Bringt eine Liberalisierung des Handels innerhalb der Region des südlichen Afrika wirtschaftliche Vorteile und Wohlstand für alle oder profitiert lediglich die dominante Wirtschaftsmacht Südafrika? Dieser Streit zieht sich durch alle Lager der Politiker und Wirtschaftseliten in den Länder der SADC (Southern African Development Community), die gerade in Windhoek über eine Freihandelszone berieten und den Entschluss fassten, bis 2012 eine Zollunion zu errichten. Schon 2008 sollen 85 Prozent der Zölle auf 12.000 Produkte aufgehoben werden.
Mit dem Abgang der Apartheid in Südafrika hat sich ein grundlegender Wandel vollzogen, dessen Dynamik nicht zuletzt von wachsender Kooperation bestimmt werden kann. Als Südafrika 1994 in die SADC eintrat, wurde aus dem Verbund der ehemaligen Frontstaaten gegen Südafrika eine Allianz, die nun gemeinsam Armut und Unterentwicklung auf den Zahn fühlen wollte. So jedenfalls die blumigen Formulierungen auf vielen Treffen des SADC-Ministerrates. Was wird nun das gemeinsame Projekt »Freihandelszone« bringen?
Südafrika ist die Wirtschaftsmacht des südlichen Afrika. Zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) aller SADC-Staaten insgesamt steuert das Land mehr als 60 Prozent bei. Aus Südafrika kommen die größten Investoren. Südafrika verfügt über eine relativ gut ausgebildete Elite, hier gibt es Oligopole, die bereits einige Wirtschaftssektoren im südlichen Afrika beherrschen - Brauereien beispielsweise oder Rohstoffproduzenten, wie de Beers, der das Diamantengeschäft in vielen angrenzenden Staaten in der Hand hat.
Einige multinationale Konzerne unterhalten in Südafrika Ableger, die den relativ begrenzten Markt der Region bedienen oder von hier aus in alle Welt exportieren. Schließlich haben hier zirka 420 deutsche Firmen investiert. Und: Nicht zuletzt ist Südafrika eine strategische Macht. Nur drei Länder der Region haben ein höheres Pro-Kopf-Einkommen - Botswana, Mauritius und die Seychellen -, doch handelt es sich dabei um Staaten mit einer kleinen Bevölkerung und nur wenigen Sektoren von globaler Bedeutung (Botswana: Diamanten; Mauritius mit einer »Freien Produktionszone«, die sich in den Weltmarkt integriert hat, aber kaum Beziehungen zum südlichen Afrika besitzt).
Insgesamt sind aufgrund des erheblichen Wirtschaftsgefälles und der recht unterschiedlichen technologischen Kompetenz die Möglichkeiten für eine Wohlstandsmehrung durch die geplante Freihandelszone eher gering. Nur einige wenige Länder verfügen über eine einigermaßen funktionierende Industrie wie etwa Simbabwe, aber auch dieses Land erscheint im Vergleich zu Südafrika als wirtschaftlicher Zwerg. Das BIP Simbabwes beträgt gerade einmal drei Prozent des vergleichbaren Wertes für Südafrika. Unterschiede werden auch im Außenhandel deutlich. Während Südafrika in die Region Waren im Wert von umgerechnet 5,7 Milliarden DM exportiert, erreichen die SADC-Einfuhren lediglich eine Höhe von etwa 800 Millionen DM - ein extremes Ungleichgewicht, dass nach allen Prognosen weiter steigen wird.
Die Befürchtung der SADC-Mitglieder, von Südafrika überrollt zu werden, ist allzu berechtigt, denn die geplanten Zollregelungen erleichtern Handelsaustausch und Investitionen - das heißt südafrikanische Unternehmen können künftig leichter exportieren. Um das herrschende Ungleichheit mit einem konkreten Beispiel zu belegen: Südafrika exportiert 40mal mehr Waren nach Tansania als es von dort einführt.
Südafrikas Optionen
Etwas anders stellt sich die Situation für die Mitgliedsländer der SACU (Southern African Currency Union) dar: Botswana, Lesotho, Swasiland und Namibia haben schon seit 1910 ein Abkommen, das den zollfreien Austausch erlaubt. Davon haben vor allem die Südafrikaner profitiert, aber auch Unternehmen aus Botswana und Namibia, die einen großen Anteil ihrer Ausfuhren mit Südafrika abwickeln.
Hoffnungen könnten sich mit steigenden Investitionen südafrikanischer, aber auch europäischer und nordamerikanischer Unternehmen in der SADC-Zone verbinden, doch wird nicht sofort damit zu rechnen sein. Erst wenn sich die Region politisch und wirtschaftlich stabilisiert und die Einkommen der Bevölkerungen wachsen, werden sich Investitionen bei einer wachsenden Nachfrage auch rentieren. Bislang ist der Markt außerhalb Südafrikas noch wenig attraktiv. Lediglich Rohstoffunternehmen haben sich in den ressourcenreichen Ländern Kongo, Botswana, Simbabwe, Angola und Namibia engagiert.
Offenkundig neigen die SADC-Staaten zu der Auffassung, regionaler Freihandel sei am besten geeignet, die regionalen Potenziale zu entwickeln. Wie allerdings der südafrikanische Wirtschaftswissenschaftler Colin McCarthy in seiner jüngsten Studie deutlich macht, ist Freihandel eine Sache - eine andere die produktive Kapazität der Industrie: »Es ist keine Frage, dass exportorientierte Handelsregimes bessere Resultate hervorbringen als Binnenstrategien. Und sicherlich würde auch das offene Handelsregime die Produktionsstruktur verändern helfen. Aber alle Ergebnisse in der Handelspolitik können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ohne die Entwicklung der produktiven Kapazitäten alle Handelsliberalisierungen enttäuschend sind.«
Doch angesichts des extremen Wirtschaftsgefälles innerhalb der Region bleibt Südafrika kaum eine andere Wahl, als die regionale Integration voranzutreiben: Das Land erfreut sich einer großen Anziehungskraft, Millionen von Fachkräften und Arbeiter sind eingewandert. Diese Migration kann nur gestoppt werden, wenn sich auch in den Nachbarländern mehr ökonomische Prosperität einstellt. Außerdem gibt es in Südafrika selbst große Wachstumsprobleme - die Steigerungsraten lagen zuletzt bei weniger als zwei Prozent. Vor allem der Arbeitsmarkt ist im Ungleichgewicht, seit 1994 - dem Jahr der Regierungsübernahme durch den ANC - wurden im Schnitt 400.000 Arbeitsplätze pro Jahr abgebaut, insofern sind regionale Wachstumsimpulse dringend erforderlich. Schließlich sieht sich Südafrika einem intensiven globalen Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Wollen die eigenen Firmen regional wie auch weltweit expandieren, muss in die technologische Entwicklung investiert werden. Auf den Weltmärkten profiliert sich die Konkurrenz aus Lateinamerika und Asien. Mit anderen Worten: Der Markt des südlichen Afrika ist potenziell eine Basis für globale Wettbwerbsfähigkeit.
Sieben Prozent Wachstum mindestens
Damit Afrika aus der Wirtschaftskrise und Unterentwicklung herausfindet, benötigt es mindestens ein jährliches Wachstum von sieben Prozent - und dies über einen sehr langen Zeitraum hinweg. Einige der Niedrigeinkommensländer der Region wie Malawi, Mocambique, Tansania oder Kongo müssten ein solches Wachstum mehr als 50 Jahre halten, um das Einkommensniveau Südafrikas erreichen zu können. Aber abhängig ist auch das von der Frage, ob die Lokomotive Südafrika wirklich in Schwung kommt und zu einem etwas ausgeglicheneren Niveau beitragen kann. Wenn nicht, wird es in der Region weiterhin einige wenige Wachstumspioniere und viele dahin siechende Länder geben. Dies zu vermeiden, stellt eine nahezu unlösbare Aufgabe dar. Die SADC-Länder sind sich dieser Jahrhundert-Herausforderung wahrscheinlich nicht bewusst, aber sie wird sich immer wieder stellen. Denn besonders die vier relativ entwickelten Länder Botswana, Südafrika, Simbabwe und Namibia werden dem Armutsdruck durch Zuwanderung beständig ausgesetzt sein - ob sie wollen oder nicht.
Für die SADC-Länder steht insofern zu befürchten, dass die angestrebten Liberalisierungen nicht zum Erfolg führen. Wie sollen die ärmsten Länder der Region aus ihrer Rohstoffabhängigkeit und ländlichen Armut herausfinden, ohne dass schlüssige Konzepte für die Humankapitalentwicklung und Industrialisierung auch nur in Ansätzen erkennbar sind? Es bleibt also die Frage: Wohin geht die Reise im südlichen Afrika? Die Schatten der Zukunft werden länger. Die Armutsprobleme sind weder mit den bisherigen Konzepten -etwa der Schutzzollpolitik der vergangenen 40 Jahre - noch mit einer Freihandelszone allein lösbar.
Unser Autor ist Professor am Institut für Afrikanistik der Universität Leipzig und Herausgeber des 1999 in Hamburg erschienenen Buches Afrikas Wirtschaftsperspektiven.
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