Angewandte Fiktionen

Militärforschung Gewöhnlich findet sie hinter verschlossenen Türen statt - DARPA, eine Agentur für angewandte Verteidigungsforschung, zeigt, wie es anders geht

Fairfax ist ein boomender Vorort im Süden der US-Hauptstadt Washington. Die Hälfte der erwachsenen Einwohner haben einen Universitätsabschluss. Zwischen kürzlich fertiggestellten Wohnkomplexen und solchen, die sich noch im Bau befinden, steht das unscheinbare Bürogebäude der Agentur für angewandte Verteidigungs-Forschungsprojekte (DARPA). Der dunkle Glasbau hat wenig gemein mit den repräsentativen Regierungsgebäuden ein paar U-Bahn-Stationen stadteinwärts. Auch die nur ein paar Straßenecken entfernten Bürogebäude der National Science Foundation und der Behörde für Marineforschung sind weitaus großzügiger angelegt.

Schon der Eingangsbereich des im übrigen nur gemieteten Gebäudes vermittelt, was bei DARPA zählt: Funktionalität, Flexibilität und Effizienz. Weder Insigniensammlungen noch Flaggen, nicht einmal Fotos zieren die Wände der Eingangshalle. Es gibt nur einige unauffällige Glasvitrinen, in denen Souvenirs angeboten werden. Die Sicherheitskontrollen halten sich in Grenzen. Bis vor einigen Jahren genügte selbst für Besucher aus dem Ausland ein beliebiger Lichtbildausweis. Inzwischen müssen Besucher, die nicht die US-Staatsbürgerschaft besitzen, vorab registriert und genehmigt werden.

Beim Besucherempfang ist gerade Platz für eine Handvoll Leute. Dennoch darf niemand ohne Begleitung weiter ins Gebäude vordringen. Als mich schließlich einer der Sicherheitsleute zu meinem Termin bringt, bin ich froh darüber. Alleine hätte ich mich in den schmalen, fensterlosen Korridors nur verlaufen. Viele Büros stehen offen. Während ich auf meinen Gesprächspartner warte, höre ich unfreiwillig mit, was im Nebenraum gesprochen wird. Kaum zu glauben, dass es bei DARPA auch schon Projektleiter gegeben haben soll, die bei jeder Besprechung ein Gerät zur Störung von Abhöranlagen eingeschaltet hatten. Die Dokumentenstapel in allen Ecken der viel zu kleinen, viel zu vollen Büros gleicht dem Arbeitsklima in amerikanischen Universitäten - und soll es wohl auch. Universitäten gehören zu den wichtigsten Partnern für DARPA.

Alan Rudolph ist seit vier Jahren Projektleiter bei DARPA und damit unter seinen Kollegen schon ein Veteran. Vorher hat er an einem Labor der US-Marine über künstliche Blutprodukte geforscht. Sein Vorhaben wurde schließlich eingestellt, an blutigen Kriegen schien zumindest damals keiner mehr interessiert. Bei DARPA beschäftigt sich Rudolph mit Sensoren, die elektroaktive Zellen nutzen, und mit elektronischen Bauelementen, die auf Biomolekülen aufbauen sollen. Unter den von ihm finanzierten Forschern befand sich ein Neurobiologe, der Roboter entwickelte, die das Verhalten einer Languste simulieren, oder ein Verhaltensforscher, der daran arbeitete, einen Bienenschwarm zur Aufspürung von Explosivstoffen zu trainieren. In einem anderen Programm fördert Rudolph eine gerade erst gegründete Firma, die eine Technik entwickelt, mit der sich die Informationen eines einzelnen DNS-Moleküls lesen lassen. Das gesamte menschliche Erbgut ließe sich so in wenigen Stunden bestimmen.

Biologie ist ein noch junges Terrain für DARPA. Ende der neunziger Jahre hat die bis dahin auf Informationstechnologie, Software, Mikroelektronik und Materialforschung spezialisierte Behörde begonnen, biologische und medizinische Forschung zu finanzieren. Bei der Entwicklung neuer Forschungsfelder investiert DARPA in erster Linie in Köpfe. Anders als die großen Forschungsbehörden der USA wie die National Science Foundation oder National Institutes of Health gibt es kein Gutachtersystem.

Rund zwei Milliarden Dollar vergibt DARPA im Jahr. Forschungsprogramme sind meist auf drei bis fünf Jahre angelegt und verfügen in der Regel über ein Budget zwischen fünf und zehn Million Dollar pro Jahr. Geht es um die Entwicklung kompletter Waffensysteme, können es auch Hunderte von Millionen sein. Innerhalb ihrer Budgets entscheiden die mehr als 200 Projektleiter so gut wie autonom, wen oder was sie fördern. Auch bei der Entwicklung neuer Programme spielen sie eine entscheidende Rolle. Nichts ist leichter für einen DARPA-Projektleiter als Freunde, vor allem falsche Freunde zu gewinnen.

Nach meinem Gesprächstermin schaue ich in eine gerade stattfinden Halbjahreskonferenz, im Hausjargon "Principal Investigator Meeting" herein. Es geht um das Forschungsprogramm in Neuroethologie. Ein deutscher Biologe referiert über das Verhalten Blut saugender Insekten. Wie er zu DARPA gekommen sei? Man sei auf ihn zugetreten und habe ihn ermutigt, einen Projektantrag einzureichen. Einem japanischen Strukturbiologen, der auf einem "Kick-off meeting" zum Thema Molekularmotoren vorträgt, ging es ähnlich.

Dass DARPA Forschungen im Ausland unterstützt, ist keine Seltenheit. Besonders israelische, britische und australische Wissenschaftler kommen öfter zum Zug. Freilich unter der Voraussetzung, dass es in den USA niemand gibt, der Vergleichbares leisten kann. Ein Gutteil der von DARPA finanzierten Forschung ist öffentlich zugänglich und wird auch in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert. Das könnte sich nun ändern. Die Bush-Administration bereitet angeblich eine neue Klassifizierung nicht geheimer, aber "sensitiver" Forschung vor, mit der die Zirkulation militärisch relevanter Ergebnisse beschränkt werden soll.

Anwendungsnähe oder "Capabilities", wie es bei DARPA heißt, ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Das Militär erwartet neue Technologien und Anwendung: von Miniaturflugkörpern, die im Straßenkampf eingesetzt werden können, über tragbare Sensoren, die möglichst viele biologische und chemischer Kampfstoffe schnellstmöglich aufspüren, bis zu Kommunikationssystemen für konventionelle Kriegsführung. Das bedeutet ein strenges Projektmanagement. Wer sich von DARPA finanzieren lässt, muss genaue Zeitpläne einhalten und in Kauf nehmen, dass der Projektfortschritt häufig vor Ort kontrolliert wird. Das Motto Anwendungsnähe geht mitunter so weit, dass Wissenschaftlern, die an einer Halbjahreskonferenz teilnehmen, dazu ein Tag Straßenkampf in einem Übungslager der US-Marines verordnet wird.

Eine Ende der neunziger Jahre herausgegebene Broschüre über Technologien, die mit DARPA-Mitteln entwickelt wurden, listet Raketenmotoren für Tomahawk-Raketen, Tarnkappenbomber bis hin zum im Vietnamkrieg großflächig versprühten Entlaubungsmittel Agent Orange auf. In Afghanistan und zuletzt im Irak kam im Auftrag von DARPA entwickelte Mobilfunktechnologie zum Einsatz. Auch in Raumfahrt, Materialforschung und Medizin haben die Projekte Spuren hinterlassen. Doch mit keinem zivilen Anwendungsbereich ist DARPA so verknüpft wie mit dem Computer.

Viele der ersten Departments für Informatik in den USA wurden mit DARPA-Geld gestartet, und noch heute kommen erhebliche Forschungsmittel für Mikroelektronik oder Software aus Fairfax. Die lange Liste der Entwicklungen umfasst VLSI-Chips (hochintegrierte Digitalschaltungen) ebenso wie RAID-Speicher (Netzwerkspeicher) und Software für Parallelrechner. Geradezu ein Mythos wurde die Rolle von DARPA bei der Entwicklung des Internet-Protokolls TCP/IP. Am Anfang stand der Gedanke, ein Kommunikationsnetzwerk aufzubauen, das selbst von einem Nuklearangriff nicht ausgeschaltet werden könnte. Gewöhnliche Netzwerke sind wegen ihrer hierarchischen Struktur verwundbar, fällt ein zentraler Knotenpunkte aus, sind weite Teile lahmgelegt. Beim so genannten "packet switching" hingegen werden Daten in handlichen Päckchen versandt, die über verschiedene Pfade an ihr Ziel gelangen können.

Nicht nur viele technische Ideen von DARPA haben Geschichte gemacht, sondern auch die Organisationsstruktur. Dabei ist diese flexible Organisation, die mehr von einem Wagniskapitalfond hat als von einer Regierungsbehörde, eigentlich ein Relikt des Kalten Krieges. Ins Leben gerufen wurde sie 1958 unter dem Namen Advanced Research Projects Agency (ARPA), nachdem die Sowjets mit dem Sputnik als erste in den Weltraum vorgestoßen waren. Unabhängig von den eigenen Forschungs- und Technologieprojekten der Militärs sollte das Pentagon damit unmittelbaren Zugriff auf Spitzenforschung erhalten, und bis vor wenigen Jahren unterstand DARPA der direkten Kontrolle des US-Verteidigungsministers.

Von Anfang an wurden Forscher von Universitäten, Forschungszentren oder Firmen als Projektleiter angeheuert. Die meisten kehren nach zwei bis drei Jahren bei DARPA auf ihre ursprüngliche Position zurück. Die Bürokratie ist so minimal, dass Finanzierungen über Dritte abgewickelt werden. Die Hierarchie ist flach. Mit Ausnahme der Direktoren erhalten Mitarbeiter in aller Regel nur Zeitverträge. Der Technikhistoriker Thomas P. Hughes nennt es "postmodernes Projektmanagement".

Zu dieser Flexibilität zählt auch, dass nicht nur Universitäten und Forschungsinstitute gefördert werden, sondern auch Firmen. Unter denen, die in ihren Anfangsjahren von DARPA Aufträge erhielten, sind Schwergewichte wie Sun Microsystems oder Silicon Graphics. Heute ist das Pentagon zwar nicht mehr der mit Abstand wichtigste Kunde der Computerbranche, aber die Netzwerke, die am DARPA im Laufe der Jahrzehnte geknüpft wurden, wirken noch immer. Steven Squires, Forschungschef von Hewlett Packard, und David Tennenhouse, der Technische Direktor von Intel, sind ehemalige DARPA-Projektleiter. Und nach dem Ende des Internetbooms und dem Versiegen des Wagniskapitals sind Gelder aus Fairfax bei Start Up-Firmen wieder gefragt.

Mit großzügigen Finanzierungen hat DARPA von den Informatik über die Materialforschung bis zur Mikroelektronik immer wieder dazu beigetragen, neue fachübergreifende Forschungsbereiche zu erschließen und zu etablieren. Der Wissenschaftskritiker Rostum Roy sieht in DARPA den eindeutigen Beweis, dass Forschungsfinanzierung auch ohne die "Diktatur der Peer Review" funktioniert. Voriges Jahr hat die National Academy of Science der US-Regierung vorgeschlagen, nach dem Vorbild der DARPA eine Agentur ins Leben zu rufen, die chancenreiche medizinische Forschung fördert, die im zu Konservativität neigenden Gutachtersystem zu kurz kommt.

Bei DARPA wird gerne in Kauf genommen, dass auch spekulative Projekte gefördert werden, die mitunter an Science Fiction-Magazine der sechziger Jahre erinnern. Bereitschaft zum Risiko ist Teil des Images und wohl auch der PR-Strategie. Die alljährliche Präsentation der neuen Programme und Projekte trägt den Namen "Technology Fantasy". Aber das passt ja dazu, dass viele beteiligte Wissenschaftler die militärische Anwendbarkeit ihrer Projekte für Fiktion halten.

Robert Triendl lebt in Tokyo und ist derzeit im Bereich Technologietransfer tätig. Er war an mehreren DARPA-Projekten als Berater beteiligt.

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