Von links bis rechts kann man heute über eines schnell Einigkeit herstellen: In einer globalisierten Welt braucht es transnationale Regulierung, weil der Nationalstaat viel zu eng geworden ist. Der Unterschied besteht nur in der Frage, was und wofür reguliert werden soll: Rechte und Wirtschaftsliberale wollen Handelshemmnisse und Fesseln für die Wirtschaft abbauen, die Linken wollen mehr supranationale Quasi-Staatlichkeit, etwa zur Steuerharmonisierung. Auch die von Thomas Piketty vorgeschlagene globale Steuer auf Vermögen braucht ein hohes Maß internationaler Koordination.
In der Praxis sieht das dann freilich so aus: Transnationale Institutionen werden geschaffen, die meist nur schwach demokratisch legitimiert sind, die in nationales Recht eingreifen und Parlamente aushöhlen. So sieht das aktuell verhandelte EU-US-Freihandelsabkommen TTIP „regulatorische Kooperation“ vor. Das klingt ja an sich schon gut. Regulieren ist besser als Deregulieren. Kooperieren ist ohnehin immer gut. Aber was ist damit gemeint? Dass irgendein Ausschuss - „Regulierungsrat“ genannt - von Beamten der EU und der USA gebildet wird, der entscheidende Kompetenzen bei der Festlegung von Produkt-, Sozial- und anderen Standards hat. Man kann sich leicht ausrechnen, was passiert, wenn das in die Tat umgesetzt wird: Experten, Lobbyisten und ungewählte Beamte haben das Sagen, Parlamente dürfen nur mehr abnicken - wenn überhaupt. Wollen Bürger gar direkt mitentscheiden, wie bei der europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP und das Freihandelsabkommen mit Kanada, dann verbietet die Kommission das kurzerhand. Nun müssen die Initiatoren erst einmal für ihr Recht auf eine Bürgerinitiative klagen.
Nächtliche Krisensitzungen
Wir kennen jenes Muster schon, etwa von der EU-Antikrisenpolitik der vergangenen Jahre. Regierungsmitglieder verhandelten in nächtlichen Krisensitzungen etwas aus, und die nationalen Parlamente mussten es dann schnell abnicken – schließlich liegt ja immer irgendein Notfall vor.
Immer öfter werden Regelungen in Paragrafen gegossen, die die Demokratie auch formal einschränken. Nehmen wir nur den europäischen Fiskalpakt, der Regierungen praktisch dazu zwingt, ausgerechnet in Krisenzeiten harte Sparbudgets zu verabschieden. Natürlich kam dieser Pakt demokratisch zustande, indem die Abgeordneten in den Parlamenten aller beteiligten Staaten zustimmten. Das war aber exakt das letzte Mal, dass sie gefragt wurden. Ab jetzt gilt, dass demokratisch gewählte Abgeordnete nichts mehr zu melden haben, dafür aber ungewählte Bürokraten überprüfen dürfen, ob sich die Nationalstaaten an die Abmachungen halten.
Faktisch ausgehebelt ist die Demokratie ohnehin in den Krisenstaaten: Wer unter den Schutzschirm der Troika aus EU-Kommission, Zentralbank und Währungsfonds flüchtet, ist seine Souveränität los. All dies geschieht auf Basis von zwischenstaatlichen Verträgen und nicht innerhalb des Rahmens der Europäischen Union, was heißt: Das EU-Parlament hat nicht viel mitzureden. Die Linie lautet: Wirtschaftsregulierung im globalisierten Elitenmodus unter Ausschaltung bisher geltender demokratischer Mitentscheidungs- und Kontrollrechte.
Angela Merkel hat diese Politik in einer Rede vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos zum wichtigsten Ziel ihrer Kanzlerschaft erklärt: „Ich stelle mir das so vor – und darüber sprechen wir jetzt in der Europäischen Union –, dass die Nationalstaaten Abkommen und Verträge mit der EU-Kommission schließen, in denen sie sich jeweils verpflichten, Elemente der Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, die in diesen Ländern noch nicht dem notwendigen Stand der Wettbewerbsfähigkeit entsprechen. Dabei wird es oft um Dinge wie Lohnzusatzkosten, Lohnstückkosten, Forschungsausgaben, Infrastrukturen und Effizienz der Verwaltungen gehen.“
In noch schnörkelloserer Offenheit hat ihr früherer Wirtschaftsberater Jens Weidmann, nun Präsident der Deutschen Bundesbank, verkündet, was das eigentliche Ziel dieser Maßnahmen ist: „In einem solchen Rahmen könnten Konsolidierungspfade durch die europäische Ebene sichergestellt werden, auch wenn sich hierfür keine Mehrheiten in dem jeweiligen nationalen Parlament finden sollten.“
Der Punkt ist nicht, dass all das nur in die falsche Richtung geht: In einer Währungsunion braucht es wirtschaftliche Steuerung, um makroökonomische Ungleichgewichte zu vermeiden. In einer globalen Ökonomie braucht es supranationale Regulierung. Der Punkt ist, dass damit demokratische Errungenschaften zurückgedreht werden. Und das zweite Problem ist die Schwerpunktsetzung von all dem: Überwachung, Kürzung, Budgetkontrolle, Schuldenreduktion. Der ganze Geist ist durchsetzt vom Gift der verallgemeinerten Austeritätspolitik.
Aber all das ist nicht einfach ein unglücklicher Zufall, planlos und aus der Not geboren. Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen Austeritätspolitik, der neoliberalen Wirtschaftstheorie und diesem antidemokratischen Geist. Schon Friedrich August von Hayek, der Säulenheilige der Neoliberalen, hatte genaue Vorstellungen darüber entwickelt, wie eine politische Demokratie einzurichten sei, die nur mehr von ihrem Begriff her eine Demokratie sein sollte. Demokratie sei nur dann mit Marktwirtschaft zu verbinden, wenn staatliches Handeln an möglichst restriktive Regeln gebunden sei, dozierte er. Hayek schlug Parlamente vor, deren Mitglieder nur einmalig für 15 Jahre gewählt werden dürfen, und jeder Bürger solle nur einmal in seinem Leben an einer Wahl teilnehmen dürfen, und zwar im Alter von 45 Jahren. Partei- und Interessensvertreter wie Gewerkschaftsfunktionäre sollten vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen sein. Neoliberalismus hat eine antidemokratische Schlagseite, weil für ihn die Vorstellung, irgendwelche Leute – also gewählte Politiker – könnten in die Wirtschaft eingreifen, ein Gräuel ist. Ein berühmtes, einflussreiches Studienpapier der beiden Ökonomen Alberto Alesina und Guido Tabellini trägt beispielsweise den Titel: „A Positive Theory of Fiscal Deficits and Government Debt“. Darin wird in scheinbarer fachmännisch-ökonomischer Neutralität die „Defizit-Neigung von Demokratien“ untersucht und unterstellt, Politiker seien verantwortungslose Falotten, die nichts als Schaden anrichteten.
Neoliberalismus ist also nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Politik-Ideologie, deren Ziel lautet: Strukturen schaffen, mit Hilfe derer Dinge durchgesetzt werden können, für die sich niemals Mehrheiten in Parlamenten finden ließen.
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