Ganz oder gar nicht

Global Player Bahn Hartmut Mehdorn träumt vom Börsengang wie ein postmoderner Junkie vom großen Coup

Seit die einstige Bundesbahn 1994 zur Bahn AG in Staatsbesitz mutierte, war damit nicht nur die formale Voraussetzung für eine Privatisierung geschaffen. Man orientierte sich zugleich radikal um: weg von der flächendeckenden Versorgungsleistung einer öffentlichen Infrastruktur, hin zur Profitmaximierung eines rein marktbezogenen "Mobilitätsunternehmens". Das war politisch gewollt und geschah im Sog der neoliberalen Ökonomisierung aller Lebensbereiche. "Aus der Eisenbahn wird ein Global Player", so die Selbstbezichtigung in einer Werbekampagne.

Seit 2002 glänzt die Bahn AG bereits im Übernahme-Poker. Nach dem Logistik-Konzern Schenker wurden weitere Unternehmen aus der Luft- und Seefahrts-Branche geschluckt. Die seit Anfang 2007 in der EU geltende Liberalisierung des Schienen-Güterverkehrs ermöglichte die Übernahme großer Teile der britischen und spanischen Güterbahnen. Bahnchef Mehdorn schwelgt großspurig in weiteren Expansionszielen, als ginge es um eine Mobilitäts-Weltmeisterschaft "für Deutschland".

Während dabei in den vergangenen zehn Jahren der Umsatz auf 30 Milliarden Euro verdoppelt und der Gewinn rasant gesteigert wurde, ging der Personalabbau noch schneller vonstatten: Die Zahl der Beschäftigten sank trotz Expansion um 50.000. Die Arbeitshetze steigerte sich so dramatisch, wie sich der Service verschlechterte. Damit verbundene Sicherheitsmängel wurden in Kauf genommen. In der gleichen Zeit schrumpfte das ohnehin schwindsüchtige Schienennetz noch einmal deutschlandweit um 5.000 Kilometer, sprich: mehr als zehn Prozent. Dennoch bleibt die Schienen-Infrastruktur chronisch unterfinanziert und bis zur Schmerzgrenze überlastet, was zu Störungen und Sicherheitsmängeln führt. Ganz ähnlich übrigens wie bei den Strommasten der privatisierten Energiekonzerne, die mangels ausreichender Investitionen diverse europaweite Black-Outs "produzieren" durften.

Nun hat die Bundesregierung unter Federführung von SPD-Minister Tiefensee als nächsten Schritt die Teilprivatisierung der Bahn AG bis Ende 2008 auf den Weg gebracht. 49 Prozent der Aktien sollen an Investoren wie Blackstone oder die Deutsche Bank verscherbelt werden. Schlüsselproblem ist das Schienennetz, das laut Grundgesetz Artikel 87e Eigentum des Bundes sein muss. Tiefensee will dieses "Handicap" mit einer abenteuerlichen Konstruktion umgehen: Das Netz soll formal Bundeseigentum bleiben, jedoch für zunächst 15 Jahre der Bahn AG zur freien Bewirtschaftung und Bilanzierung überlassen werden, wobei die Kriterien für die Netzqualität unscharf bleiben - die gescheiterte Bahn-Privatisierung in Großbritannien lässt grüßen.

Dort hat die börsennotierte Firma Railtrack das Schienennetz derart verkommen lassen, dass es zu mehreren Havarien kam, bei denen Todesopfer zu beklagen waren. Railtreck ist inzwischen pleite und Tiefensees Absicherung gegen ein solches Debakel mehr als dürftig: Während der Bund weiter jährlich 2,5 Milliarden Euro für den Erhalt der Gleise überweist, soll erst nach besagten 15 Jahren entschieden werden, ob die Bahn AG für ausreichende Netzqualität gesorgt hat. Selbst bei Negativbefund muss der Bund bei einer Rückübertragung acht Milliarden an den Bahnkonzern als "Wertausgleich" zahlen - zum Dank für die Vernachlässigung. Kein Wunder, dass ein Investment-Banker in der Wirtschaftswoche sinniert, das Bahn-Engagement könne für Investoren, die sich "clever anstellen", sehr profitabel sein.

Schon mokiert sich das Handelsblatt über politische und ökologische "Ansprüche", dass "jedes Kuhdorf" Anschluss haben müsse; unter solchen Vorgaben sei die Bahn für einen Börsengang "so ungeeignet wie die Caritas". Wenn derart unverschämt Druck gemacht werden kann, liegt das an den politischen Vorgaben selbst: Privatisierung geht nur ganz oder gar nicht. Die Weichen dafür sind längst gestellt. Die Klagen von Grünen-Politikern über eine Selbstenteignung des Bundes bleiben unglaubwürdig, denn Rot-Grün hat sich um Vorarbeiten für die jetzige Entwicklung verdient gemacht. Es ist auch kein Zufall, dass ein SPD-Minister die Speerspitze beim Ausverkauf der Bahn bildet. Die Liquidierung der öffentlichen Dienste ist Programm. Während die Stimmung gegen die Lokführer-Gewerkschaft angeheizt wird, die ernsthaft Front machen will gegen Unterbezahlung und Leistungshetze, läuft die "Erwirtschaftung von Renditen" auf eine schwerwiegende Einschränkung der Mobilität für die Bevölkerung hinaus. Aber was ist schon ein Lokführerstreik gegen den Börsengang der Bahn?

Letzter Schritt wäre die Vollprivatisierung, dann könnte der Übernahme-Player Bahn AG selbst übernommen und ausgeschlachtet werden.


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