Quo vadis SPD?

Bestandsaufnahme 2019 war für die SPD wieder einmal ein Jahr voller Wahlniederlagen und miserabler Umfragewerte. Gelingt 2020 - mit neuem Führungspersonal - die Trendwende?

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Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken bei einem Pressestatement im Dezember 2019
Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken bei einem Pressestatement im Dezember 2019

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Sicherheit, Präzision, Druck - das galt früher nicht nur auf dem Tennisplatz, sondern stand für die "SPD". Die drei Buchstaben waren Garant für eine Politik, die Gegner in Schach hielt, Inhalte und Themen sicher platzierte und breite Wählerschichten überzeugte. Seit Monaten (wenn nicht Jahren) wirkt diese stolze Volkspartei jedoch wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen, der, nach vergeblicher Suche nach einem Messias, eine schnellstmögliche "Erneuerung" herbeisehnt. Kann dies mit den neuen Kräften in der SPD gelingen?

I. Status-Quo-Analyse

Bei der Wahl zur SPD-Spitze sind drei Elemente besonders aufgefallen: 1. Der basisdemokratische Ansatz 2. die Pärchen-Bildung der Kandidaten 3. die Möglichkeit des Online-Votings/ Live-Streaming der Regionalkonferenzen. Alles wichtige Aspekte einer modernen Partei im 21. Jahrhundert und symptomatisch für den ambitionierten und gleichzeitig desolaten Zustand der SPD.

Am naheliegendsten ist der dritte Punkt: Eine digitale Infrastruktur ist eine Grundvoraussetzung, um neue Parteimitglieder zu gewinnen bzw. Mitglieder zu halten. Jüngere, aber auch ältere politisch interessierte Menschen haben nicht unbedingt mehr Zeit für bzw. Lust auf dröge Stammtischrunden und wollen trotzdem an wichtigen Entscheidungen teilhaben. Das funktioniert dank verschiedenster Tools heute digital und ist bei neuen, progressiven Parteien oder sozialen Bewegungen meist Treiber und Grundausstattung zugleich (siehe PIRATEN-Partei, VOLT-Partei).

Für die größte Fortschritts-Partei des Landes ("Wir sind die Partei, die aus Wandel Fortschritt macht") besteht hier jedoch noch Luft nach oben. Das liegt nicht daran, dass bei der Übertragung von Regional-Konferenzen mal kurzzeitig ein Server überlastet ist oder der Verifikationsprozess des Online-Votings kompliziert erscheint, sondern daran, dass man spürt, dass digitale Kommunikation und Interaktion eben noch nicht zur DNA der Partei gehört.

Beim zweiten Punkt lässt sich ein ähnliches Phänomen beobachten. Natürlich sind Doppelspitzen nicht nur Ausdruck eines flüchtigen Zeitgeistes, sondern State-of-the-Art politischer Repräsentation: Frauen und Männer teilen sich Aufgaben und Macht und Doppelspitzen sorgen dafür, dass diese Idee gerade in hierarchisch gegliederten Organisationen sichtbar wird. Woran lag es also, dass die "Doppelspitzen-Parade" für viele Betrachter (die der SPD durchaus wohlgesonnen sind) so befremdlich wirkte?

Erstens am Alter der Kandidatinnen und Kandidaten: Außer dem Duo Roth/Kampmann gehören alle einer Generation an, in der geschlechtsübergreifende Kooperation kein Bestandteil strategischer Karriereplanung ist bzw. war. Wer jahrzehntelang als Einzelkämpfer aufgetreten ist und die Partnerin/ den Partner eher ins Private verortete, der tut sich schwer, öffentlich als "Pärchen" aufzutreten. Warum so wenig jüngere Kandidatinnen und Kandidaten angetreten sind, die dieses Prinzip privat und beruflich leben, liegt, zweitens, an der Altersstruktur der Mitglieder der Partei: Diese sind mehrheitlich Männer und durchschnittlich Ü60.

Wer eine Führung wie Habeck/Bärbock möchte, muss noch stärker an der Verjüngung der Partei arbeiten. Die SPD muss attraktiver für jüngere Generationen werden. Dazu gehört es auch, die zum Teil noch hierarchisch und männlich geprägte Kultur innerhalb der Partei aufzubrechen. Die Frauenquote, die seit Jahren praktiziert wird, funktioniert als isoliertes Instrument nur bedingt. Gerade Sub-Organisationen wie die JUSOS sollten sich kritisch hinterfragen, ob sie ihren eigenen Ansprüchen ausreichend gerecht werden.

Der dritte Punkt setzt ebenfalls hier an: Die Urwahl war als ein nach außen sichtbares Zeichen konzipiert, dass die SPD als moderne Partei (auch in Abgrenzung zur CDU) bei wichtigen Entscheidungen auf die basisdemokratische Teilhabe ihrer Mitglieder setzt. Groß war dann die Ernüchterung als das Ergebnis nicht wie gewünscht ausfiel.

Der Grund dafür? Die Parteispitze und ein Großteil der Funktionäre hatten Rückendeckung für den ausgegebenen Kurs und keinen Richtungswechsel erwartet. Hier, wie auch bei den anderen beiden Punkten zeigt sich, dass die anvisierte Erneuerung der Partei nicht intrinsisch, aus einem inneren Antrieb heraus entsteht, sondern größtenteils übergestülpt ist und deshalb als langfristige Strategie nur geringe Durchschlagskraft entfalten kann.

II. Sozialistische (Trend-)Wende?

Das Scheitern des Partei-Establishments hat zur Folge, dass nun Kräfte des linken Flügels, eine Allianz aus überzeugten Alt-Linken und Jungsozialisten, den Ton angeben. Schaut man ins Ausland liegt diese Konstellation durchaus im Trend. Allerdings, während PSOE und Podemos in Spanien triumphieren und Elisabeth Warren gute Chancen hat, die Vorwahlen der Demokraten zu gewinnen, musste Labour zuletzt eine herbe Niederlage einstecken.

Kann die SPD zukünftig Wahlen links der Mitte gewinnen? In der Vergangenheit schien dies unvorstellbar, denn, so Bernd Ulrich in seinem neuen Buch "Alles wird anders", musste sich die Bundesrepublik nach dem Krieg von jedweden Extremen fernhalten. Dies führte dazu, dass die (politische) Wahrheit stets in der Mitte lag und die "brave SPD" regelmäßig unter Verdacht geriet, nach links abzudriften.

Dieser Reflex, niemals zu stark von einer "imaginären Mitte" abzuweichen, hat sich, so Ulrich (der es wissen sollte), auch im bundesrepublikanischen Journalismus festgesetzt. Die Vorstellung, dass etwas richtig ist und gleichzeitig vollkommen jenseits des gesellschaftlichen Konsens liegt, erschien vollkommen abwegig. In Anbetracht eines zunehmenden ökologischen Realitätsverlustes, sei es nun Zeit für eine neue Radikalität.

Und die SPD (als "Märtyrer der Mitte-Politik"): Ist diese bereit für eine neue Radikalität? Zunächst ist es Aufgabe der neuen Parteivorsitzenden, die jüngst entstandenen Gräben innerhalb der Partei zu füllen. Erste Meinungsäußerungen nach der Wahl, z.B. durch Martin Schulz, deuten darauf hin, dass dies kein leichtes Unterfangen wird und sich hier zwei unversöhnliche Lager gegenüberstehen.

Die Frage, ob bekennende Sozialisten oder Reformpolitiker die Deutungshoheit in der Partei haben, steht im Mittelpunkt. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass SPD-Wahlerfolge auf einem Wechselspiel dieser beiden Kräfte beruhen. Der Fundus der Partei lag immer darin, dass es sowohl linke Vordenkerinnen und Vordenker (wie den kürzlich verstorbenen Erhard Eppler) als auch (charismatische) Politik-Moderatorinnen und -Moderatoren gab, deren Augenmerk auf einer umsetzbaren Reformpolitik lag.

Die SPD kann durchaus aus dem "Tal der Tränen" geführt werden, wenn es gelingt, die Aufmerksamkeit wieder auf die Programmatik zu lenken (und die Partei damit auch für den politischen Nachwuchs attraktiver zu machen): Europa- und Klimapolitik darf nicht den GRÜNEN überlassen werden, gesellschaftlicher Zusammenhalt, innerne Sicherheit und Wirtschaftspolitik nicht der CDU/CSU, der Vorsprung in der Arbeitsmarkt-, Sozial-, Bildungs- und Familienpolitik muss weiter ausgebaut werden (gegenüber den LINKEN in den Städten und der AfD auf dem Land).

Vieles hängt davon ab, Dinge zusammenzudenken: Wie sehen fortschrittliche Außen- und Entwicklungspolitik im Zeitalter der Ökologie aus (Stichwort: New Green Deal)? Wie lassen sich disruptive Ansätze trotz der politischen Mitte-Mechanismen einbringen? Wie können Menschen, die wenig Emissionen zu verantworten haben (Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit geringem Einkommen sowie sozial ausgegrenzte Bürgerinnen und Bürger) angemessen repräsentiert und entschädigt werden?

Sollte ein solcher Diskurs nicht einsetzen, steht einer weiteren "Verzwergung" der SPD nichts mehr im Wege. Folgende Szenarien könnten eintreten: 1. Die SPD lässt sich zunehmend auf Systemdebatten ein. Fragen des 21. Jahrhunderts werden mit Politikonzepten des 20. Jahrhunderts beantwortet. 2. Der "demokratische Sozialismus" wird zum geflügelten Wort und dient allein der vermeindlichen Mobilisierung von Massen bzw. der eigenen Selbstdarstellung.

Glück auf!

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Geschrieben von

Robert Westermann

.. schreibt hier über Migration-Klima-Krisen und anderes Gedöns.

Robert Westermann

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