Dreiste Dickmacher-Werbung

Essen Lebensmittelkonzerne wollen den Kindern einreden, dass Junkfood gesund sei und verdrehen dafür die Tatsachen. Verbraucher können nun über die schlimmste Werbung abstimmen
Dreiste Dickmacher-Werbung

Bild: Foodwatch.de

Kinder können den Süßwaren, Knabberartikeln und Soft-Drinks einfach nicht widerstehen. Inzwischen leiden in Deutschland 15 Prozent der Kinder an Übergewicht. Die Folgen können Erkrankungen wie Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzkrankheiten sein. Und wer trägt die Schuld? Nicht allein die Eltern, meint die Verbraucherorganisation Foodwatch. Sie macht besonders die Lebensmittelindustrie für die hohe Übergewichtsrate bei Kindern verantwortlich.

Konzerne wie Dr. Oetker, Nestlé oder Wild versuchen durch Unterrichtsmaterialien für Schulen und Kitas ihre Produkte an Kinder zu verkaufen. Dabei werden Tatsachen verdreht: Ritter-Sport schreibt seiner Schokolade etwa Heilkräfte zu. In seinem Grundschul-Unterrichtsmaterial heißt es, sie sei „gut für Herz und Kreislauf“, wirke „schmerzlindernd“ und die Wissenschaft habe inzwischen festgestellt, dass sie glücklich macht.

Capri-Sonne fast so süß wie Coca Cola

Auch das Fruchtsaftgetränk Capri-Sonne wurde mit fragwürdigen Aussagen beworben, inzwischen hat die Firma Wild die Werbematerialen jedoch zurückgezogen. Die Capri-Sonne erschien dort in der Ernährungspyramide ganz prominent in dem Segment Getränke. Dazu gab es eine Empfehlung für Kinder, Capri-Sonne möglichst oft zu konsumieren – obwohl der Soft-Drink rund zehn Prozent Zucker enthält und damit fast genauso süß ist wie Coca-Cola (10,6 Prozent). Gesund ist das nicht. Davon wurde aber in der Unterrichtsmappe nichts erwähnt.

Dr. Oetker bietet Arbeitsblätter für die Grundschule an, als Teil einer aggressiven Werbekampagne, um seinen „Kuhflecken“-Pudding zu vermarkten. Kinder sollten Text- und Bildaufgaben rund um Tiere lösen. Prominent vertreten waren auch das Logo des Herstellers und das Maskottchen des Puddingprodukts, die fleckige Kuh Paula.

Kinder, die optimale Zielgruppe

Kinder sind für die Lebensmittelindustrie die reinste Geldmaschine. Das sagen Werbeagenturen wie Spread Blue, die sich auf „Education-Marketing“ spezialisiert haben. Auf ihrer offiziellen Seite schreibt die Agentur: „Die Zielgruppe verfügt über mehrere Milliarden Kaufkraft und Mitsprache bei Kaufentscheidungen der Eltern. Oft sind die frei verfügbaren Mittel größer als bei den Eltern. So haben Kinder und Jugendliche (6 bis 19 Jahre) jährlich eine Summe von rund 20 Milliarden Euro zur Verfügung.“ Darum verteilt Spread Blue im Auftrag ihrer Kunden Produktproben in Kitas, überflutet Schulen mit Werbematerialien, die nach Pizza oder Schokolade duften, und füllt Schulflure mit Bodenfolien und Plakaten.

Klappt es nicht mit der direkten Werbung, versuchen sich Lebensmittelkonzerne als Sponsoren von Sportevents oder Initiatoren von Schulveranstaltungen. Der Knabbergebäckhersteller Intersnack veranstaltet etwa den Deutschen Vorlesepreis. Auf den seit 2006 stattfindenden Veranstaltungen im Rahmen des Wettbewerbs ist der Pom-Bär als Maskottchen immer präsent. Durch die Events möchten die Konzenre auf frühzeitige Aufklärung und Bildung pochen, die Verantwortung auf Schüler, Lehrkräfte und Eltern verlagern.

Foodwatch verleiht Negativpreis

Foodwatch findet die Werbemaschen der Lebensmittelkonzerne einfach nur dreist. Darum hat der Verein in diesem Jahr fünf Produkte für den „Goldenen Windbeutel 2013“ nominiert, die an Kinder vermarktet werden. Die Negativauszeichnung vergibt Foodwatch seit 2009, in diesem Jahr jedoch erstmals jedoch mit Fokus auf Kinderlebensmittel. Dadurch möchte Foodwatch auf die Mitverantwortung der Lebensmittelindustrie für Übergewicht und Fehlernährung bei Kindern hinweisen.

Fünf Kandidaten sind im Rennen. Nach einem Wahlzeitraum von einem Monat fällt die endgültige Entscheidung am Donnerstag. Auf der offiziellen Seite können bis Mittwochabend Verbraucher ihren „Favoriten“ wählen. Auf die Nominierten-Liste schafften es Wilds Capri-Sonne, Ehrmanns Monster-Backe Knister, Intersnacks Pom-Bär, Nestlés Kosmostars und Dr. Oetkers Paula.

Zuckergehalt kleingerechnet

Nestlés Cerealien „Kosmostars“ sollen „weniger als neun Gramm Zucker pro Portion“ enthalten. Dabei setzt das Unternehmen laut Foodwatch auf einen altbewährten Portionstrick: Eine Portion wird auf gerade einmal 30 Gramm festgelegt und dadurch wird der Zuckergehalt klein gerechnet.

Ehrmann vermarktet seine überzuckerten Joghurts als Spielzeug. Sie locken mit Knisterzucker, der bei Berührung mit dem Joghurt prickelt und laut zischt. Zudem gibt es eine Zungenfärber- und Blubber-Brause-Variante, die die Zunge färbt oder den Joghurt aufschäumen lässt.

Sämtliche Kandidaten werben für ihre Produkte durch Unterrichtsmaterialien in Schulen oder durch das Sponsoring von Veranstaltungen. Dabei versuchen die Hersteller von der Tatsache abzulenken, dass ihre Produkte für Kinder ungeeignet sind, weil sie zu viel Zucker enthalten und fett machen. Pom-Bär-Chips sind zum Beispiel fünf Mal so salzig und doppelt so fettig wie die Pommes frites von McDonald's. Der Zuckergehalt der Kosmostars-Flocken liegt bei 25 Prozent. Der Monster-Backe Knister-Joghurt enthält je nach Sorte 17,5 bis 19 Prozent Zucker.

Zwei Millionen übergewichtige Kinder

Es sind Kalorie-Bomben für Kinder, die ohnehin immer dicker werden. In den letzten 30 Jahren hat sich die Zahl der dicken Kinder um 50 Prozent erhöht. In Deutschland gelten rund zwei Millionen Jugendliche und Kinder als übergewichtig. Eine ungesunde Ernährung ist zwar nicht der einzige, aber ein maßgeblicher Grund für diese Entwicklung.

Lebensmittelkonzerne weisen gerne auf andere Faktoren hin wie zum Beispiel Sport. Doch laut Ernährungsexperten ist Sport allein kein Rezept gegen Übergewicht. Nur die Mischung aus gesunder Ernährung und Bewegung garantiert langfristige Erfolge. Das würde aber heißen, dass die Hersteller von Junk-Food auf Healthy-Food umsteigen müssten.

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