Das richtige Bändchen, um im Café Tomaselli halbamüsiert darin zu blättern

Devotionalie Nach „Thomas Bernhard in Salzburg“, „Thomas Bernhard und Salzburg“ sowie „Das Salzburg des Thomas Bernhard“ ist nun endlich erschienen: „Thomas Bernhards Salzburg“. Unser Autor hätte lieber „Thomas Bernhards Ungenach“ gelesen
Ausgabe 34/2022
Salzburg. Im Hintergrund: Die Berge an Büchern, die über Thomas Bernhard und diese Stadt geschrieben wurden
Salzburg. Im Hintergrund: Die Berge an Büchern, die über Thomas Bernhard und diese Stadt geschrieben wurden

Foto: agefotostock/IMAGO

Salzburg ist eine perfide Fassade, auf welche die Welt ununterbrochen ihre Verlogenheit malt und hinter der das (oder der) Schöpferische verkümmern und verkommen und absterben muß.“ Nun ja, das ist der unverkennbare Thomas-Bernhard-Sound, der irgendwann einmal als provokant empfunden wurde. Heutige Besucher*innen der Festspiele federn so etwas ab, wenn sie beim Kuchen im Café Tomaselli halb amüsiert im Bändchen Thomas Bernhards Salzburg blättern, das „naturgemäß“ mit diesem Zitat einsetzen muss.

Die Existenzgrundlage dieser Neuerscheinung ist der Reichtum der deutschen Grammatik, die bedeutungsgleiche Genitiv-Verbindungen verschieden zu konstruieren erlaubt. Neben zwei Veröffentlichungen zu Thomas Bernhard in (bzw. und) Salzburg gibt es nämlich schon ein Bändchen mit dem Titel Das Salzburg des Thomas Bernhard. Manfred Mittermayer, Biograf und Mitherausgeber der Gesamtausgabe des Autors, steuerte schon zur früheren Publikation einen kundigen Text bei, den er für die jetzige grundlegend umstrukturiert hat, wobei er jedoch angesichts des überschaubaren Gegenstands nicht das Rad neu erfinden kann.

Statt der vielen instruktiven Fotos des früheren Bändchens enthält das jetzige schwarz-grüne Zeichnungen, mit denen Nicolas Mahler die von ihm selbst ausgewählten, meist kurzen Zitate illustriert. Darin genießt die immergleiche knollennasige Witzfigur die Aussicht vom Mönchsberg, überlegt, von dort die beliebte Selbstmörderroute auf die Müllner Hauptstraße zu nehmen, gedenkt der Uraufführungen seiner Stücke bei den Festspielen ... Anderen bereiten diese Zeichnungen vielleicht ein ästhetisches Vergnügen, mir fällt dazu eher ein: „Aber das kann man nur mit Toten machen, nicht mit Lebendigen, die lassen sich das noch nicht anhängen.“

Tatsächlich findet man auch dieses Zitat, jedoch unpassend platziert, nämlich als Kommentar zu dem Sachverhalt, dass eine Thomas-Bernhard-Straße nicht etwa neben dem Festspielhaus, sondern in einem Randbezirk eingerichtet wurde: in der 1925 – 1931 gebauten Scherzhauserfeldsiedlung. Dort, in der „Hohen Schule der Außenseiter und Armen“, hatte der Namensträger kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die „mich rettende Lehre“ in einem kleinen Lebensmittelladen absolviert. Und bei aller späteren scharfen Kritik an der Salzburger Stadtentwicklungspolitik fand er dabei zu den Bewohnern der Siedlung einen „unmittelbaren und direkten Zugang“; „auf einmal existierte ich intensiv, naturgemäß, nützlich“, beschließt er seinen Bericht überraschend affirmativ, fast hymnisch gehalten, sogar das unvermeidliche „naturgemäß“ klingt anders. Deshalb erscheint mir gerade die Lage der nach ihm benannten Straße die glücklichste ...

Der Salzburger Residenz Verlag schränkt den Interessentenkreis für das Produkt bereits selbst auf „Salzburg-Fans und Bernhardianer, die schon alles haben“ ein. Denjenigen, auf die keine dieser Bedingungen zutrifft, sei hingegen empfohlen, erst mal ihre Sammlung der Primärtexte zu vervollständigen. Überdies bräuchte man dringender Studien des Typus „Thomas Bernhards Ungenach“. Während nämlich die autobiografischen Texte sehr weitgehend kartierbar, ihre Schauplätze also leicht im Gelände aufsuchbar sind, verhält es sich mit denjenigen in den Romanen und Erzählungen interessanter. Ungenach beispielsweise, der Titelort einer längeren Erzählung von 1968, „existiert“ zwar, doch gibt es dort nicht den gigantischen Gutshof, den der Erbe zum Gegenstand einer „riesigen Abschenkung“ macht. Mitsamt seinen über halb Oberösterreich verstreuten Außenstellen, was vor allem als Vorwand für listenartig angeordnete Ortsnamen-Poesie dient: Rutzenmoos, Aurach, Vöcklaberg, Murschalln, Gmös ...

Info

Thomas Bernhards Salzburg Residenz 2022, 96 S., 15 €

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden