Bis auf die nahestehenden Personen der in Polen durch einen Raketenangriff getöteten beiden Menschen dürften die meisten PolInnen nach den Worten von Präsident Andrzej Duda aufgeatmet haben. „Es weist nichts darauf hin, dass dies ein absichtlicher Angriff auf Polen gewesen war“, sagte Duda am Mittwochmittag bei einer Pressekonferenz vor der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats (RBN). „Die Tatsache, dass auf unserem Territorium eine Rakete eingeschlagen ist, war keine beabsichtigte Handlung“, so Duda.
Durch die massiven russischen Raketenangriffe am Dienstag, die auch auf Infrastruktur im 75 Kilometer vom polnischen Unglücksort Przewodów gelegenen Lemberg (Lwiw) gerichtet war, habe sich „die Ukraine auch dadurch verteidigt, dass sie Ra
ass sie Raketen abschoss, die russische Raketen vernichten sollten.“ Schuld sei aber Russland, das die Ukraine zur Verteidigung zwinge. Duda bestätigte also im Prinzip das, was am Mittwochmorgen bereits US-Präsident Joe Biden verlautbart hatte: dass es sich um eine ukrainische Rakete handele, wenn auch russischer Bauart.Doch vor dieser Klärung waren im Land bereits Informationen im Umlauf, aus denen hervorging, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit Russland gewesen war. Auch Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte bereits vom „Handlungsbedarf“ der NATO als Reaktion auf den Angriff in Polen gesprochen. Polens Außenministerium bestellte kurzerhand den russischen Botschafter in Warschau ein, in der überreichten Note verlangte Warschau Aufklärung. Kreml-Sprecher Dmitrij Pieskow sagte auch auf diese Reaktion hin, dass „im Vergleich zu anderen Ländern die amerikanische Antwort (auf den Raketeneinschlag, Anm. d. Red.) zurückhaltend“ gewesen sei. Zuvor schon hatte Moskau seinerseits die Raketeneinschläge als „gezielte Provokation“ bezeichnet. Keiner der russischen Angriffe in der Ukraine vom Dienstag habe näher als 35 Kilometer entfernt von der polnisch-ukrainischen Grenze stattgefunden, so Moskau.Die Regierung in Warschau hebt nun mehr denn je hervor, dass Polen „Mitglied in einer soliden Allianz“, der NATO, sei, so Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Es zeige sich nun, wie wichtig die weitere Sicherung der sogenannten NATO-Ostflanke in Polen sei, die mit verstärkter Truppenpräsenz einhergehe. Zugleich sei die Aktivierung des Artikels 4 des NATO-Vertrags „nicht unabdingbar“, auch wenn man sich dessen Aktivierung weiter vorbehalte, so Morawiecki. Laut diesem Artikel werden engere Konsultationen der Nato-Mitglieder initiiert, wenn die Sicherheit eines der Mitgliedsstaaten bedroht ist.Polnische Flugabwehr kann nicht das ganze Land schützenIn Polen werden inzwischen einige Stimmen laut, die eine fehlende Reaktion durch polnische Raketenabwehrsysteme monieren. Tatsächlich sind im ganzen Land und speziell im Osten Polens bereits etliche Radar- und Raketenabwehrsysteme installiert, etwa die Aufklärungs- und Beobachtungsflugzeuge E-3 Sentry oder die Radare des Patriot-Raketenabwehrsystems in der Nähe der ostpolnischen Stadt Rzeszow (etwa 100 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt). Das Generalkommando der polnischen Armee räumte ein, dass die Flugabwehr nicht das Gebiet des ganzen Landes schützen könne. „Die Aufgabe dieser Systeme ist unter anderem die Verteidigung kritischer Infrastruktur“, so die Militärführung.Wohl auch angesichts dieser Tatsache versuchte Präsident Andrzej Duda bei der Pressekonferenz seine Landsleute zu beruhigen: Die Menschen sollen sich keine Sorgen machen, wenn sie nun verstärkt Militärfahrzeuge, Hubschrauber und Flugzeuge sehen würden. Dies sei Teil der Sicherheits- und Verteidigungspolitik des Landes mitsamt seiner NATO-Partner, und kein Hinweis auf eine Eskalation des Krieges. Doch trotz solcher Worte dürften die Ängste jetzt sicher wachsen, zumindest in den Grenzgebieten zur Ukraine. Die lokalen Behörden rund um den Unglücksort in Przewodow haben bereits psychologische Hilfe für die Bewohner des Ortes angekündigt. Denn nun wissen auch die direkten Nachbarn der Ukraine: nichts ist wirklich sicher.Noch eines könnte die Folge des tragischen Vorfalls sein: In der polnischen Bevölkerung könnte die Zustimmung zu Polens massiver Unterstützung für die Ukraine – samt Waffenlieferungen und der Aufnahme von derzeit mehr als einer Million Flüchtlingen – sinken. „Leider werden bereits jetzt Stimmen laut, die diese Tragödie dazu nutzen wollen, Polen mit der Ukraine zu zerstreiten. Doch dies wäre absolut gegen unsere Staatsräson“, kommentiert Michal Szuldzynski in der konservativen Tageszeitung Rzeczpospolita. Polens Antwort müsse daher darin bestehen, die Ukraine „noch stärker zu unterstützen, damit sie den Aggressor aus ihrem Land drängen kann“.Die polnische Führung wird diesem Diktum sicher folgen. Ob es auch die Menschen im Land tun, das wird die nahe Zukunft zeigen.