Was macht eigentlich Wolf Biermann

Wolf Biermann sprach am 15.01.2013 im Konferenzraum der Schwarzkopf-Stiftung in Berlin . Kooperator war die Gemeinnützige Hertie Stiftung.

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Vorspann:

Beim Erklären der Bildereinbindung für Hans Springstein bin ich auf eine alten Beitrag gestossen, den ich damals nicht veröffentlicht hatte, weil ich rechtliche Bedenken hegte.

Jetzt habe ich aber im Netz eine Veröffentlichung gefunden und damit denke ich, dürften Befürchtungen meinerseits hinfällig sein. ( https://adamlauks.com/2013/01/19/wolf-biermanns-rede-am-15-1-2013/ )

Für alle, die Wolf Biermann genauso lieben wie ich, und vielleicht auch noch seinen Auftritt im Bundestag am 07.11.2014 in Erinnerung haben

Eingebetteter Medieninhalt

ist diese Rede im Auftrag der Schwarzkopf Stiftung nicht ohne Beigeschmack, vor allem wenn man diverse Einzelheiten kennt:

http://www.welt.de/print/wams/kultur/article11719982/About-Schmitz.html

http://www.taz.de/!5130671/

Aber das alles wird einen Wolf Biermann nicht bekümmern...

Hier also seine Rede im Wortlaut:

Bundeskanzler Helmut Kohl

So albern es unter dem gestifteten Dach einer weltbedeutenden Firma für Haarpflege klingt: Die Rede ist hier in Berlin und heute von einem Stück Weltgeschichte, und die ist haarig und hat sich gewaschen:

Die Fernsehansprache des Kanzlers Helmut Kohl

am 1. Juli 1990 an die Deutschen in Ost und West

Helmut Kohl, von dem ich kaum Gelegenheit hatte, beeindruckt zu sein, und der mir im Leben auch nicht begegnete, hat aus meiner Sicht mindestens zweimal in seinem politischen Leben - mit Hilfe der Eizes vom Hegelschen Weltgeist - etwas größeres geleistet als er selber ist.

Ich fange erst einmal mit dem Zweiten an: Der Katholik Kohl hat als Bundeskanzler einem jungen evangelischen Mädchen, einer Physikerin aus der DDR, im günstigen Moment den Berufswechsel in die Politik geebnet. Sie ist inzwischen eine gestandene Frau, die auch nach über zwanzig Jahren als Politikerin noch logisch denkt und rational entscheiden kann und offenbar ohne die Drogensucht der Machtgier handelt.

Angela Merkel rangiert für mich als europäische Figur in der Mitte zwischen dem tschechischen Schweizösterreicher Karel Schwarzenberg und dem Briten Sir Winston Churchill.

Der unfürstliche Fürst Schwarzenberg wird nach einer Stichwahl – das hoffe ich – demnächst als geborener Erz-Europäer in Prag zum bürgerlichen Präsidenten Tschechiens gekürt.

Und der britische Held des Anti-Hitler-Krieges hat 1946 in einer Rede an der Universität Zürich zum ersten Mal die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa als Vision erfunden und seitdem der Welt einen Floh ins Ohr gesetzt.

Erstens aber hat Helmut Kohl als Bundeskanzler, dessen politische Wahl-Rede vom 1. Juli 1990 uns hier in der Schwarzkopf-Stiftung zusammenführt, die deutsche Wiedervereinigung entscheidend inspiriert und organisiert. Das kann ihm kein falscher Freund kaputtloben und kein treuer Feind madig machen.

Wahlkämpfer Kohl lieferte damals den Deutschen im ersten gesamtdeutschen Wahlkampf zwei hochkarätige Propagandalügen: Er versprach den Bürgern in der verrotteten DDR „Blühende Landschaften“ und versprach ihnen, daß die wohlhabenden Brüder im Westen den Aufbau Ost aus der Portokasse bezahlen.

Darüber ist viel gespottet worden. Aber beide Lügen haben sich trotz Widrigkeiten wunderbar als Wahrheiten erwiesen. Der Kanzler Helmut Kohl in Bonn hat die welthistorische Chance unserer Wiedervereinigung im glücklichen Moment klarer als Andere erkannt und auch beherzt genutzt. Er erwies sich im allerfortschrittlichsten Sinne als stockkonservativ.

Dieser Helmut Kohl war mit sturer Gelassenheit ein Gesamtdeutscher geblieben, mitten in der Zeit des Kalten Krieges, als fast alle anderen Politiker in allen Parteien an die Wiedervereinigung unseres Volkes nur noch glaubten wie fürsorglich aufgeklärte Eltern an den Weihnachtsmann.

Für abgeklärte professionelle Parteipolitiker der Bundesrepublik lebte die Hoffnung auf den Fall der Mauer nur noch als tote Phrase in ihren Sonntagsreden.

Nicht zu reden von solchen Füchsen im Weinberg des Herrn wie Egon Bahr, der vom taffen Kalten Krieger in der Zeit des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 sich zum Wasserträger von Willy Brandt gewandelt hat, in den Zeiten der Neuen Ostpolitik der SPD.

Egon Bahr hatte sich mit Ulbricht arrangiert und sich Honecker bis zum Sankt Nimmerleinstag radikal angenähert. Brandts Bahr schmähte unmittelbar vor dem Zusammenbruch der DDR jegliches Hoffen und alles Reden über die Wiedervereinigung der Deutschen als eine „politische Umweltverschmutzung“.

Trotzdem feiert er sich nun in Talleyrand-Manier als einen Urheber des Zusammenbruchs der DDR. Solche Volten passieren massenhaft - nach dem Gesetz der Selbstverklärung - am Ende einer Diktatur, wo es plötzlich von selbsternannten Widerstandskämpfern wimmelt. Ihr Motto: „Wenige waren wir – und viele sind übriggeblieben!“

Und in meinem Puppentheater der Weltgeschichte habe ich noch eine Kasperfigur: Günter Grass. Er hat sich bewährt als ein wortreicher Verächter der Wiedervereinigung. Und so wurde dieser junge wilde Tendenzlyriker für mich ein zerfreundeter Freund.

Grass hat sich den armen Ostdeutschen als ihr olympischer Pflichtverteidiger angedient, hat sich den ostalgischen DDR-Erben als Hobby-Fürsorger aufgenötigt. Er verbreitet eine Legende über seine ostdeutsche Klientel:

Er behauptet, die Ossis seien von den Wessis kolonisiert worden, wirtschaftlich ausgeraubt und politisch vergewaltigt. Dieser Meinung bin ich ganz und gar nicht.

Über die Liebe zu einer schönen Frau kann man noch reden und hadern, aber bei der Haßliebe zu einem häßlichen Vaterland hört das Gespräch auf.

In einer Rede 1990 in der Universität Frankfurt am Main kassandrierte Grass mit einer fatal schwarzbraunen Vorhersage: Weil schließlich die Spaltung Deutschlands in zwei Staaten die notwendige Strafe für die Naziverbrechen sei, würde nun also eine Wiedervereinigung zu einem neuen Auschwitz führen.

Und noch eine persona dramatis in meinem Puppenspiel:"Der Grüne" Joschka Fischer wörtlich im Juli 1989:

„Die Forderung nach der Wiedervereinigung halte ich für eine gefährliche Illusion. Wir sollten das Wiedervereinigungsgebot aus der Präambel des Grundgesetzes streichen."

Und im Herbst des Jahres 1989 – kurz vor dem Sieg der sanften Revolution – rüpelte Joschka linksalternaiv: "Vergessen wir die Wiedervereinigung, halten wir die nächsten 20 Jahre die Schnauze darüber."

Das alles könnte man rhetorisch so hindreh´n, als wäre es eine Paraphrase des berühmten Zitats vom französischen Revanchisten Léon Gambetta. Nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 predigte der dieses Wort :

„Immer daran denken, nie davon sprechen!“

By the way: Ich selber war auch nicht klüger als allerhand falsche Experten. Als Prophet könnte ich wohl kaum das Salz in der Suppe verdienen. Ich war fest davon überzeugt, daß die DDR länger hält als ich. Bei mir war es der chronischmelancholische Zweckpessimismus. Meine politische Phantasie reichte nicht aus, um mir vorzustellen, daß die sowjetische Weltmacht jemals die Beute DDR freigibt.

Mich unterscheidet aber von anderen Kleinmütigen, daß ich mit meinen verbotenen Liedern und Gedichten dafür sorgte, wunderbar Unrecht zu behalten. Das gelang, weil ich in der DDR von Anfang an die radikale Opposition gegen die totalitäre Diktatur ermutigt habe. Also bin ich heilfroh über den Sieg der Freiheit, denn die unvollkommenste Demokratie ist immer noch besser als eine moderate Diktatur.

Sie wissen, ich hatte als junger Mann das Glück, am Brechttheater Berliner Ensemble zu lernen. Ich durfte sogar in der kleinen Gruppe von Schauspielern in brechtisch verfremdeten Edel-Arbeiterkostümen in der Inszenierung „Die Mutter“ auf dieser berühmten Bühne stehn.

Da sangen wir als Apotheose dieses kommunistischen Lehrstücks zusammen mit der legendären Schauspielerin Helene Weigel das Gedicht „Lob der Dialektik“ nach der Musik meines verehrten Meisters Hanns Eisler. „Das Sichere ist nicht sicher, so wie es ist, bleibt es nicht!“

Ich singe Ihnen das Lied freihändig vor, weil es so umwerfend komisch paßt. Es klingt mir plötzlich wie dem Pfälzer CDU-Politiker Kohl von Brecht im Kontext der Wiedervereinigung Deutschlands auf den Leib geschrieben. Der konservative Helmut Kohl nämlich, erwies sich im richtigen Moment als der echte Revolutionär, er bewies sich als viel brechtischer und fortschrittsgläubiger als wir Zweifler. Kohl dachte und sagte zur ersehnten Wiedervereinigung unseres Vaterlandes niemals das Wort „Niemals!“

Lob der Dialektik

Wer noch lebt, sage nicht: niemals!

Das Sichere ist nicht sicher.

So, wie es ist, bleibt es nicht.

Wenn die Herrschenden gesprochen haben,

Werden die Beherrschten sprechen.

Wer wagt zu sagen: niemals?

An wem liegt es, wenn die Unterdrückung bleibt? An uns.

An wem liegt es, wenn sie zerbrochen wird? An uns.

Wer niedergeschlagen wird, der erhebe sich!

Wer verloren ist, kämpfe!

Wer seine Lage erkannt hat, wie sollte der aufzuhalten sein?

Denn die Besiegten von heute sind die Sieger von morgen.

Und aus Niemals wird: Heute noch!

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Damen, Herren, verehrte Freunde, wir wollen nicht in ein bregenklöterig germanistisches Seminar geraten oder in ein Schwarzkopf-shamponiertes Historiker-Konferenzchen. Jedes Wort in diesem genialen Text vom jungen neukonvertierten Kommunisten Bertolt Brecht aus dem Jahre 1932 ist wahr geblieben und ist doch falsch geworden zugleich. Man muß eben nur alles - und im historischen Kontext - richtig mißverstehen.

Nehmen wir die Zeile aus dem Schluß des Agitpropsongs: „Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein ...“ – tja, das ist das Pathos der Aufklärung im 18. Jahrhundert, nur eben hundert oder zweihundert Jahre zu spät. Wir haben es erlebt an Anderen und selbst erlitten: Mit genügend Kugeln und Stachel-draht und Gefängnissen, mit industriell organisiertem Massen-mord kann jeder Aufgeklärte, der „seine Lage erkannt hat“, von den Unterdrückern blutig „aufgehalten“, das heißt: liquidiert werden.

Wir Deutschen, besonders die DDR-Bürger in Ostberlin, inPlauen, in Leipzig, in Dresden in Jena, auch die tapfer-verzweifelten Flüchtlinge in der Prager Botschaft und an der ungarischen Grenze zu Österreich, all diese Ost-Deutschen hatten 1989 das Privileg, Brechts revolutionsromantische Poesie „in echt“ zu erleben: „Wer seine Lage erkannt hat – wie soll der aufzuhalten sein!“

Aber unter uns sei eine verdrängte Binsenwahrheit erinnert und ausgesprochen: Wenn der russische Revolutionär wider Willen, Michail Gorbatschow zum 40. Jahrestag der DDR als Geburtstagsgeschenk seinen Genossen Honecker, Egon Krenz, Mielke und Markus Wolf, Schalck-Golodkowski und Hans Modrow und dem IM „Notar“ 1989 mit den Panzern der Sowjetischen Armee zu Hilfe gekommen wäre, dann hätten diese Brüder, vereint mit den „Bewaffneten Organen der DDR“ aus den Helden in der Helden-stadt Leipzig eine Masse Hackfleisch gemacht.

Beim genauen Hinsehen sind es immer einzelne Schicksale, und jeder Mensch ist ein Romanfragment oder wenigstens eine Ballade, eine Strophe im Lied. Ich liebe ein zauberstarkes Schlagwort in dem Gedicht „Enfant Perdu“ von Heinrich Heine:

Er nennt sich da einen Soldaten im ewigen Freiheitskrieg der Menschheit. Solche einzelnen Kämpfer der Freiheit wären 1989, nach einem Blutbad à la 17. Juni, für immer im VEB-Knast verschwunden, in Bautzen, in Cottbus in Brandenburg, in Hoheneck, Berlin Rummelsburg, Torgau, Hohenschönhausen. Solche tapferen Rebellen wie Marianne Birthler und Christian Führer, Ulrich Mühe und Jens Reich, solche Gründer des Neuen Forums wie Robert Havemanns Frau Katja und Bärbel Bohley, Sebastian Pflugbeil, Reinhard Schult, Dissidenten wie Freya Klier und Bernd Albani und Franziska Groszer und Ekke Maaß und Arnold Vaatz und sogar die Pastoren Rainer Eppelmann und Joachim Gauck, auch Wolfgang Thierse und Matthias Wegehaupt.

Sie alle sind also Glückskinder der Weltgeschichte. Aber da gabs logisch! auch Landsleute, die eher Pechkinder waren. Kohls Verhandlungs- und Vertragspartner im Osten war 1990 der neue DDRMinisterpräsident Dr. Lothar de Maiziére. Der sollte dann aber nach seiner Entlarvung im SPIEGEL Dez 1990, als IM Czerny“, aus der CDU-Parteispitze entfernt, aber nicht total abgebaut werden, weil er schließlich mit seinem Namen den deutschdeutschen Einigungsvertrag unterschrieben hatte, ein völkerrechtliches Dokument!!

Er wurde bald aus der ersten in die dritte Reihe versetzt und regredierte zum Hinterbänkler im Parlament. Seitdem betreibt er nebenbei wieder eine eigene Kanzlei als Rechtsanwalt, spezialisiert auf Rechts-Konflikte der Wiedervereinigung ...

Und er ist ein echter Witzbold: Bei der Preisverleihung zum Friedenspreis des deutschen Buchhandels 1992 an Amos Oz sprach er mich munter an. Beim großen Mittagessen im Frankfurter Hof kreuzte er quer durch den Saal an meinen Tisch:

„Herr Biermann, also, ick habe Sie immer verehrt.“ Und als ich stotterte: „Was machen Sie denn jetzt so, ... jetzt, nach dem ganzen Ärger um Ihre IM-Tätigkeit in der evangelischen Kirche der DDR?“ Da lachte er und sagte: „Also ... wenn man inne Politik jeht, muß man am besten ooch immer noch ´n bürgerlichn Beruf haben. Das hab ick nu jelernt: Ick will jetzt wieder mit eenem Standbein inne Wirtschaft, als Rechtsanwalt. Und wissen Sie wovon ick da lebe, als Rechtsanwalt? Von die Lücken, die ick 1990 im Einigungsvertrag jelassn habe, ha ha ha!!!“ Mein Löffel lag in der Suppe, und mir blieb die Spucke weg.

Wir sind nun schon wieder eine ganze Epoche weiter.

Europa Europa Europa.

Unser Glück und unser Elend. Um es kurz zu sagen: Ich bin für das Europaprojekt, trotz aller Widrigkeiten. Die EU ist der ideale Kleinversuch für die Bewältigung einer Aufgabe, die unmittelbar und drängend ja vor uns steht. Ich nenne das Groß-Projekt „UM“ –United Mankind.

Nur eine vereinigte Menschheit, kann die globalen Probleme lösen, weil unser kleiner Planet Erde als Menschheitsdorf jeden Tag kleiner wird.

Europa, grade weil es aus so extrem verschiedenen Staaten und Nationen und Kulturen und Sprachen zusammengewürfelt ist, könnte das ideale Labor für einen Großversuch sein, den die Menschheit, zu der wir ja nebenbei auch noch gehören, nirgend sonst so günstig und so lehrreich wagen kann. Die kleinen Regionen, die vielen Sprachen und kulturellen Traditionen in den Provinzen könnten sich unter diesem Schutzdach im Sinne einer Renaissance festigen und entfalten. Mal wieder so was wie „blühende Landschaften“.

Mein größter europäischer Kummer ist Israel. Genauer: der wohlfeile Haß auch im Westen auf den winzigen Judenstaat. Eine Million Ermordete in Asien oder Afrika provozieren bei uns hier weniger wütende Presseberichte als der gezielte Mord an einem Massenmörder der Hamas im Gaza mit einer israelischen Drohne.

Ja, nicht nur jüdischer, sondern auch europäischer Kummer, denn ich bin immer mehr der Meinung, daß Israel, die einzige Demokratie inmitten in der arabischen Welt, eigentlich ein Mitglied der EU sein muß. Das war auch für mich eine verblüffende Erfahrung: Israel ist ein durch und durch europäisches Land. Trotz der Kamele und der Palmen im Negev kommt es mir fast westlicher vor als Deutschland. TelAviv und Berlin sind im Grunde Geschwister. Und dieses Israel ist jedenfalls sozial-demokratischer als Schweden, und ist gutbürgerlicher als Italien!Und die Türkei nebenan ist moderner und kapitalistischer als etwa Zypern und Griechenland.

Aber den Gordischen Knoten im Nahostkonflikt können wir nur, wie einst Alexander der Große, durchhaun mit einem Schwert. In die heutige Sprache übersetzt: Wir müssen auch die Erben des Osmanischen Reiches, die Türken aufnehmen in die EU, sie sind heute schon europäischer als manche der neuen osteuro-päischen Mitglieder der Europäischen Union. Und natürlich kann ich mir eine Lösung des unlösbaren Konflikts um Palästina nur vorstellen, wenn auch die Palästinenser als Mitglieder unserer Völkerfamilie eine Chance haben, die mühsamen Erfahrungen von Frieden und Rechtsstaat zu machen.

Die Palästinenser siechen seit Generationen wohlgenährt dahin. Sie leiden an der chronischen Alimentierung durch die EU und Saudi Arabien und anderer falscher Freunde. Die Produktivkräfte sind verkümmert. Haßprediger haben das Wort. Die Forschung verdorrt. Da passiert also auch kein Wandel durch Handel, einfach, weil diese Menschen nicht im wahren Sinne lebens-not-wendig produzieren müssen, damit sie dann Waren ins Ausland exportieren könnten. Früher exportierten die Palästinenser vorzüglich gebildete Intellektuelle in die umliegenden Länder, sie lieferten Ärzte, Lehrer, Juristen, Ökonomen, Ingenieure für die arabischen Staaten. Aber diese Elite der arabischen Welt wächst nicht nach, die Jugend ist verblödet und verkümmert durch die Jahrzehnte der fürsorglichen Bevormundung und durch den Dauerkrieg mit Israel, dessen Existenzrecht sie nicht anerkennen wollen, nicht dürfen, nicht müssen.

Seit der 1. Intifada (1987 „Krieg der Steine“ usw) gehen die Kids im Gaza und im Westjordanland kaum noch in die Schulen, zu wenig Studenten, dahinsiechende Universitäten. Und die reicheren und gebildeteren Palästinenser schicken ihre Kinder in die USA und nach Westeuropa zum studieren, wo sie aber nach dem Studium lieber bleiben und also nichts tun können für den Aufbau des eigenen Landes.

Ich hatte dieser Tage einen bösen Traum. Ich besuchte den einst gefürchteten brutalen General Sharon, der seit dem Jahre 2006 im Koma liegt. Ich sagte: Steh auf!! Der Netanjahu schafft es nicht! Und die ortodoxen Juden wollen nicht. Und die Linken in Israel können nicht. Ich schrie: Du hast auf eigene Faust den Gazastreifen geräumt. Dir glauben die Araber! Du bist grobschlächtig genug, Du mußt den Gordischen Knoten zerhaun, Du kannst vielleicht Frieden machen! Steh sofort auf!

Ich sang ihm ein andres Kampflied aus Brechts Stück DIE MUTTER vor:

„Steh auf! Steh auf! /

Die Partei ist in Gefahr, /

Steht schnell auf! /

Du bist krank, aber wir brauche Dich! /

Stirbnicht! Du mußt uns helfen! /...

Aber der Haudegen Sharon blieb liegen. Da schaltete ich seine Koma-Maschinen ab und riß den Sauerstoffschlauch aus dem Gerät. Und wachte auf, angstschweißnaß.

Und war verwirrt. Ich Biermann, der Mörder.

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Am 1. Juli 1990 hielt Bundeskanzler Helmut Kohl eine Fernsehansprache anlässlich des Inkrafttretens der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik und der damaligen DDR. Mit seiner Vision der „Blühenden Landschaften“ weckte er in West- und Ostdeutschland große Erwartungen. Die Wiedervereinigung ist geglückt, das Zusammenwachsen von Ost und West jedoch kein Selbstläufer. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands stellte sich die „German question“ für unsere europäischen Nachbarn erneut. Helmut Kohl hat durch sein Wirken maßgeblich dazu beigetragen, dass die Sorgen schnell verflogen sind und ein europäisches Deutschland entstanden ist.

Im Rahmen der Veranstaltung wird die Rede von Helmut Kohl in Auszügen verlesen. Wolf Biermann wird sie kommentieren und um seine europapolitische Perspektive ergänzen. Er ist aufgrund seiner radikalen Kritik gegen die Parteidiktatur der SED aus der DDR ausgebürgert worden, seiner politischen Einmischung tat dies jedoch keinen Abbruch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zapf

Ich akzeptiere Grenzen aber keine Mauern

Robert Zapf

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