllisch und friedlich Pömmelte doch wirken kann.

Am 9. Januar gegen 19.45 Uhr setzten fünf Jugendliche dem Dorffrieden ein jähes Ende. Sie zerrten Kevin, einen farbigen Jungen, der wie sie in Pömmelte lebte, in eine Bushaltestelle. Sie drückten ihm eine glühende Zigarettenkippe ins Gesicht. Sie schlugen und traten ihn. Der 12-Jährige musste niederknien, ihre Stiefel küssen und immer wieder den Satz sagen "Jawohl, mein Führer". Die Jugendlichen fotografierten mit ihren Handys, wie sie ihr Opfer erniedrigten. Als sie von Kevin abließen, schleppte sich der kleine Junge mit letzter Kraft in das Kinderheim Klick, wo er wohnt. Ein Erzieher brachte ihn ins Krankenhaus. Ärzte diagnostizierten bei Kevin ein Schädelhirntrauma, eine mehrfache Fraktur des Nasenbeins, etliche Platzwunden im Kopfbereich und Hämatome am ganzen Körper.

Die Nachricht, dass ein kleiner Junge schwer misshandelt wurde, nur weil seine Hautfarbe schwarz ist, verließ die Dorfgrenzen von Pömmelte zügig. Noch in der Nacht schnappte sich die Polizei die fünf Peiniger. Als Haupttäter gab sich ein dorfbekannter Schläger zu erkennen. Francesco sein Name. Er ist 19 Jahre alt und hat ein langes Vorstrafenregister. Er bezeichnet sich selbst als Neonazi. Im Verhör sagte er: Er habe Kevin "zusammengemöbelt, weil der doch Ausländer ist". Francesco, so heißt es, habe sich die Jugend von Pömmelte gefügig gemacht, mit Freibier und rechtem Propagandamaterial. Er soll beste Kontakte zu rechten Kameradschaften und den Jungen Nationaldemokraten gehabt haben, der Jugendorganisation der NPD. Doch die "rechten Freunde" distanzierten sich nach der Tat eiligst von Francesco. In einem Flugblatt bezeichneten sie ihn und die anderen vier Schläger als "kriminelle Subjekte" und "krankhafte Säufer". Und mehr noch: Sie bauten sich sogar auf dem Marktplatz von Pömmelte auf und bekundeten "ihr tiefes Mitgefühl mit Kevin".

Soviel Heuchelei stößt Annett Lazzay sauer auf: "Die Rechten spielen Wölfe im Schafspelz, weil sie am 26. März an den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt teilnehmen. Meldungen über rechte Schläger, die selbst Kinder misshandeln, machen sich da nicht gut, denn sie könnten Wählerstimmen kosten." Annett Lazzay ist Pfarrerin und leitet das Kinderheim Klick, in dem Kevin lebte, bevor er so schwer misshandelt wurde.

In Pömmelte ist tatsächlich Wahlkampf. Die Ortsdurchfahrt ist die Hauptkampflinie. Hier haben die Parteien ihre Geschosse platziert, bunte und nicht so bunte Plakate mit eingängigen und nicht so eingängigen Botschaften. Sie zielen auf die vorbeibrausenden Autofahrer, die am Tag der Landtagswahl ihr Kreuz bei der richtigen Partei machen sollen. Zwei Exoten buhlen mit um die Wählergunst: Die MLPD, sie grüßt mit Karl Marx vom Laternenpfahl, und eben jene Deutsche Volksunion, die einen braungebrannten hageren Mann auf ihr Plakat gedruckt hat, der - so scheint es - in einer Art Goebbels-Pose vor einem Mikrofon posiert. Der Mann hat die "Schnauze voll", und das scheint auch schon die einzige Gemeinsamkeit zu sein, die er mit den 700 Dorfbewohnern von Pömmelte hat.

"Die Leute im Dorf haben die Schnauze voll, mit rechten Rattenfängern in einen Topf geschmissen zu werden", sagt Thomas Warnecke. "Und sie haben die Schnauze voll von den Rechten." Warnecke ist der ehrenamtliche Bürgermeister. Er will Pömmelte den braunen Makel nehmen, der seit dem Überfall auf Kevin wie Pech an dem Dorf klebt. Er hat die Rudolf-Hess-Aufkleber von den Straßenlaternen gekratzt und 150 Dorfbewohner dazu gebracht, öffentlich Besserung zu geloben. Sie wollen jetzt einschreiten, wenn noch einmal rechte Schläger in Pömmelte ihr Unwesen treiben, verkündeten sie nach einem Krisentreffen im örtlichen Kindergarten. Weggucken war gestern, so die Botschaft.

Annett Lazzay will gar eine "Konferenz der Kinder" einberufen. "Damit wir überhaupt mal erfahren, was in deren Köpfen los ist", sagt die Pfarrerin. Einen Jugendklub soll es wieder geben. Aber auch die Eltern und Großeltern will man mit ins Boot holen. Ihnen sollen Schulungen angeboten werden, damit sie erkennen, wenn ihre Kinder rechtem Gedankengut nachhängen. Ein erster Schritt hin zu Zivilcourage, zu einem Ort, der rechtsradikale Schläger nicht duldet.

Das eigentliche Opfer von Pömmelte, der 12-jährige Kevin, lebt inzwischen in einem Heim weit weg von dem Dorf. "Er wollte auf keinen Fall wieder hierher zurück, weil er fürchtete, seinen Peinigern erneut über den Weg zu laufen", sagt Annett Lazzay und fügt hinzu: "Seine körperlichen Wunden sind verheilt, aber nicht seine seelischen."

Zwei der Peiniger sitzen seit dem Überfall in Haft, die anderen drei haben sich in den Wohnungen ihrer Eltern verkrochen. Sie sollen sich kaum noch auf die Straße trauen. Anfang März will die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die fünf Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 19 Jahren erheben.


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