Wir haben einen neuen Papst und der sieht eigentlich ganz freundlich aus. Als „Bischof der Armen“ hat er sich zu Hause in Argentinien inszeniert, und er achtet auch sehr auf sympathische Public Relations: Er fährt mit der U-Bahn durch Buenos Aires wie jeder kleine Arbeiter und sorgt dafür, dass davon dann auch Fotos in der Zeitung erscheinen. Und nachdem er zum Papst gewählt wurde, ließ er die Limousine stehen und fuhr mit den anderen Kardinälen im Bus zurück ins Hotel.
Solch ostentativer Verzicht auf Prunksucht und Privilegien aller Art ist an sich ja zunächst einmal sympathisch. Klar, es ist nur Symbolisches, aber Symbolisches ist eben auch wichtig. Der Kerl ist ja ganz ok, könnte man also sagen. Als Kardinal hat er in einer kleinen Wohnung gewohnt und selbst gekocht.
Bollwerk des Obskuren
Nun könnte man natürlich einwenden, als aufgeklärter Linker kann man einem Papst nicht positiv, ja nicht einmal indifferent gegenüberstehen: Päpste sind schließlich gewissermaßen die Vorstandsvorsitzenden einer irrationalen Organisation, die den gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritt immer verhindert hat und auch heute noch ein Bollwerk des Obskurantismus ist. Dass wir heute in fortschrittlich denkenden Kreisen eine gewisse Nachsicht gegenüber einer solchen Organisation hegen, ist weniger Ausdruck aufgeklärter Nüchternheit, sondern mehr von Lahmheit.
Andererseits wissen wir natürlich auch: Ein mächtiges Bollwerk des Obskurantismus war die Kirche, solange sie mächtig war. Heute ist sie das nicht mehr. Heute ist sie eine Stimme in einem vielstimmigen Chor. Heute ist sie eher so etwas wie eine Insel des Obskurantismus in einer rationalen Welt, sodass manche Leute das Gefühl haben, so ein wenig Obskurantismus solle doch bitte schön unter Naturschutz gestellt werden.
Und apropos Stimme unter vielen: In vielen Fällen ist die Kirche eine gute Stimme. Wenn es etwa um Hilfe für Flüchtlinge geht, hat man als Linker mit Bischöfen meist mehr Gemeinsamkeiten als mit sozialdemokratischen Innenministern.
Das alte Ressentiment also begraben, die Schützengräben zwischen Aufklärung und Frömmlerei zuschütten? Nun ja, gewiss, bis zu einem bestimmten Grad spricht da nichts dagegen: Sollen Pfarrer und Caritas-Leute doch glauben, woran sie wollen, wenn sie mit meinesgleichen an einem Strang ziehen, ist das doch gut.
Die Gefahr ist eher, dass man mit solcher Nachsicht zu weit geht und Dinge achselzuckend hinnimmt, dass man sogar Skandale nicht Skandale nennt. Und damit sind wir möglicherweise schon bei diesem Papst. Der Papst hat mit dem Militärregime von Junta-Chef Jorge Videla in den achtziger Jahren kollaboriert. Bis zu welchem Grad ist fraglich. Jorge Mario Bergoglio, der heutige Papst Franziskus, war damals Chef des argentinischen Jesuiten-Ordens. Argentiniens Amtskirche kooperierte generell mit der Militärjunta, und Bergogilio tat das auch. Es gibt Dokumente, die ihn belasten. Keine rauchenden Pistolen, aber doch ein paar Hinweise. Allerdings bestreitet mindestens einer der beiden Priester, die angeblich von Bergoglio verraten worden seien, eine Verwicklung des heutigen Papstes in seine Verhaftung. Leonardo Boff, der alte Vorkämpfer der linken Befreiungstheologie, legt für Bergoglio auch die Hand ins Feuer: Er sei kein Komplize der Diktatur gewesen und denke übrigens auch heute liberaler, als die meisten glauben.
Wie immer es gewesen ist: Nichts Genaueres weiß man nicht, wie der Volksmund formuliert. Und möglicherweise wird es nie völlige Klarheit geben. Denn schließlich weiß man mittlerweile, dass es ein paar Jobs in Diktaturen gibt, bei denen es notwendig ist, auch einen Gesprächsfaden mit den Diktatoren zu pflegen. Die es ratsam erscheinen lassen, eine gewisse Vertrauensbasis mit den Potentaten zu bewahren, um Menschen schützen zu können.
Es ist eine schmale Gratwanderung, und die amtlichen oder Geheimdienstdokumente geben oft keine klare Auskunft über die Motivation der Akteure und darüber, auf welcher Seite des Grats sie sich bewegten. Der Papst sagt, er habe seine Schäfchen geschützt, so gut das ging. Kritiker sagen, er hat ihnen geschadet, er wäre also ein Mann des Regimes gewesen. Wir kennen diese Diskussion aus Deutschland: Gregor Gysi als Anwalt oder Manfred Stolpe als Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche müssen sich bis heute mit ähnlichen Verdächtigungen herumschlagen. Möglicherweise ist das, was der heutige Papst tat, damit vergleichbar – um das vorsichtig zu formulieren. Aber selbst wenn: Stolpe wurde hinterher nicht Papst. Und die DDR war, was immer sie auch immer war, zumindest kein faschistisches Mörderregime, das zehntausende Regimegegner hinmeuchelte oder einfach von Flugzeugen ins offene Meer warf.
So liegt, ob gerechtfertigt oder nicht, in jedem Fall etwas Fragwürdiges auf diesem Papst. Mit ihm, mag er auch der falsche Aufhänger sein, handelt die Kirche sich eine Diskussion über ein ziemlich düsteres Kapitel ihrer jüngsten Geschichte ein.
Aber gut: Bislang jedenfalls ist die Suppe zu dünn, um Bergoglio aus seiner Vergangenheit einen Vorwurf machen zu können. Aber das gilt nicht unbedingt für seine Gegenwart. Zwar kursieren mittlerweile viele erschreckende Zitate, die Bergoglio zugeschrieben werden, die er so wohl nie gesagt hat. Im Internet verbreiten sie sich in Windeseile. Aber ein paar der Dinge, die ihm vorgehalten werden, hat er eben doch gesagt. Sodass man durchaus konstatieren muss: Er ist ein Reaktionär, der hart an der Grenze des Unerträglichen schrammt. Gut, man kann einwenden, dass mit einem Papst, der Frauen zu Priesterinnen weiht und Schwule und Lesben umarmt, nicht zu rechnen war. Aber musste es gleich einer sein, der bei öffentlichen Anti-Regierungsdemonstrationen die Homoehe eine „Intrige des Teufels“ nennt?
Nützlicher Idiot des Teufels
Und einem Kardinal und auch Papst ist es sicherlich unbenommen, den Glauben dem Unglauben vorzuziehen. Geschenkt, dass er das gläubige Leben moralisch dem Unglauben vorzieht. Das gehört zu seinem Job. Aber überschreitet er nicht eine Grenze, wenn er bei seiner ersten Messe als Papst sagt: „Wer nicht zu Gott betet, der betet zum Teufel“. Was soll das denn heißen? Wer also nicht an seinen Gott glaubt, der ist ein Anhänger oder zumindest nützlicher Idiot des Teufels. All die Menschen, die also nicht an Gott glauben, sind Handlanger des Teufels. Das klingt in unseren Ohren schrullig, aber es ist doch letztendlich eine ungeheuerliche Beleidigung. Würde man etwas Vergleichbares zu Kirchenleuten sagen, würden sie gleich weinerlich aufheulen, ihre religiösen Gefühle würden verletzt. Aber sie glauben, sich alles herausnehmen zu können. Gewiss, meine atheistischen Gefühle sind nicht wirklich verletzt, aber auch nur deshalb, weil es mir in meinem indifferenten Großmut herzlich egal ist, was der Kerl labert.
Vielleicht also sollten wir uns auch wieder angewöhnen, in altlinker Rigidität gelegentlich klar zu sagen: So nicht, du Papst!
Robert Misik ist Schriftsteller und Journalist
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