Eine Frage der Bestimmung

Rettungsprogramm Hoffnungen auf einen Frühling der Mitsprache sind unangebracht: Die Beteiligung von Arbeitnehmern an Unternehmen in der Krise ist nur eine soziale ­Abwrackprämie

Die Zeiten ändern sich, wie schon Bob Dylan wusste. Diese banale Weisheit gewinnt erst an Brisanz, wenn sie zeigt, wie sich mit den Zeiten der Inhalt zentraler Stichworte ändert. So hat sich die Bedeutung von „Reformen“ verschoben, als Neoliberale diesen Begriff der Linken entwendeten und zum Synonym für Sozialabbau machten. Der neoliberalen Diskurs-Hegemonie gelang es, dieses Paradigma ins Gegenteil zu verkehren. Und die Gewerkschaften wussten nicht, wie ihnen geschah, als man sie der „Reformverweigerung“ und die Regierungen der „Reformmüdigkeit“ bezichtigte. Inzwischen haben sich die Zeiten schon wieder gewaltig verändert. Zwar musste der Neoliberalismus abdanken, aber jetzt drohen neue soziale Bedeutungsverschiebungen im Rahmen der Krisenverwaltung.

Im Namen der berüchtigten „Selbstheilungskräfte des Marktes“ galt die betriebliche Mitbestimmung in den vergangenen beiden Jahrzehnten als keynesianisches Fossil – das deutsche Modell wurde zum Stein des Anstoßes für die marktradikalen Hardliner. Als die globale Finanzkrise hereinbrach und sich eine neue Weltwirtschaftskrise abzuzeichnen begann, tauchte die Frage der Mitbestimmung zunächst nicht aus der Versenkung auf. Man hatte erst einmal andere Sorgen. Allerdings standen sehr schnell Programme der Teilverstaatlichung auf der Tagesordnung; zuerst im Bankenwesen, dann auch in zentralen industriellen Sektoren wie zuletzt bei Opel und Schaeffler. In der politischen Klasse wurde es Mode, auf staatliche Mitspracherechte zu drängen, wenn schon Rettungspakete für die Konzerne geschnürt werden müssen. Gleichzeitig erhob sich die bange Frage, ob die vermeintliche neue Stärke des Staates nicht in Schwäche umschlagen könnte, sollte sich die Sanierung der Bilanzen als Fass ohne Boden erweisen. Was bedeutet es in diesem Zusammenhang, wenn auf einmal die Forderung im Raum steht, die Staatsbeteiligungen müssten in erweiterte Belegschaftsrechte umgemünzt werden?

Hoffnungen auf einen neuen Frühling der Mitbestimmung, wie sie in linken und gewerkschaftlichen Diskursen gehegt werden, sind ganz unangebracht. In Zeiten der Nachkriegsprosperität mochte die Mitbestimmung zu bescheidenen sozialen Verbesserungen beigetragen haben, doch waren schon damals die Belegschaftsrechte in die „unternehmerische Mitverantwortung“ eingebunden.

Soziale Gegenwehr wird gelähmt

Umso mehr sollte es jetzt zu denken geben, dass die Not bei Opel und Schaeffler nur insofern erfinderisch macht, als die Betriebsräte Lohnsenkung und Urlaubsverzicht als Rettungsprogramm mittragen. Damit ist die Richtung vorgegeben. Wozu soll es gut sein, wenn der Sozialabbau nun in freiwilliger Selbstbeteiligung auf der Basis erweiterter Belegschaftsrechte stattfindet? In Krisenzeiten werden diese „Rechte“ zur Falle, wenn Staat und Management damit nur die Gefahr eines drohenden Bankrotts an die Belegschaften weitergeben. Mitbestimmung verwandelt sich in eine Selbstvergatterung auf die betriebswirtschaftliche Räson und damit in eine „Verantwortung“ für den Kapitalismus – das lähmt jede soziale Gegenwehr.

Es handelt sich um ein ähnliches Dilemma wie bei den Belegschaftsbetrieben und alternativökonomischen Genossenschaften: Die vermeintliche Selbstbestimmung eines „Arbeitens ohne Chef“ schlägt in ihr Gegenteil um, weil die gesellschaftliche Vermittlung durch die Weltmarktkonkurrenz dazwischenfunkt. Sie zwingt dazu, die „Marktgesetze“ an sich selbst zu exekutieren. Das mussten auch schon die Ich-AGs und „Selbstunternehmer ihrer Arbeitskraft“ erfahren. Das galt nicht zuletzt für die Anfang der neunziger Jahre sang- und klanglos untergegangene jugoslawische Arbeiterselbstverwaltung. Die eiserne Logik der Kapitalverwertung ändert sich nun einmal um keinen Deut, wenn auf der einzelbetrieblichen Ebene die Eigentumsform modifiziert wird. Stößt die Verwertung an innere Schranken, wie es jetzt offenkundig der Fall ist, dann müssen die hoffnungsvollen Kollektiveigentümer eben auch die Krise an sich selbst abarbeiten, weil sie Kapitalfunktionen übernommen haben.

Freiwillig ins eigene Fleisch schneiden

Das alles gilt umso mehr, wenn in der Krise die Mitbestimmung reanimiert wird. In den Konzernverbänden kann die „soziale Abwrackprämie“ erweiterter Belegschaftsbefugnisse erst recht nur als Beteiligung an den Kapitalfunktionen wahrgenommen werden. Das führt nicht nur dazu, sich freiwillig ins eigene Fleisch zu schneiden – das sorgt auch dafür, dass die Krisenkonkurrenz zwischen Kern- und Randbelegschaften in Eigenregie genommen wird. Im Namen der Konzernrettung werden dann zuerst die Leih- und Zeitarbeitsverhältnisse abrasiert.

Das heißt in der Konsequenz: Für eine soziale Gegenbewegung steht die betriebswirtschaftliche Mitverwaltung der Weltwirtschaftskrise so wenig auf der Agenda wie die Delegation der Lebensbedürfnisse an den Staat. Zu knacken ist vielmehr die Nuss der unhaltbar gewordenen kapitalistischen Verkehrsformen in der Gesellschaft insgesamt. Sollte der Versuch gelingen, bei Opel oder sonst wo die Belegschaftsvertretungen mit dem Köder der betrieblichen Mitspracherechte einzubinden, wäre das der letzte Triumph der neoliberalen Propaganda für kapitalistische „Selbstverantwortung“.

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