Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auch im Social Web längst die Nase vorn: Laut einem aktuellen Social-Media-Ranking der deutschen Politiker hat Merkel 245.667 Unterstützer in Netzwerken wie Facebook. Ihr SPD-Gegenkandidat Peer Steinbrück gewinnt nur Bronze mit mageren 43.273 Fans. Mit 500 zusätzlichen Unterstützern belegt Familienministerin Kristina Schröder Platz zwei. Die Zahlen sind bescheiden.
Die Erfolge bzw. Misserfolge der deutschen Politiker in sozialen Netzwerken dürften in den USA kaum jemanden imponieren. Schließlich hat Barrack Obama allein auf Twitter mehr als 31 Millionen Follower weltweit. Rechnet man seine Unterstützer auf Facebook dazu, kommt der US-Präsident auf fast 67 Millionen. Den Twitter-Olymp teilt er sich laut twitt
laut twittercounter.com mit Popstars wie Justin Bieber und Lady Gaga. Er ist der einzige Politiker, der in der Top 10 rangiert. 2008 und 2012 hatte Obama für den Wahlkampf auf eine starke Online-Kampagne gesetzt und das mit beispiellosem Erfolg. Journalisten und Experten sind sich einig: Obama hat den Wahlkampf revolutioniert.In Deutschland lässt diese Revolution allerdings auf sich warten. An den Erfolg des Demokraten konnte kein deutscher Politiker bisher anknüpfen. Die Popularität der Bundeskanzlerin im Social Web ist auch ein Ausdruck dafür, wie sehr man noch hinterher hinkt. Eine Suche auf Twitter nach Merkel ergab vier unterschiedliche Profile, keines davon authentisch. Laut Starcount.com besitzt die Bundeskanzlerin überhaupt kein Twitter-Konto. Wie ungeschickt Politiker mit dem neuen Medium Internet noch immer umgehen, bewies auch der Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Dieser geht generell auf den Ist-Zustand ein, so als würden die Politiker noch versuchen, das Phänomen Internet zu verstehen, so wie vermutlich im 19. Jahrhundert die Menschen das Telefon. Ohne wird es in Zukunft nicht mehr gehen, besonders für die Politik. Dessen ist sich der Hightech-Verband BITKOM sicher.Laut ihrer aktuellen Studie „Demokratie 3.0 - Bedeutung des Internets für den Wahlkampf“, die von der Forschungsgesellschaft Forsa durchgeführt wurde, beteiligt sich inzwischen jeder dritte Deutsche im Internet am Wahlkampf. Besonders junge Menschen zwischen 18 und 29 Jahre sind politisch im Netz aktiv: 20 Prozent kommentieren in Online-Medien Artikel zu politischen Themen, 22 Prozent leiten E-Mails mit politischem Inhalt an Bekannte weiter und 42 Prozent bewerten in sozialen Netzwerken politische Inhalte oder teilen sie mit anderen Nutzern. Für 80 Prozent dieser Zielgruppe ist das Internet nach dem Fernsehen das wichtigste Informationsmedium. Fast die Hälfte glaubt, dass es für den Ausgang der Bundestagswahl entscheidend sein wird, wie die Parteien das Internet im Wahlkampf nutzen.Internetwahlen statt UrnengangSpätestens 2017 könnte das Internet mehr als bloß eine Vermarktungsplatform für Parteien und Politiker sein. Im Netz könnte vielleicht die entscheidende Frage fallen, wer soll in den Bundestag einziehen? Die Wahlbeteiligung der Deutschen war 2009 die niedrigste seit Kriegsende. Nur 72,2 Prozent hatten ihre Stimmen abgegeben. Inzwischen würden immer mehr Bürger lieber per Internet abstimmen wollen, statt zur Urne zu gehen. Online-Wahlen könnten das Mittel gegen Politikverdrossenheit sein: Laut der Forsa-Umfrage würden 55 Prozent der Befragten per Internet wählen wollen, bei den 18- bis 29-jährigen liegt der Anteil sogar bei 62 Prozent. Vergleichsweise lag 2009 die Bereitschaft der Bürger online zu wählen bei 47 Prozent (insgesamt) bzw. 57 Prozent (junge Wähler). In den nächsten vier Jahren könnte der prozentuale Anteil um weitere zehn bis 15 Prozent steigen.Doch selbst wenn die Internetwahl ein Problem lösen würde, würde sie gleichzeitig neue schaffen. Im Vergleich zur Urnenwahl ist sie deutlich anfälliger für Wahlmanipulationen. Auch die Anonymität der Wähler muss weiterhin gewahrt bleiben. Wenn dies vom hauseigenen PC geschieht, kann es schwierig werden. Man könnte zum Beispiel leicht überprüfen, wer für wenn abgestimmt hat.Für BITKOM-Präsident Dieter Kempf wird der elektronische Personalausweis mit dem eingebauten RFID-Chip diese Bedenken aus der Welt schaffen. Per eID-Funktion können sich Bürger im Internet elektronisch ausweisen. Ähnlich wie bei der Kredit- oder SIM-Karte besitzt jeder Ausweis eine sechsstellige Geheimnummer (PIN), die man für eine Authentisierung eingeben muss. Die Angst vor möglichen Hacker-Angriffen bleibt beim Wähler trotzdem bestehen: Die Sicherung des Datenschutzes genießt für 96 Prozent oberste Priorität, die Bekämpfung von Cyberkriminalität für 95 Prozent.Bürger wollen sich online beteiligen64 Prozent der jungen Wähler wollen sich aktiv an politischen Entscheidungen per Internet beteiligen. Die Internet-Enquete hat es in den letzten drei Jahren vorgemacht: Der Bürger durfte online als Sachverständiger mitentscheiden. Schön und gut fand die Justiziarin der SPD-Bundestagsfraktion Brigitte Zypries, nur hätten wenige die Beteiligungsmöglichkeit genutzt.Das Interesse aber besteht, findet Kempf. Laut der BITKOM-Studie selbst bei den Wählern ab 60 Jahre (30 Prozent). „Interaktive Online-Formate bieten die Chance, direkt und auf Augenhöhe mit den Wählern zu kommunizieren“, so Kempf. „Die klassische Einweg-Kommunikation verliert dagegen an Bedeutung.“Immerhin verfügen 86 Prozent der Bundestagsabgeordneten über ein Profil in mindestens einem sozialen Netzwerk. Doch die Frage nach dem ob wird längst von der Frage nach dem wie verdrängt.Momentan schießt sich die Politik selbst ins Bein aufgrund des verschärften Datenschutzes. Darum sind Online-Kampagnen der Marke Obama in Deutschland gegenwärtig auch nicht möglich. Die Revolution lässt somit noch auf sich warten. Und es wird sich erst dann etwas bewegen, wenn die deutschen Politiker nicht auf Merkels Erfolg im Social Web neidisch blicken, sondern auf Barrack Obamas. Alles andere müsste man auf gut Amerikanisch als ein nice try abstempeln.