Helene und die Genossen

Ein Vergleich 2018 war das mit Abstand erfolgreichste Jahr für Helene Fischer – und eines der erfolglosesten für die SPD. Was unterscheidet die beiden?

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„Helene Fischer macht nicht auf lässig. Helene Fischer macht ihren Job.“
„Helene Fischer macht nicht auf lässig. Helene Fischer macht ihren Job.“

Foto: Hannes Magerstaedt/Getty Images

Kaum ein deutscher Musikstar war zuletzt so erfolgreich wie Helene Fischer. Sie begeisterte mit der ‚Helene Fischer Show’ ein Millionenpublikum und ist Gesprächsthema in fast jedem deutschen Haushalt. Ganz anders die SPD: Die Partei hatte im letzten Jahr mit historischen Wahlniederlagen zu kämpfen und musste während der Festtage auch noch einen Shitstorm über sich ergehen lassen.

Fest steht, Helene Fischer trifft derzeit den medialen Massengeschmack. Ihr Programm aus Gesang-, Tanz- und Unterhaltungseinlagen spricht die ganze Familie an, sie hat sich längst aus der belächelten Schlagerecke ins ganz große Showbiz katapultiert und selbst ihre Trennung von Florian Silbereisen scheint Teil einer perfekt geplanten Inszenierung zu sein.

Den ‚Geschmack der Massen’ haben die Sozialdemokraten im Jahr 2018 sichtbar verfehlt. Durch die innerparteilichen Grabenkämpfe klaffen nach der letzten Bundestagswahl die Wunden und auch von außen betrachtet wirkt der ‚SPD erneuern’ Prozess bei gleichzeitiger Weiterführung der Großen Koalition mehr als unglaubwürdig.

Passend dazu ein Tweet der SPD an Heiligabend: „Erst essen wir, dann reden wir über die SPD-Gesetze ...“ Da fragt die bekannte Autorin und Publizistin Carolin Emke zu recht, ob es sich hier um Satire handelt, wohlwissend, dass die meisten Hartz-4 Empfänger sich die abgebildete Weihnachtsgans nicht leisten können.

Ein direkter Popularitätsvergleich zeigt: Die SPD ist auf dem besten Wege, sich von einer Partei der Vielen in eine Klientel-Partei zu verwandeln, die dauerhaft nicht mehr als 15% der Wähler erreicht. Helene Fischer hingegen gelingt es, Massen zu mobilisieren und emotional zu binden. Woran liegt das?

Gespür. Helene Fischer trifft den Zeitgeist. Der ‚Feel-good-Faktor’ steht bei ihren Shows an oberster Stelle. Da nimmt die Oma die Enkelin in den Arm und der Vater pustet Küsschen in die Luft. Das ist auch für die Politik relevant und wurde von der CSU und den Grünen bereits erkannt: So setzt Markus Söder auf Harmonie und kündigt öffentlichkeitswirksam eine neue Form der Zusammenarbeit mit der CDU an. Oder Robert Habeck, der sich zum Ziel gesetzt hat, seine Partei über das Thema ‚Zusammenhalt in der Gesellschaft’ bei den anstehenden Landtagswahlen zu profilieren.

Und die SPD? Die zerbricht sich den Kopf wie sie das Land und Europa sozial gerechter machen kann, kommuniziert das aber eher schlecht als recht und verliert so dementsprechend an Deutungshoheit über originär sozialdemokratische Fragen der Politik.

Disziplin. Helene Fischer vermeidet jegliche Art von Eskapaden und Dilettantismus. Oder wie es die Neue Züricher Zeitung schreibt: „Helene Fischer macht nicht auf lässig. Helene Fischer macht ihren Job.“ Alle Shows sind perfekt durchgetaktet und ihre Bauchmuskeln zum Markenzeichen geworden. Das gilt auch für ihre Wortwahl: Helene Fischer vermeidet alles, was ihre Fans missverstehen könnten. Doppeldeutigkeiten und Ironie sind in ihren Songtexten und Anmoderationen tabu. Das erscheint häufig steril, strahlt dafür aber Sicherheit und Geborgenheit aus.

Und die SPD? Die ist in einer politischen Debatte gefangen, in der sich der einzelne (Politiker) immer und überall daran messen lassen muss wie schlagfertig sie oder er gegen nationalistische und offen rechtsextreme Äußerungen (online) zu Felde zieht. Das Wichtigste dabei sind dann häufig die 3000 Twitter-Likes anstatt daran zu arbeiten wie die 3 Millionen verlorenen Wähler (offline) zurückgewonnen werden können.

Haltung. Helene Fischer ist lange vorgehalten worden, sich nicht zu den Vorfällen in Chemnitz zu äußern. Letztendlich hat sie es aber doch gemacht und zwar auf eine Art und Weise, die in ihr Konzept passt und die auf Akzeptanz bei ihrem Publikum gestoßen ist. Sie wirkte dabei nicht belehrend und ging so behutsam vor, dass nahezu alle ihre Anhänger mitgenommen wurden (die Kritik, ihr politisches Statement sei im Genre der Schlagermusik unerwünscht, verpuffte infolgedessen).

Und die SPD? Die sieht den Begriff ‚Haltung’ eigentlich bei sich „beheimatet“. Nicht ganz zu Unrecht, wenn man bedenkt, dass die Parteigeschichte auf konsequenter Opposition zur Bismarck-Monarchie und einem klaren Nein zur Nazi-Diktatur basiert. Dennoch gelingt es der SPD nicht, diesen Markenkern in die Gegenwart zu transportieren. Die Partei tritt zu wenig als politische Kraft auf, die Orientierung bietet (gerade den Unentschlossenen und Verunsicherten), auch weil sie sich zu sehr von der Schnelllebigkeit digitaler Kommunikation treiben lässt.

Nun lassen sich Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Helene Fischer wird ihre Karriere nicht in der SPD fortsetzen und die Sozialdemokraten müssen weder singen noch tanzen, um erfolgreicher zu werden. Aber, und hier überschneiden sich die Geschichten, viele von denen, die heute Helene Fischer zujubeln, haben früher mal SPD gewählt.

Nur wenn es gelingt, diese Menschen wieder einzufangen und mitzunehmen, wird die SPD erneut eine Partei der Vielen. Die Sozialdemokraten täten gut daran, Helene Fischer ernst zu nehmen und sich das ein oder andere abzuschauen.

Glück auf!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Westermann

.. schreibt hier über Migration-Klima-Krisen und anderes Gedöns.

Robert Westermann

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