Der Mann ohne Eigenschaften

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Symbolisch volksnah, praktisch unternehmernah und ganz konkret auch schon mal neokonservativ – Jürgen Rüttgers zeigt sich flexibel und führt einen Image- und Oppositionswahlkampf gegen die eigene Politik.

Von Robert Zion

Jürgen Rüttgers hat ein Problem – sich selbst, die eigene Partei, die eigene Politik. Selten hat ein Parteitag mit derart „konfusen Parteitagsreden“ (taz) darum auch einen solch profillosen Eindruck hinterlassen wie der der NRW-CDU in Münster, von der Sueddeutschen bereits als „organisierte Inspirationslosigkeit“ beschrieben. Jedenfalls scheint der Spagat zwischen vermeintlichen neuen Machtoptionen und einer ehrlichen Bilanzierung, gar einem Bekenntnis zur eigenen Politik, gründlich misslungen.

Denn unter Jürgen Rüttgers, dem angeblichen „Schwarz-Grün-Pionier“, so die Frankfurter Rundschau ironisch, wurde in NRW die Umweltverwaltung personell zerschlagen und der Klimaschutzparagraph eigens zur Errichtung neuer Kohlekraftwerke aus dem Landesentwicklungsprogramm genommen. Unter ihm, dem angeblichen Retter der Kommunen, wurden deren wirtschaftliche Betätigungsmöglichkeiten radikal eingeschränkt. Er, der vermeintliche Anwalt der kleinen Leute, hat die WestLB zu „Rüttgers Resterampe“ (Manager-Magazin) gemacht und in ihr nahezu ohne Bedingungen und Auflagen Milliarden an Steuergeldern versenkt.

Für Rüttgers und die NRW-CDU scheinen sich solch politisch substanzielle Fragen, von der in NRW gescheiterten Schulpolitik ganz zu schweigen, ohnehin vollständig in einem Image-Problem zu erschöpfen. So heißt es in einem aktuellen CDU-internen Strategiepapier: im Wahlkampf müsse die „Betonung der Unterschiede zwischen Landes- und Bundes-CDU“ aufrechterhalten werden, weil die nordrhein-westfälische Union „anders, positiver, sozialer wahrgenommen“ werde als die Bundespartei. Die Betonung liegt hierbei auf „wahrgenommen“. Wie beim kostenintensiven Anbieten von Gesprächen und Fotos von Regierungsmitgliedern auf Parteitagen der NRW-CDU, scheint sich hier alles allein nur noch um die erfolgreiche Verkaufstrategie zu drehen.

Doch auch beim Verkaufen eines Images lässt sich zuweilen die neokonservative Grundhaltung von Rüttgers nicht ganz verschleiern. So ist es sicherlich kein Zufall, wenn sich die Union zwei Monate vor der Landtagswahl in NRW in einer „Düsseldorfer Erklärung“ bundesweit für eine schärfere Gangart gegenüber straffällig gewordenen Ausländern stark macht, sich für den Einsatz der Bundeswehr im inneren einsetzt und die Unterscheidung von äußerer und innerer Sicherheit grundsätzlich zu verwischen versucht. Und neben der zum Teil gerade auch in NRW menschenverachtenden Abschiebepraxis in NRW, ein Dauerstreitthema zwischen der CDU und den Grünen im Landtag seit Jahren, dürften auch noch Rüttgers Äußerungen von „Kindern statt Indern“ und angeblich nicht arbeitswilligen oder –fähigen Rumänen noch in den Ohren klingen. Das ist nur um Nuancen subtiler als der Rechtspopulismus eines Roland Koch, fügt sich aber ebenso nahtlos in das wirtschaftschauvinistische Grundmuster eines neokonservativen Vordenkers wie Samuel P. Huntington ein, der gleich die Wertigkeit von ganzen Kulturen und Völkern an ihrer Marktfähigkeit bemisst.

Überhaupt, die „Marktfähigkeit“. Das in Münster verabschiedete CDU-Wahlprogramm präsentiert gerade einmal „Altbewährtes aus der Adenauerzeit“ (F.A.Z.) und endlose Variationen über Wörter wie „Wachstum“, „Wettbewerb“ und – immer wieder – „Sicherheit“. Die CDU unter Rüttgers, der immerhin einmal „Zukunftsminister“ unter Kohl gewesen ist, scheint konzeptionell so tief in den 50er Jahren versunken, dass sie dem Land eine faktisch längst widerlegte Vorstellung von „sozialer Marktwirtschaft“ auch noch glaubt als Zukunftsvision verkaufen zu müssen („Wachstum schafft Arbeit“). Dabei würde ein Blick in den aktuellen Spiegel genügen, um die Verstaubtheit solcherlei Idealvorstellungen von Ludwig Erhards allein am blinden Wachstum ausgerichteter Wettbewerbs- und Normarbeitsgesellschaft zu erkennen.Dort nämlich ist der „Rückzug der klassischen Arbeitsverhältnisse“, trotz Wachstum,mit beeindruckenden Zahlen unterlegt.

Und daher wird die Frage, warum dann mit den Grünen ausgerechnet die „einzige linke Partei, die den Übergang in die Dienstleistungsgesellschaft geschafft hat“ (Financial Times Deutschland), diesen Ministerpräsidenten noch im Amt halten sollte, wohl am Ende niemand ernsthaft beantworten können. So zeigt sich im Nachhinein, dass die Frankfurter Rundschau so falsch nicht gelegen hat, als sie bereits vor einem Monat in ihrem Leitartikel angesichts von Spekulationen über Schwarz-Grün fragte: „Woher sollen in Zukunft die Visionen kommen – aus Sachzwanghausen im Alles-offen-halte-Land?“

Ein Ministerpräsident jedenfalls, dessen einzig substanzieller Inhalt offensichtlich nur noch die Macht selbst ist, gehört erstrecht auf die Oppositionsbank geschickt. Und über Schwarz-Grün, gerade einmal die Wunschkoalition von drei Prozent in der Bevölkerung, wird dann hoffentlich und ganz im Sinne der Unterscheidbarkeit politischer Konzepte und der Substanz der Demokratie die Financial Times Deutschland das endgültige Urteil gefällt haben: „Schwarz-Grün ist die Kopfgeburt einer Minderheit, erdacht von ein paar Parteistrategen, Ökospießern und gelangweilten Journalisten“.

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Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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