Apropos „Volkspartei“

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Von Robert Zion

Es ist schon eigenartig. Da wird der einstige und den Grünen gegenüber immer etwas rüde auftretende Seniorpartner SPD so langsam zum potentiellen und blassen Juniorpartner, da reduziert sich die FDP wieder auf ihre Klientelfunktion, da zappeln CDU/CSU zwischen rechtem Populismus, Konzernlobbyismus und Modernisierungsanspruch hin und her und da führt die Linkspartei die tausendeinhundertste linke Theorie- und Selbstvergewisserungsdebatte im linken Salon – und die Umfragewerte der Grünen gehen durch die Decke. Und schon rätseln die Medien, woher das komme und macht der Gedanke die Runde, ob da nicht mit den Grünen eine Volkspartei neuen Typs im Entstehen begriffen ist.

Tatsächlich eigenartig. Denn das Modell der Volkspartei ist schon längst ein Auslaufmodell. Vorbei sind die Zeiten der Mitgliederparteien, der festen Parteibindungen, des Vertretungsanspruchs ganzer Schichten, Klassen oder - wie es im neueren Soziologendeutsch heißt - „Milieus“. Die Grünen sind vielmehr deshalb so erfolgreich, weil sie das bereits sind, was die anderen Parteien noch lernen müssen zu werden: eine Programm- und Konzeptpartei. Eigenartig auch, dass die öffentliche Meinung dennoch an ihrem Interpretationsmodell, Parteien seien ja immer irgendwie der politische Aushub irgendeiner sozialen Schicht, so hartnäckig festhält: Die Grünen, die Bionade trinkenden Biomarktfrequentierer mit Geld auf dem Konto und Moral im Kopf und deshalb in der „Mitte“ – von was auch immer - angekommenen Bürgersöhnchen und -töchterchen.

In Wirklichkeit täten die Grünen jetzt gut daran, vor dieser neuen Situation sehr, sehr viel Respekt zu entwickeln. Nicht etwa, weil sie jetzt das ganze „Volk“ zu repräsentieren hätten, vielmehr weil der politischen Klasse mit ihren herkömmlichen Politikmodellen dieses Volk zu entgleiten droht. Die Frage jedenfalls, ob die Grünen jetzt die erfolgreichste Partei zu werden scheinen, weil sie am glaubwürdigsten sind, oder aber am wenigsten unglaubwürdig, sollten sie sich jetzt ernsthaft stellen. Zwischen den möglichen Antworten nämlich liegen ganze Welten. Denn es wird offensichtlich wieder einmal viel Hoffnung in die Grünen gesetzt. Hoffnungen, verkrustete Strukturen aufzubrechen, die während der ersten rot-grünen Bundesregierung schon einmal in tiefe Enttäuschungen umgeschlagen sind.

Es ist ja nicht so, dass sich diese verkrusteten Strukturen mit ihren Problemen- des repräsentativen Systems dieser Demokratie, der Vermachtung der Wirtschaft, der Antwortlosigkeit auf den tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt, der auseinanderklaffenden sozialen Schere oder der immer drängender werdenden existenziellen ökologischen Probleme- nicht weiterhin halten würden. Wer jetzt die Grünen als neue Volkspartei einer neuen Mitte deklariert, für den sind dann wahrscheinlich die überdicken Programme und komplexen Konzepte der Partei auch nicht vielmehr, als ein etwas ausführlicherer Ablassbrief fürs eigene schlechte Gewissen angesichts der nicht mehr zu verleugnenden Grenzen der eigenen Lebensweise.

Und auch wenn der Teppich jetzt hochfliegt, auf dem die Partei ja bleiben will, einfacher für sie wird es dadurch keineswegs – im Gegenteil: Mit ihrer Mitglieder- und Anhängerzahl haben die Grünen gar nicht die Kraft, soziale und ökologische Konflikte zu befrieden. So bleibt ihnen beinahe zwangsläufig nur die Meinungsführerschaft in einem gesellschaftlichen Umbauprozess, der kaum ohne größere politische, wirtschaftliche und soziale Verwerfungen vonstatten gehen wird. Gewissermaßen als Ideenschmiede und diskursprägende Avantgarde – auch wenn dieser Begriff historisch schon seine Kratzer erhalten hat. Aus den ganzen Zuordnungsversuchen der Politikwissenschaft von Parteien zu entsprechenden Milieus hat dann auch der der „Creative Class“ noch am meisten Charme. Dass die Gutgebildeten natürlich auch noch in der Regel gut verdienen, kann man durchaus noch ableiten; dass es dann aber zwangsläufig eine negative neuronale Rückkopplung vom dicken Geldbeutel zum Hirn geben soll, müsste noch nachgewiesen werden. Ebenso übrigens, wiedie Annahme, dass nur die Arbeiterschaft ein Interesse an Solidarität und Gerechtigkeit haben könne.

Es soll ja noch Politiker geben, die nicht gleich in einen Freudenrausch geraten, wenn sie ein Mandat errungen haben, sondern die dann kurz schlucken und eine gewisse Demut vor der Verantwortung, die sie übernommen haben, entwickeln. Ungefähr das wäre jetzt das richtige grüne Modell. Nicht Heilsbringer sein wollen und nicht fürchten Verräter zu werden. Und um nicht gleich wieder den Begriff der „Vernunft“ zu strapazieren, den ja noch jeder dahergelaufene Rechtspopulist gerne im Munde führt – die Grünen sollten aufklären statt abgeklärt daherzureden, mutig sein statt herrisch, pragmatisch statt opportunistisch und natürlich auch visionär statt angepasst. Denn weil eben das „Volk“ von der abgeklärten, herrischen, opportunistischen und angepassten Art der anderen so langsam genug hat, darum sucht es nach Alternativen – das heißt wortwörtlich: nach anderen Ursprüngen unseren Zusammenlebens. Mit selbstzufriedenem Konservativismus, endlosen Symboldebatten über „Werte“, Restaurationsversuchen an der schmaler werdenden „Mitte“ oder Durchsetzungsversuchen eines neuen bürgerlichen Egoismus, haben diese Alternativen nicht das Geringste zu tun. Viel eher schon mit der Überlebens- und das heißt heute auch Erneuerungsfähigkeit unserer Demokratie.

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Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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