Die politische Linke nach der Wahl

Thesenpapier Es geht darum, die Gesellschaft zu bauen, statt sie zu beherrschen. Ein Thesenpapier für progressive Politik (vorgelegt vor der SPD-Linken im November 2009)

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Thesen zur Podiumsdiskussion „Die politische Linke nach der Wahl“, 28.11.09 in Hattingen (JUBILÄUMSTAGUNG des spw-Verlages: 20 Jahre Verein zur Förderung von Demokratie und Völkerverständigung e. V.)

Von Robert Zion (Bündnis 90/Die Grünen)

Thesen zu (alten und neuen) Problemen der Linken

• „Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen.“ (Karl Marx, 18. Brumaire, 1852)

• „Es gibt eine Lustlosigkeit, die eigene Politik überhaupt auf den Begriff zu bringen. Aber, wer keine Begriffe hat, der kann auch nicht begreifen. Wer nicht begreift, kann Positionen nicht weiter entwickeln, sondern ritualisiert die alten.“ (Ludger Volmer, persönliche Mitteilung, April 2007)

Thesen zu den neuen Aufgaben der Linken

• „Die Transformationen im Wirtschaftlichen und Sozialen emanzipatorisch zu gestalten, ist die heutige Aufgabe der Linken. Sie braucht keine Revolutionsideen, sondern dringend Transformationstheorien.“ (Robert Zion, Ja, uns gibt es tatsächlich, Der Freitag, 05.10.2007)

• “Ich möchte Transformation. Erst mal geht es darum, bestehende Verhältnisse schrittweise zu verbessern. Diese Veränderungen sind dann der Brückenkopf für einen fundamentalen Umschwung.” (Katja Kipping, Reform oder Revolution? Transformation!, August 2009)

• „In einer Zeit, in der die stofflichen Grenzen des Wachstums, die politischen Folgen der Standortkonkurrenz, die ökologischen und sozialen Kosten der industriellen Moderne unübersehbar sind, kann man nicht mehr einfach so auf Wachstum als Schlüssel gesellschaftlicher Wohlfahrt setzen. Wir müssen uns heute fragen, in welchen Feldern soll die Wirtschaft wie schnell wachsen. Nachhaltige Wirtschaftspolitik muss unsere Ziele auf den Gebieten Ökonomie, Ökologie und Arbeitsmarkt in einem Konzept integrieren. Und sie muss auch die traditionellen Wege der Umverteilung hinterfragen.“ (Andrea Ypsilanti, Interview in Der Freitag, 12.11.2009)

Thesen zu den neuen Zielen der Linken

• Es ist unmöglich, eine Klimakatastrophe zu verhindern, ohne radikal mit den Methoden und der ökonomischen Logik zu brechen, die seit hundertfünfzig Jahren zu dieser Katastrophe führen. (...) Der Wachstumsrückgang ist also ein Überlebensgebot. Es setzt jedoch eine andere Ökonomie, einen anderen Lebensstil, eine andere Zivilisation, andere gesellschaftliche Verhältnisse voraus. Solange sie fehlen, könnte der Zusammenbruch nur mittels Restriktionen, Rationierungen, autoritären Zuteilungen von Ressourcen verhindert werden, wie sie für eine Kriegswirtschaft charakteristisch sind. Der Weg aus dem Kapitalismus wird also auf jeden Fall stattfinden, ob auf zivilisierte oder barbarische Weise. Die Frage betrifft allein die Form, die das Ende nehmen, und den Rhythmus, in dem es erfolgen wird.“ (André Gorz, Das Ende des Kapitalismus hat schon begonnen, Herbst 2007)

• „Zum fordistischen Wohlfahrtsstaat keynesianischer Provenienz gibt es kein Zurück mehr, da das System selbst eine innere und äußere Schranke erreicht hat. Das zusammenfallende Waren- und Kapitalverhältnis verlangt einen Exodus aus der Arbeitsgesellschaft und eine Gemeinwesenökonomie.“ (Robert Zion, bewegt euch!, Prager Frühling Magazin 05/2009)

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• „Was wir brauchen ist die Erstellung eines neuen Tableau économique, mit dem wir heute die Produktion, Zirkulation und Enteignung von Werten in der biopolitischen Ökonomie aufzeichnen können.“ (Michael Hardt/Antonio Negri, Commonwealth, 2009)

Einige zusammenfassende Thesen und Projekte

Transformationsprojekt Sozialstaat („garantistischer“ oder „emanzipatorischer Sozialstaat“): Heranziehen sämtlicher Einkunftsarten in den Sozialversicherungen Bürgerversicherung; Umbau von Hartz IV zu einer armutsfesten, individuellen und sanktionsfreien Grundsicherung und Weiterentwicklung (mittels Zusammenfassung bestehender Transferleistungen und abschließendem Entfallen der Bedürftigkeitsprüfung) zu einemGrundeinkommen.

Transformationsprojekt Arbeitswelt: Anerkennung und Entlohung (Grundeinkommen) von reproduktiver und nichtproduktiver Arbeit in einem Gemeinwohlorientierten Arbeitssektor.

Transformationsprojekt Steuern: Schrittweise und vollständige Umstellung der Besteuerung von Wertschöpfung (Arbeit und unternehmerische Tätigkeit) auf die Besteuerung von Wertaneignung (Umwelt- und Güterverbrauch, Erbschaften, Vermögen, Grundrenten und Kapitalerträge).

Transformationsprojekt Ökonomie und Ökologie: Konversion der Industrie auf ökologische Produkte und Dienstleistungen und geschlossene Rohstoffkreisläufe (mit der Natur); Vollständige Umstellung auf Erneuerbare Energien; Schrittweise Umstellung der Wertschöpfungsbasis auf Humansektoren („Arbeit von Menschen für Menschen“) und Neudefinition des Wohlstandsbegriffs („Ökonomie des Ausreichenden“); neben öffentlichen und privaten Gütern Schaffung von Gemeingütern (Umwelt, Ressourcen, Bildung, Gesundheit, Mobilität, Wissen, Kultur).

Transformationsprojekt Demokratie und Recht: Neben dem öffentlichen und dem Privatrecht Etablierung eines Gemeinrechts; Einführung von Elementen plebiszitärer Demokratie; Umstellung staatlicher Institutionen von der Regelsteuerung auf Zielsteuerung; rechtliche Absicherung von autonomer Eigenproduktion und demokratischer Selbstverwaltung (Gemeingüter, Gemeinrecht).

Einige Bemerkungen zur politischen Situation

Die gegenwärtige Krise der Linken im Allgemeinen und der Sozialdemokratie im Besonderen ist eine substantielle. Sie entspringt der schwindenden Steuerungsfunktion des Nationalstaates, dem postindustriellen Umbruch der Arbeitsgesellschaft, der erfolgten Aufkündigung der Sozialpartnerschaft seitens des Kapitals und der Zerstörung der natürlichen Reproduktionsgrundlagen in der Globalisierung. Sie ist die Krise einer Gesellschaftsordnung im Umbruch, der in seiner Tiefe mit dem von der Feudal- in die Industriegesellschaft verglichen werden kann.

Die Krise unserer Gesellschaftsordnung ist die Krise des global gewordenen Kapitalismus schlechthin (der Zerstörung seiner gesellschaftlichen und natürlichen Reproduktionsgrundlagen und politischer Regulierungen). Auch der (gescheiterte) Neoliberalismus hat diese Krise für den Kapitalismus nicht gelöst – er hat lediglich Reichtum und Chancen neu (nach oben) umverteilt, ohne das Problem der eigenen Reproduktion zu lösen.

Unsere Gesellschaften befinden sich daher an der Schwelle zu einer Neukonstitution des Politischen auf globaler, d.h. transnationaler Ebene. Solch ein im Entstehen begriffener Commonwealth wird nicht mehr entlang traditioneller reformistischer oder revolutionärer Rituale gestaltet werden können, sondern nur noch mit einer bewussten Gestaltung neuer Eigentums-, Produktions- und demokratischer Repräsentations- und Organisationsformen, die gerade aus den Trümmern des Alten entstehen.

Dieser Transformationsprozess findet gerade statt, unabhängig davon, ob die parteipolitische Linke diesen zur Kenntnis nimmt oder nicht. Sie ist daher dazu aufgerufen, neue Begriffe zu entwickeln um ihn zu begreifen, sich wieder in die Gesellschaft hinein zu öffnen und Alternativen zu formulieren, die auch das eigene politische Selbstverständnis und die eigenen Arbeits-, Repräsentations- und Organisationsformen betreffen. Gemeinsame Foren, auch Ideen- und Zukunftswerkstätten sind daher unabdingbar.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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