Es war Mitte der Nullerjahre, da kam der Begriff der „Mosaik-Linken“ auf; andere sprachen auch von der „Marmor-Linken“. Die Gründe dafür waren dreierlei: Dass das politische Spektrum der Bundesrepublik stabil aus drei Mitte-Links-Parteien bestand (SPD, Grüne und Linke), war einer; dass die gesellschaftlich heterogenen Milieus der Linken von urbanen Mittelschichten, städtischer Subkultur, sozialdemokratischen Vorstädten, Gewerkschaften bis zu akademischen Radikalen reichten und genauso viele unterschiedliche Ansichten wie Lebenslagen hatten, war ein anderer. Der dritte und wichtigste Grund war aber: Die linken Parteien hatten eine Mehrheit, und zwar bei drei Bundestagswahlen nacheinander.
Sie waren allerdings im Jahr 2005 nicht in der Lage, di
r Lage, diese Parlamentsmehrheit in eine Regierungsmehrheit zu verwandeln. Eine Regierung aus SPD, Grünen und Linken war realpolitisch schlicht nicht möglich. Teile der SPD wären wohl abgesprungen, Teile der Linken wiederum hätten ein Bündnis wahrscheinlich gesprengt. Es gab eine Mehrheit der Wähler für die progressiven Parteien, aber weil sie nicht miteinander konnten, wurde Angela Merkel Kanzlerin. Da müssten sich doch endlich Brücken bauen lassen, dachten viele, da müssten doch die Sprengmeister auf allen Seiten mal an den Rand gedrängt werden – das war so in etwa die Überlegung derer, die von einer regierungsfähigen Mosaik-Linken sprachen.Fast Forward, 15 Jahre später, Anfang März 2020, Berlin. Im taz-Haus wird das neue Buch von Katja Kipping vorgestellt, der – damaligen – Noch-Parteivorsitzenden der Linkspartei. Neue linke Mehrheiten heißt es. Lars Klingbeil, der SPD-Generalsekretär, diskutiert mit ihr, der Autor dieser Zeilen hat das Privileg, als Debattierer mit am Podium zu sitzen, quasi als „mitfühlender Outsider“. Noch immer geht es um die „Brücken“, die gebaut werden müssen, um die „Versicherungen der Gemeinsamkeiten“ und vor allem darum, wie man mit den Unterschieden umgehen kann, damit diese Kooperationen nicht weiterhin verunmöglichen. Viel ist man in den vergangenen 15 Jahren also nicht vorangekommen.Bangen vor der 5-Prozent-HürdeÜber der Szenerie schwebte das Gefühl von Bangigkeit, das Wissen: Wir werden uns nicht so bald wiedersehen. Wie es weiterging, ist bekannt. Ein paar Tage später ging das Land in einen Lockdown und damit in einen Ausnahmezustand, aus dem es bisher nicht völlig erwacht ist. Jedenfalls gab es genügend andere Probleme als linke Strategiedebatten und wenig Zeit für Sesselkreise.Noch einmal Fast Forward, fast eineinhalb Jahre später: In Umfragen liegen Grüne und SPD jeweils bei 18 oder 19 Prozent, die Linke bei sieben Prozent an Wählerzustimmung. Man kann da rechnen, wie man will. Die Mosaik-Linke ist weit von einer Mehrheit entfernt, nicht nur die Sozialdemokraten stecken in einem Tal, auch die Linke macht ein schweres Tief durch. Erstmals seit Langem muss sie sogar vor der Todeshürde, der 5-Prozent-Klausel, bangen. Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt ist sie gerade auf elf Prozent abgestürzt, in Brandenburg und Sachsen hatte es die Partei ähnlich arg oder noch ärger erwischt. Selbst in den ostdeutschen Ländern, wo sie bis vor Kurzem ein Machtfaktor war, schwindet die Zustimmung.Was sind die Ursachen dafür? Eine ist hier schon angedeutet. Ewig ohne Machtperspektive im Bund zu sein, lässt irgendwann den Zuspruch erodieren. Bald 32 Jahre ist es jetzt her, dass Gregor Gysi in einem Überraschungscoup den Vorsitz der Partei übernahm, nachdem Egon Krenz das Handtuch geworfen hatte. Ich erinnere mich, wie ich damals mit Gregor Gysi zur Bushaltestelle stapfte, er mit seinem großen Pilotenkoffer voller Akten und Papiere, gerade Nach-Nachfolger von Erich Honecker geworden, der erste ohne Chauffeur und Dienstwagen.Damals, im Dezember 1989, benannte sich die SED zunächst in SED/PDS um. Nach der Wiedervereinigung war die „Partei des demokratischen Sozialismus“ zugleich sowohl eine demokratische Sozialistenpartei links der SPD als auch eine ostdeutsche Interessenvertretung im gesamtdeutschen Parteienspektrum. Zudem wurde sie zur Protestpartei gegenüber allem, was Wählern und Wählerinnen irgendwie nicht passte. Kurzum: Die Partei hatte nicht eine Identität, sondern mehrere; nur deshalb konnte sie so lange überhaupt überleben. Aber schon bald stellte sich die Frage: Wie kann eine Protest- und Anti-Systempartei zugleich auch als regierungsfähige soziale und demokratische Reformpartei im System ankommen?Jetzt laboriert man schon seit 32 Jahren an dieser Gretchenfrage herum. Das ist eine lange Zeit. Etwas zu lange, könnte man durchaus berechtigt meinen, ist solches Laborieren ja mit unentschiedenen Fraktionskämpfen verbunden und auch mit permanenter Selbstbeschäftigung.Von Hartz IV profitierte sieDie „historische Geschichte“ der Partei und die inzwischen schon 32-jährige Post-DDR-Geschichte machte es der Linkspartei nicht einfacher, eine Balance zu finden. In den fünf östlichen Bundesländern wurde sie zu einer sozialistischen Volkspartei mit relativ breiter Basis, meist pragmatischen Anführern und einer buntscheckigen Wählerschaft. In den westlichen Bundesländern dagegen blieb sie doch weitgehend ein Tummelbecken der radikalen Linken oder anderer Randfiguren.Es gehört zur Dialektik der Geschichtsläufe, dass auch Erfolge zu Ursachen für Krisen werden können. Mit den Hartz-IV-Gesetzen, der Zerreißprobe der SPD, der Entfremdung der Sozialdemokraten von Teilen der Gewerkschaften und dem Eintritt Oskar Lafontaines und seiner Anhänger wuchs das Reservoir der Linkspartei. Sie konnte Erfolge verbuchen, wie sie sie vorher nicht hatte. Zugleich handelte sie sich Mitglieder und Spitzenfunktionäre ein, die verständlicherweise sauer auf die Sozialdemokratie waren, die aber zum Teil auch primär von Revanchegelüsten gegenüber der SPD getrieben waren. Bei manchen wurde das eine Obsession, manche hatten sowieso einen eher sektiererischen Charakter.Der weit ins Emotionale reichende Abgrenzungskurs von der SPD mag verständlich gewesen sein, er hat sicherlich auch zur Stabilisierung der Wählerschaft beigetragen, aber zugleich gelassenes Ausloten von Gemeinsamkeiten erschwert. Und dann gibt es da eines, was im politischen Geschäft schwer zu vermeiden ist: Man ist in Konkurrenz um Wähler und Wählerinnen und muss dabei die eigene „Unique Selling Proposition“ herausstreichen, die eigene „Identität“ pflegen. Gerade Parteien, die einem ähnlich sind, muss man besonders bekämpfen, denn sie sind ja die Konkurrenten um das gleiche Wählerreservoir. Das führt zu dem ziemlich absurden Sachverhalt, dass nicht nur die SPD zwanzig Jahre nach der Agenda 2010 noch immer neurotisch über diesen Teil ihrer Geschichte diskutiert, sondern auch die Linkspartei ihre Existenzberechtigung aus Fehlern zieht, die die Sozialdemokraten vor längerer Zeit begangen haben. Wer aber dauernd nur über Themen von gestern debattiert, den werden die Wähler eher nicht als besonders kompetent für die Themen von morgen halten.Klärungsprozesse? VersäumtDie Botschaften und auch die Personen, die die Linke verkörpern, sind einfach zu breit, im Sinne von: zu unterschiedlich. Da hat man einen linken Sozialdemokraten wie Bodo Ramelow, der in seinem Land durchaus strategische Mehrheiten erringen kann, da hat man den Berliner Landesverband mit dem gewinnenden Klaus Lederer an der Spitze, der eine progressive, liberal-sozialistische Stadtpartei vertritt. Da hat man aber zugleich auch Leute mit einer lebenslangen Geschichte in linken minoritären Kleingruppen an der Spitze im Westen. Dann Sahra Wagenknecht, die viel Aufmerksamkeit generiert, aber dabei primär an sich selbst denkt, da es ihr noch mehr Aufmerksamkeit und Buchverkäufe bringt, wenn sie Konflikte in der eigenen Partei vom Zaun bricht. Schließlich findet man Politiker, die die Freiheits- und Emanzipationsversprechen der sozialistischen Arbeiterbewegung hochhalten, und zugleich andere, die finden, dass Putin schon ein klasse Kerl sei, vor allem deshalb, weil er „gegen den Westen“ sei. Dazu dann Leute, die mit autoritären Caudillos aus Venezuela oder sonstwo posieren.Obendrein hat man eine Partei, die alle Spitzenfunktionen – Partei- und Fraktionsvorsitz – mit Repräsentanten aller Subgruppen und Strömungen besetzt, um Klärungsprozesse zu vermeiden, da man sich ja historisch als Sammelbecken unterschiedlichster Milieus versteht, was aber dann diese Führungsfiguren heillos überfordern muss. Entweder geraten sie selbst in Konflikt untereinander oder sie versuchen, den Flohzirkus kooperativ-konsensual auszubalancieren und zusammenzuhalten, was ihnen aber nicht gelingen kann, da es dauernd irgendwo irgendjemanden geben wird, der oder die ausschert, weil die, die ausscheren, keine Konsequenzen zu befürchten haben, da man ja Klärungsprozesse vermeiden will. Es ist eine Spirale, die sich ewig weiterdreht, oder genauer: bei der alles immer schlimmer wird, da die involvierten Personen immer mehr Konfliktgeschichte ansammeln und sich am Ende nur mehr hassen.Bei diesem Strauß an Ursachen für die Probleme der Linken darf schlussendlich eines auch nicht vergessen werden: Besonders erfolgreich war die Partei dann, wenn sie zugleich demokratische Sozialistenpartei als auch ostdeutsche Interessenvertretung sowie Anti-System-Partei war, die allen Protest einsammelte. Das ist heute aber nahezu unmöglich. Relativ unpolitische Wählerinnen und Wähler, die der Meinung sind, dass die ostdeutschen Lebenswelten nicht respektiert werden, Wähler und Wählerinnen, die finden, dass „die Eliten“ nur ihre eigene Interessen im Blick haben, dass die Werte der einfachen Leute nicht mehr zählen, die haben vor ein, zwei Jahrzehnten im Osten noch PDS oder Linke gewählt, heute wählen viele von ihnen die AfD. Und linksliberale Wähler der Linkspartei wählen, zumindest bei Landtagswahlen, auch Sozialdemokraten, manchmal sogar die CDU, einfach, um die AfD zu verhindern. Der Aufstieg der Rechtsradikalen führt zu einem Herdeneffekt bei der jeweils stärksten der demokratischen Parteien, was nur in Thüringen der Linkspartei und Bodo Ramelow nützte.Lösen kann die Partei all das nicht so leicht, schon alleine, weil die Ursachen so vielfältig sind. Manche sind selbstverschuldet, andere wiederum Resultate historischer Prozesse, die niemand in der Partei verändern kann. Es würde wohl helfen, wenn man einige Klärungsprozesse und Spitzenfiguren zuließe, die die Partei repräsentieren. Dort, wo das gelingt, läuft es noch einigermaßen. In Thüringen weiß man, was man bekommt, wenn man Ramelow wählt, in Berlin weiß man, wofür Klaus Lederer und sein Team stehen. Aber wer könnte das schon für die Gesamtpartei sagen?Placeholder authorbio-1
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