Das Spiel ist noch nicht aus. In der Nachspielzeit der globalen Defizitkonjunktur hofft Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) weiter auf Vollbeschäftigung, die durch glorreiche Hartz-Reformen auf den Weg gebracht worden sei. In Wirklichkeit waren es Finanzblasen und Verschuldungsorgien, die das Wachstum der vergangenen Jahre gefüttert hatten. Jetzt kommt die Quittung in Gestalt der weltweiten Inflation. Schon 50 Länder weisen zweistellige Raten auf. Betroffen sind 42 Prozent der Weltbevölkerung. Schweden, Norwegen, Mexiko, Indien und Vietnam hatten jüngst mit Zinserhöhungen der Notenbanken reagiert. Im Euro-Raum lag die Inflation im Juni bei vier Prozent und insofern doppelt so hoch wie die Zielmarke der Geldpolitik. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat daraufhin in der Vorwoche den Leitzins um 25 Basispunkte von 4,0 auf 4,25 Prozent heraufgesetzt. Damit liegt der Realzins wieder knapp über der EU-Inflationsrate, in den USA aber nach den mehrfachen exzessiven Zinssenkungen im Gefolge der Finanzkrise noch weit darunter.
Die Zinspolitik steckt beiderseits des Atlantiks und des Pazifiks im Dilemma. Die Zinssenkungen in den USA, die den inflationären Prozess weltweit in Gang gebracht haben, sollten bekanntlich die dennoch weiter schwelende Finanzkrise auffangen, obwohl dadurch nur die Bilanzen der Banken notdürftig saniert wurden. Die Zinserhöhung, zu der sich die US-Notenbank noch nicht durchringen konnte, auch wenn sie bereits angekündigt ist, wird einerseits das Kreditwachstum bremsen, andererseits aber das Durchschlagen der Finanzkrise auf die Konjunktur forcieren.
Auf jeden Fall, steht außer Frage: Wenn die Inflation eingedämmt werden soll, müsste eine Zinsanhebung in den USA viel höher ausfallen als das gerade bei der EZB geschehen ist. Dies freilich würde die Realwirtschaft endgültig in den Absturz treiben. Mit anderen Worten, die Geldpolitik reagiert nur noch hilflos auf die Stagflation. Seit sich das Zinsgefälle zwischen den USA und Europa umgekehrt hat, steigt der Euro unaufhaltsam und würgt zusammen mit dem Ölpreis allmählich die Exportwirtschaft ab, während die US-Defizite im Außenhandel mit Asien unfinanzierbar zu werden drohen. Gleichzeitig brechen die Widersprüche im Euro-Raum auf. Italien, Spanien und Frankreich laufen Sturm gegen den Zinsschritt der EZB, weil ihre Konjunktur schon weit tiefer eingebrochen ist als in Deutschland.
Auch die Gewerkschaften schelten die EZB wegen der konjunkturdämpfenden Zinsmaßnahme, gleichzeitig jedoch fürchten sie sich vor dem Inflationsdruck in den kommenden Lohnrunden, der sie zu einer harten Gangart nötigen könnte. Der Staat fällt als Konjunkturlokomotive erst recht aus. Zwar sprudelten die Steuereinnahmen in den Jahren der Defizitkonjunktur, aber die Sparwut ließ nicht einmal im Bildungswesen Investitionsneigungen aufkommen. Nur die Verluste der Banken wurden in Milliardenhöhe sozialisiert, um den Kollaps der Finanzmärkte zu vermeiden. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hält am Ziel eines ausgeglichenen Haushalts fest und streicht seinen Kollegen die Budgets zusammen. Die Staatsfinanzen sollen ausgerechnet im Abschwung grundsolide werden. Obwohl der Neoliberalismus Bankrott anmeldet, lässt der Keynesianismus nicht mehr grüßen, weil das staatliche "deficit spending" wieder die Inflation treiben würde.
Das Spiel ist bald aus, so William White, Chefvolkswirt der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), über die Finanzblasenkonjunktur der Weltwirtschaft, die ein "Exzess" gewesen sei. Leider gab es nur durch diesen "Exzess" Wachstum mit prekären Beschäftigungseffekten in Asien oder im deutschen Maschinenbau, während trotzdem die Massenarmut auf dem Vormarsch war. Wenn der faule Zauber vorbei ist, geht auch die Illusionspolitik zu Ende. Die Wahl zwischen Inflation und Rezession ist keine mehr, weil die Weltwirtschaft wahrscheinlich beides bekommt.
So geht Kapitalismus, wenn es nicht mehr geht. Aber das alles - sagt das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln - sei bloß Psychologie. Die Notenbank müsse langfristige Inflationserwartungen eindämmen, damit nicht in "Zweitrundeneffekten" die Lohn-Preis-Spirale losgetreten werde. Wenn die Konsumenten endlich das Geld ausgeben, das sie nicht mehr haben, ist aber alles wieder in Butter.
Robert Kurz arbeitet als Ökonom und freier Publizist in Nürnberg. Als seine wichtigste Publikation gilt das 1999 aufgelegte Schwarzbuch Kapitalismus. Zuletzt erschien von ihm 2008 bei Horlemann Tote Arbeit. Die Substanz des Kapitals und die Krisentheorie von Karl Marx.
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