In der Volksrepublik Nordrhein-Westfalen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Führung der nordrhein-westfälischen Linken hat nun ihren Entwurf zum Landtagswahlprogramm vorgelegt- und dabei zu großen Teilen eine misslungene und altbackene Synthese aus Vorstellungen marxistisch-leninistischer Gruppen, Industriegewerkschaften und SPD produziert.

Von Robert Zion

Sollten die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und FDP im Bund abgeschlossen sein, werden selbstverständlich die Landtagswahlen 2010 in Nordrhein-Westfalen zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Wird die Regierung Merkel/Westerwelle bis dahin überhaupt noch Reformprojekte wagen, die die Wiederwahl von Rüttgers verhindern und die Mehrheit im Bundesrat kippen könnten? Wird es eine Rot-Grün-Rote Landesregierung in Düsseldorf geben, die die Selbstfesselung der SPD auf Bundesebene auflösen wird? Wo stehen bei alledem die Grünen, vor allem nach der Jamaika-Entscheidung im Saarland? Der nun vorgelegte Entwurf des Wahlprogramms der Linken in NRW lässt bereits erahnen, wie die Antworten auf diese Fragen aussehen könnten.

Planspiele aus dem sozialistischen Salon

„Zwei mal drei macht vier, widde widde witt und drei macht neune. Ich mach' mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt.“ Der erste Satz könnte dabei für die Finanzierbarkeit dieses Programms stehen, der zweite für die diesem Programm zugrundeliegende Analyse. Dabei geht es noch nicht einmal darum, dass Wahlprogramme immer viel versprechen und nachher bei konkreten Koalitionsverträgen und Regierungsprogrammen dann die allgemeine Ernüchterung eintritt – dies trifft ja auch auf die FDP vor und nach dieser Bundestagswahl zu –, es geht darum, dass hier ein linker Funktionärskader aus dem sozialistischen Salon heraus an der eigenen Wählerschaft vorbeiphantasiert hat. Das geforderte „Recht auf Rausch“ hat sich dieser hier wohl erst mal selber gegönnt.

Dabei haben sie sich sogar den Generalfehler geleistet, ihrer verstaubten Mischung aus Staatsmonopolkapitalismus (Verstaatlichung von RWE, E.ON, der Schlüsselindustrien und Großbetrieben der Grundstoffindustrie), Sozialismus (Überführung weitgehender Gesellschaftsbereiche in die öffentliche Hand) und Keynesianismus (Zukunftsinvestitionsprogramm und öffentliches Beschäftigungsprogramm) überhaupt ein konkretes Menschenbild zugrunde zu legen, das auch mit der Lebenswirklichkeit und dem Selbstverständnis der Menschen im Land zu tun hat. Und so ist für dieses „Kurswechsel“ genannte Programm nichts bezeichnender, als die passagenlangen Abgrenzungen gegenüber dem „Nationalsozialismus“. Als ob dann doch eine Ahnung davon bestünde, dass ihr sozialistischer Nationalismus in seinem dirigistischen Politikverständnis im Grunde das gleiche Feld beackert und die gleichen blinden Flecken aufweist: Es fehlt ein zeitgemäße Vorstellung von Individualität (Ein Begriff, der in dem Programm gar nicht vorkommt) und Freiheit, der aber eben eine gemeinsame solidarische Basis nicht ausklammert.

Unklares Staatsverständnis

Denn diese Gesellschaft, auch die des klassischen Industriestandortes Nordrhein-Westfalen, hat sich in der Arbeitswelt, im Sozialen und im Kulturellen radikal individualisiert. Und es ist das Grundproblem der Wählerschaft der Linken, dass in diesem Umbruch für diese die überkommenen Institutionen der Industriegesellschaft nicht mehr funktionieren: Familie, Schule, Universität, Normarbeit. Gerade dort, wo die Linke besonders gut abschneidet, wie etwa in Duisburg oder Gelsenkirchen, ist ja gerade eine soziale Segmentierung zu beobachten, die eben konkrete und pragmatische Antworten verlangt, um Teilhabe und die Vergesellschaftung des Einzelnen neu zu organisieren, und wo solch ideologische Bekenntnisrhetorik einfach nur an den realen Bedürfnissen der Menschen und den politischen Erfordernissen über kurz oder lang vorbeigehen wird.

Darum ist dieses Wahlprogramm auch dort regelmäßig am stärksten, wo es von Selbstorganisation und garantierter Teilhabe und Zugängen redet – zu Bildung, Kultur, Mobilität etc. – und eben nicht den öffentlichen Dienst zum neuen Heilsbringer überhöht und sich dann auch noch in einem unklaren Selbstverständigungsprozess über das eigene Verhältnis zum Staat verliert („In einer sozialen und solidarischen Gesellschaft sollten Gerichte und Staatsanwaltschaften entbehrlich sein“). Denn es ist nicht das Verhältnis zum Staat, zu seinem Mehr oder Weniger, an dem sich eine sozial gerechtere und ökologischere Politik in Zukunft entscheidet wird, sondern es ist ein neues Verhältnis von Individualität und Solidarität, von Geldtransfers und öffentlichen Gütern, von emanzipatorischen bzw. dezentralen und autoritären bzw. zentralistischen Ansätzen, von materiellem und kulturellem Wohlstand, von Erwerbsarbeit und Nicht-Erwerbsarbeit sowie deren gemeinsame Neuorganisation.

Radikale Gesten ohne Basis

Diesbezüglich korrespondiert der Ökonomismus dieses Programms in seinen antiquiertesten Passagen weit mehr mit Ludwig Erhards Normarbeits- und Wachstumsgesellschaft der fünfziger und sechziger Jahre als es sich so mancher der Autoren wohl selber gerne eingestehen würde. Der dann dabei nur noch störende reale Umbruch der Arbeitswelt heute wird so einfach per Dekret abgeschafft: „DIE LINKE. NRW fordert: Die Abschaffung der prekären Beschäftigung in NRW“. Heraus kommt dann eine sozialistische Regelgesellschaft aus normierten, vom Staat rekonstruierten Arbeitsverhältnissen („Wir fordern eine neue Zeitverfügung und –verteilung“), bei der allerdings unterschlagen wird, dass das, was hier in einer enormen Anstrengung an Arbeitszeit und ökonomischen Werten umverteilt und reguliert werden soll, erst in einem Wertschöpfungsprozess entstehen kann, der zunehmend hochindividualisiert abläuft. Dass dann auch in einem Bundesland wie Nordrhein-Westfalen die Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Umweltpolitik von der Regel- auf die Zielsteuerung umgestellt werden muss, will sie sich nicht im funktionalen Chaos eines aufgeblähten, intransparenten und letztlich unfinanzierbaren Staatsapparates verlieren, kommt dann im sozialistischen Universum der Autoren erwartungsgemäß nicht vor.

Bleibt dann noch die allseitige Forderung nach einer Demokratisierung der Verhältnisse im Staat und in der Wirtschaft (Wirtschaftsdemokratie), die allgemein betrachtet zwar vollkommen angebracht ist, die sich aber hier mehr als einmal wie eine nachgeschobene Legimitierung der eigenen sozialistischen Planungen liest. Es war ja schon immer ein Merkmal der extremeren Linken, dass besonders kleine Gruppen glaubten für besonders viele Menschen sprechen zu können. Darum bleibt festzustellen, dass sie momentan noch für sehr wenige in NRW sprechen, da sie sich im kommenden Jahr hier überhaupt zum ersten Mal einer Wahl für den Landtag stellen. Aber auch da hat die Parteispitze in ihrer konzeptionellen Unklarheit vorgesorgt und jeden Forderungskatalog gleich mit dem Satz: „Im Landtag NRW und außerhalb der Parlamente setzen wir uns ein“ eingeleitet. Es ist geradezu grotesk. Weder für eine wirkungsvolle APO, noch für einen derart radikalen Umbau des Landes hin zu sozialistischen Verhältnissen, hat diese Partei eine ausreichende Basis, nicht einmal in den eigenen Kreisverbänden, von denen nicht wenige in NRW politisch gar nicht handlungs- oder sprachfähig sind. Dort ist dann nicht selten das, was sich in der Landesspitze noch als revolutionärer Gestus deuten lässt, einfach nur noch Protest und Angst, das, was Oben das Versprechen der guten alten Arbeitswelt für alle ist, Unten nur noch ein verblasster Hoffnungsschimmer.

Rückzug aus ideologischen Motiven

Die Frage, ob es dann im Jahr 2010 tatsachlich zu eine Rot-Grün-Roten Regierung in NRW kommen könnte, hängt dann wohl auch wesentlich davon ab, ob die Parteiführung der Linken in NRW oder aber die Parteibasis bis dahin noch ein Verständnis dafür entwickeln werden, in welchen Punkten sie tatsächlich stark sein und ihre Wählerschaft vertreten könnten, oder ob sie sich lediglich weiter in einem für sich selbst gar nicht geklärten Konflikt zwischen klassenkämpferischer Kraftmeierei und einem trotzigen Zurückholen der alten Arbeitsgesellschaft üben wollen. Entweder Die Linke in Nordhrein-Westfalen entscheidet sich bald dafür, die Transformation dieser Gesellschaft im Ökologischen, in der Arbeitswelt, in der Bildungslandschaft und im Sozialen im Sinne ihrer Wähler politisch mitzugestalten, oder eben dafür, ihren fruchtlosen, weil nur noch theoretischen Konflikt zwischen Reform und Revolution weiter untereinander in ihrem Salon auszutragen.

Für eine ernsthafte soziale, emanzipatorische und ökologische Politik jedenfalls, hat dieser Landesverband der Linken nun aus offensichtlich ideologischen Motiven heraus eine Menge an Platz geräumt – selbst gegenüber der CDU, denn nicht einmal ein adäquates und realistisches Gegenkonzept zu deren Mindesteinkommen hat dieser hier entwickelt. Er verspricht einfach die gute Arbeit für alle in seiner Volksrepublik Nordrhein-Westfalen.

Dennoch ein Angebot unterbreiten

Was folgt nun daraus für SPD und Grüne für die kommenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen? Denn objektiv ist die Bilanz der CDU/FDP-Regierung insbesondere in der Bildungspolitik, in der Arbeitsmarktpolitik, bei der Armutsbekämpfung (Kinderarmut) und beim ökologischen Umbau mehr als dürftig, die Haushalte im Land und vielen Kommunen zudem aus den Fugen geraten. Es kann nur bedeuten, dass SPD und Grüne nun bis zur Landtagswahl der Landesführung der Linken dennoch ein politisches Angebot unterbreiten sollten, „eine gesellschaftliche Position gegen das Schwarz-Gelb-Modell aufzubauen“ (Dany Cohn-Bendit), das sich am Notwendigen und Durchführbaren und dabei aber auch an den Lebenslagen und berechtigten Interessen der Wählerschaft der Linken orientiert. Ökologische Gemeinsamkeiten mit Grünen und SPD gibt es glücklicherweise auch in diesem Programm der Linken.

Sollten diese sich aber nicht darauf einlassen und weiter in Fundamentalverweigerung gegenüber den „neoliberalen Parteien“ verharren wollen, dann sollte dieses Angebot eben deren Wählerschaft unterbreitet werden. Dazu muss dann aber bei dieser wie auch bei der der Grünen vollkommen klar sein: Nach dieser Wahl wird es in Nordrhein-Westfalen kein Schwarz-Gelb mehr geben, auch nicht mit den Grünen. Dabei geht es noch nicht einmal um Lager. Es geht um eine klar definierte Alternative zur Regierung Rüttgers/Wolf. Im Frühjahr 2010 werden sich die NRW-Grünen daher auf ihrem Parteitag entscheiden müssen, ob sie den Wählerinnen und Wählern in diesem Land überhaupt eine wirkliche Wahl lassen wollen.


Robert Zion ist Grünen-Politiker aus NRW.

Siehe auch in der taz: Jenseits des Saarlandes

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden