Kurts Cobains nervige Witwe

Klatsch Kim Gordon war die Frontfrau der sagenhaften Noise-Band Sonic Youth. Ihre Memoiren rocken weniger
Ausgabe 14/2015
Vielleicht gibt es Leser, die es interessiert, wie Gordon jetzt dreckige Wäsche wäscht
Vielleicht gibt es Leser, die es interessiert, wie Gordon jetzt dreckige Wäsche wäscht

Foto: Rachel Murray/Getty Images

Ihr letztes Konzert haben Sonic Youth mit dem legendären Song Teen Age Riot beendet, berichtet Kim Gordon gleich zu Beginn ihres jüngst erschienenen Buchs Girl in a Band. Teen Age Riot eröffnete 1988 das Album Daydream Nation. Es geht dabei (in dem Lied, auf der Platte oder eben bei Sonic Youth überhaupt), zugespitzt formuliert, um den Entwurf einer anderen Gesellschaft mit musikalischen Mitteln. Einer Gesellschaft, die Lärm aushalten kann, ohne bloß mit dem vernünftigen Bedürfnis nach dem Herunterregeln der Lautstärke darauf zu reagieren. Die Dissonanzen aushält. Einer Gesellschaft, die nicht nur zwischen Dissonanz und Harmonie unterscheiden kann, sondern zwischen verschiedenen Formen von Dissonanz. Harmonie – denn immer wieder können Sonic-Youth-Stücke plötzlich in geradezu kitschig anmutender Weise harmonisch klingen – lässt sich bestenfalls in der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen von Dissonanz skizzieren.

Dass Thurston Moore und Lee Ranaldo so viele Gitarren brauchten, erklärt sich technisch einfach damit, dass diese in je verschiedener Weise verstimmt waren. Kim Gordon war natürlich nie lediglich das Girl in der Band, sie war natürlich nie die Nico von der Bananenplatte. Sie zitiert diese Beschreibung auch nur im Titel ihres Buchs, als eine Erwartungshaltung, gegen die sie Anfang der 80er Jahre vielleicht tatsächlich noch anarbeiten musste. Immerhin hatte es auch damals schon Frauen wie die Performerin und Musikerin Lydia Lunch gegeben, um nur eine New Yorkerin zu nennen, die in Gordons Buch ziemlich schlecht wegkommt. Kim Gordon trug immer wieder Miniröcke, trägt sie noch heute, als über 60-Jährige, aber sie hat sie nie wie ein Girl in der Band getragen. Girls in der Band haben ja auch nicht den Bass umgeschnallt und schreiben nicht an so vielen Stücken mit.

Abrechnung mit dem Ex

Leider jedoch ist das Buch viel zu stark davon geprägt, dass Sonic Youth zufälligerweise auch das Projekt eines Liebes- und Ehepaars war. Nicht nur zu Beginn, nicht nur am Ende ist Girl in a Band eine Abrechnung mit dem Exgatten Thurston Moore. Auf den ersten zwei Seiten habe ich noch über die Trennung des Paars und, davon kaum zu trennen, der Gruppe mitgetrauert. Dann aber war ich beim Lesen nur noch traurig. Traurig darüber, wie sehr Kim Gordon die Geschichte der Gruppe ihrer Geschichte einer enttäuschten Beziehung unterordnet. Fast jede Erinnerung an Moore wird mit irgendeinem Seitenhieb auf seinen Charakter begleitet. Zu detailliert berichtet sie davon, welche Dateien auf seinem Laptop sie ausspioniert hat, um ihn seines Ehebruchs zu überführen. In der Vision einer „Hypernation“, die in Teen Age Riot entworfen wird, gäbe es solche Schlammschlachten nicht. Wenn Gordon wenigstens ein Mal diesen Widerspruch markieren würde.

In der Originalausgabe wird das Buch als „A Memoir“ bezeichnet – ein Wort, das eigentlich nicht mit dem deutschen „Memoiren“ deckungsgleich ist (nicht einmal mit „Autobiografie“, wie es die Übersetzung wiedergibt); „memoir“ bedeutet vielmehr ein Zeugnis von Ereignissen, die auch weit über die persönliche Beteiligung des Schreibers hinaus öffentliches Interesse beanspruchen können. Sonic Youth wäre durchaus ein solches Ereignis. Leider jedoch gehört Girl in a Band eher zu den „Memoiren“ im deutschen Wortsinn, also zu einer Gattung, die dafür vorgesehen ist, dass eine ohnehin schon berühmte Persönlichkeit den Band natürlich auch wegen des Autornamens verkauft. Die Sprache, in der ein solcher Bericht verfasst ist, spielt dabei vermeintlich keine Rolle. In diesem Fall wechselt Gordon in unnachvollziehbarer Weise zwischen den verschiedensten Registern.

Vielleicht gibt es Leser, die sich dafür interessieren, wie Kim Gordon jetzt dreckige Wäsche wäscht oder bestenfalls noch ein paar Anekdoten über Kurt Cobain und seine nervige Witwe erzählt. Allen anderen sei geraten, jede Minute, die sie sparen, wenn sie dieses Buch nicht lesen, auf das Hören und Wiederhören von Sonic-Youth-Stücken zu verwenden.

Info

Girl in a Band Kim Gordon Kathrin Bielfeldt, Jürgen Bürger (Übers.), Kiepenheuer & Witsch 2015, 352 S., 19,99 €

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